Website-Icon News4teachers

“Unterrichten hat sich deutlich vereinfacht” – ein Schulleiter berichtet, was ein Handy-Verbot in der Praxis bringt (viel!)

DRESDEN. Sachsens Kultusminister Conrad Clemens lädt zum „Handygipfel“ und will klären, ob Smartphones an Schulen verboten werden sollen. Doch eigentlich liegen die Antworten längst auf dem Tisch – aus der Praxis. In Dortmund zum Beispiel hat die Europaschule vor einem Jahr klare Handynutzungsregeln eingeführt. Die Erfahrungen des Kollegiums sind sogar noch positiver als erwartet (und belegen, dass sich Befürchtungen im Vorfeld als unbegründet erwiesen haben).

Pause. Illustration: Shutterstock

Sachsens Kultusminister Conrad Clemens (CDU) lädt für Donnerstagnachmittag zu einem „Handygipfel“. Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) reist an, Experten wie Prof. Manfred Spitzer geben Impulse, Verbände und Elternvertretungen wollen mitreden. Die große Frage: Soll es ein Handyverbot an Schulen geben – und wenn ja, wie?

Dabei müsste Clemens gar nicht erst einen Gipfel einberufen. Ein Blick in die Praxis zeigt, dass Lösungen längst erprobt sind. An der Europaschule Dortmund zum Beispiel. Dort hat das Kollegium um Schulleiter Jörg Girrulat bereits vor einem Jahr „Handynutzungsregeln“ eingeführt – mit durchweg positiven Ergebnissen.

Anzeige

„Seitdem wir das gemacht haben, konnten wir feststellen, dass viele der Schülerinnen und Schüler sich wieder besser auf den Unterricht konzentrieren konnten“

„Wir selber benutzen das Wort Handyverbot gar nicht, sondern den Begriff Handynutzungsregeln“, erklärte Girrulat im Gespräch mit WDR 5. „Verändert hat sich eine ganze Menge, aus unserer Sicht vieles zum Vorteil. Anlass, die Handynutzung zurückzunehmen, war, dass wir festgestellt haben, dass sehr viele Schülerinnen und Schüler vor allen Dingen in den Pausen – und vor allem auch die Jüngeren – sich sehr viel mit dem Handy beschäftigt haben, mit den sozialen Netzwerken, und gar nicht mehr miteinander gesprochen haben. Sie haben nicht mehr kommuniziert, nicht gespielt – das ging immer weiter zurück. Wir hatten den Eindruck: Wir müssen da jetzt gegensteuern.“

Die Wirkung sei unmittelbar spürbar gewesen: „Seitdem wir das gemacht haben, konnten wir feststellen, dass viele der Schülerinnen und Schüler sich wieder besser auf den Unterricht konzentrieren konnten. Die Anfangsnervosität, die wir in den ersten Stunden immer noch wahrgenommen haben, ist zurückgegangen. Das Unterrichten hat sich deutlich vereinfacht. Das ist ein Nebeneffekt – aber einer, den wir nicht erwartet hätten.“

Auch die Zahl der Störfälle habe sich massiv verringert: „Missbrauch des Handys, soziale Netzwerke, Videos machen, Fotos verteilen, mit Airdrop irgendwelche Dinge verschicken – all diese Probleme sind zurückgegangen. Das hat den Unterrichtsalltag für alle in der Schulgemeinde deutlich vereinfacht und verbessert.“

Wie setzt man eine solche Regel in der Praxis durch? Girrulat berichtet: „Mit Betreten des Schulgeländes muss das Handy bei den Schülerinnen und Schülern ausgeschaltet sein und in der Tasche verschwinden. Es darf erst wieder beim Verlassen des Schulgeländes herausgeholt werden. Wann immer wir Schülerinnen oder Schüler finden, die das Handy trotzdem benutzen, wird es eingezogen. Wir dürfen das ja nach Paragraph 53 Schulgesetz NRW zeitweise einziehen, wohlgemerkt zeitweise, weil es nicht uns gehört. Wir haben gedacht, das würde am Anfang ein Riesenproblem mit sich bringen. Deshalb hatten wir eine Kulanzphase zu Beginn des Schuljahres von einem Monat, in dem wir die Schülerinnen und Schüler noch mal deutlich darauf hingewiesen haben: Bitte, packt das Handy weg, sonst nehmen wir es euch ab.“

„Unser Hauptansatzpunkt war, die Eltern zu überzeugen, dass es überhaupt keine Notwendigkeit gibt, während der Schulzeit ein Handy zu haben“

Doch die Befürchtungen bestätigten sich nicht. „Nach dieser Kulanzphase haben wir es dann so umgesetzt, wie ich es gerade skizziert habe. Tatsächlich war die Anfangsphase schwieriger, weil es eine Zeit gedauert hat, bis alle verstanden haben, dass wir das ernst meinen und dass wir es auch wirklich durchsetzen. Egal, welche Lehrkraft sie dabei erwischt – das Handy ist dann erstmal weg. Inzwischen gibt es fast keine Probleme mehr. Wir haben dieses sogenannte Handyhotel im Lehrerzimmer, in dem die eingezogenen Geräte aufbewahrt werden. Am Ende der Pause oder der Mittagszeit geben wir sie zurück. Statistisch gesehen haben wir am Tag vielleicht fünf Handys im Handyhotel – bei 1.200 Schülerinnen und Schülern. Das ist verschwindend gering.“

Unerwartet war für den Schulleiter, woher der größte Widerstand kam: „Der kam gar nicht von den Schülerinnen und Schülern, sondern von den Eltern. Das hat uns sehr überrascht. Die Eltern waren ja eigentlich der Meinung, dass sie ihre Kinder jederzeit erreichen müssten – nicht nur vor und nach dem Unterricht, sondern auch zwischendurch, um mehr oder minder wichtige Dinge abzusprechen: Was gibt es zum Mittagessen, wann holst du mich ab? Unser Hauptansatzpunkt war, die Eltern zu überzeugen, dass es überhaupt keine Notwendigkeit gibt, während der Schulzeit ein Handy zu haben. Denn wir haben ein Telefonsekretariat, über das die Schule die Eltern erreichen kann – und umgekehrt. Und natürlich gibt es immer Ausnahmen. Jede Lehrkraft kann im Notfall sagen: Hol dein Handy raus, wir machen das darüber.“

Girrulat betont zudem, dass es seiner Schule nicht um Digitalfeindlichkeit geht: „Wir sind ja keine Gegner der Digitalisierung. Unsere Schülerinnen und Schüler haben iPads, die ihnen von der Stadt zur Verfügung gestellt werden. Mit diesen Geräten arbeiten wir statt mit Handys – und die können wir kontrollieren. Wir können wichtige Funktionen wie Internet, Airdrop oder Kamera gezielt ausschalten. Das ist der Unterschied.“

Auch beim Thema Medienerziehung sieht er die Schule nicht allein in der Verantwortung: „Viele Probleme entstehen durch soziale Netzwerke. Aber die Schule kann das nicht allein lösen. Eltern müssen hier mitwirken – und sind leider oft keine guten Vorbilder, weil sie selbst ständig mit dem Handy beschäftigt sind. Wir versuchen gegenzusteuern, mit Infoabenden, Fortbildungen und Aufklärung, überall da, wo es nötig ist.“ Das Fazit nach einem Jahr Handynutzungsregeln: Selbst viele Schülerinnen und Schüler sind erleichtert, dass sie in der Schule einmal frei vom Smartphone sind.

In Sachsen hingegen wird das Thema jetzt großflächig verhandelt. Kultusminister Clemens hatte im Mai noch im Landtag ein generelles Handyverbot an Grundschulen verfehlt (die Landesregierung verfügt im Parlament über keine eigene Mehrheit) – nur BSW, AfD und ein fraktionsloser Abgeordneter stimmten damals zu. Zwar gilt an den meisten Grundschulen im Freistaat ohnehin schon ein Handyverbot, doch über einheitliche Regeln wird weiter gestritten.

Auch unter Lehrkräften gibt es Vorbehalte. Die Lehrergewerkschaften äußern sich kritisch zu pauschalen Verboten. Burkhard Naumann (GEW) erklärte: „Ein pauschales Handyverbot greift zu kurz, ist nicht realistisch und auch nicht pädagogisch sinnvoll. Stattdessen braucht es klare, gemeinsam vereinbarte Regeln, die von Schülern, Lehrkräften und Eltern getragen werden.“ Auch der Sächsische Lehrerverband lehnt ein generelles Handyverbot ab, fordert aber Einschränkungen an Grundschulen – und verweist auf praktische Probleme wie die Frage, wer Geräte einsammelt und haftet.

Der Landesschülerrat wiederum sieht in Handyverboten keine Lösung. „Medienkompetenz erlangen Schülerinnen und Schüler nicht durch ein solches Verbot“, sagte Sprecher Felix Schönherr. Auch der Landeselternrat spricht von Symbolpolitik und fordert stattdessen schulformspezifische Lösungen. Während also in Dresden diskutiert wird, wie man Handys an Schulen künftig reguliert, haben Schulen wie die Europaschule Dortmund längst gezeigt, dass klare Regeln funktionieren – und zwar zum Vorteil von Lehrkräften, Eltern und Schülerinnen und Schülern. News4teachers / mit Material der dpa

Handy-Verbote reichen nicht: Leopoldina warnt vor Social-Media-Risiken – und fordert mehr Medienerziehung in Kitas und Schulen

Die mobile Version verlassen