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Neubau Jenaplanschule Weimar: „Das ist jetzt nicht nur unsere Schule – das ist unsere Idee vom Lernen“

WEIMAR. Mit dem Neubau der Jenaplanschule Weimar ist ein Lern- und Lebensort entstanden, der zeigt, wie eng Architektur und Pädagogik zusammenhängen können. Auf dem neuen Campus „An der Hart“ wird nicht nur gelernt, sondern gelebt, geforscht, gemeinsam gestaltet – ganz im Sinne des schulischen Leitgedankens „Jedes Kind kann etwas“. Damit schaffte es die Schule bis ins Finale des Deutschen Schulpreises.

“Offen, partizipativ, flexibel”: das neue Gebäude der Jenaplanschule Weimar Foto: Thomas Müller / Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

Gleich zweimal hatte die Jenaplanschule Weimar in diesen Tagen Grund zum Feiern. Erst wurde Anfang September der Neubau des Campus „An der Hart“ eingeweiht, ein Pilotprojekt der Initiative „Schulbau Open Source“ der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft – und nur drei Wochen später gehörte die Schule als zweitplatzierte zu den Preisträgern des Deutschen Schulpreises.

Zwei Ereignisse, die eng miteinander verknüpft sind: Denn das, was die Jury in ihrer Laudatio als „starke Beziehungen und echte Gemeinschaft“ lobte, ist in Weimar nicht nur pädagogisches Prinzip, sondern nun auch baulich manifestiert.

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„Die Schule lebt Gemeinschaft – sie setzt sie nicht nur um“

„Jedes Kind kann etwas“ – das pädagogische Konzept der Jenaplanschule Weimar folge diesem Leitgedanken, so heißt es in der Laudatio der Jury des Deutschen Schulpreises. Lernende und Lehrende begegneten sich auf Augenhöhe, in einem stabilen sozialen Umfeld, das es jedem ermögliche, den bestmöglichen Schulabschluss zu erreichen. Etwas kryptisch heißt es weiter: „Die Grundlage dafür bildet ein komplexes Gefüge aus horizontalen und vertikalen Strukturen mit klassenübergreifendem und jahrgangshomogenem Unterricht.“

Dr. Michaele Geweke, Jurymitglied und stellvertretende Leiterin des Oberstufen-Kollegs Bielefeld, erklärt das so: „Horizontal heißt hier: In den Stammgruppen lernen jeweils drei Jahrgänge gemeinsam. Vertikal bedeutet: Drei dieser Stammgruppen werden zu einer größeren Einheit zusammengefasst, in der projektorientiert gearbeitet wird – teilweise über neun Altersstufen hinweg.“ Dieses System schafft, so Geweke, tiefe Beziehungsräume: „Die Lehrkräfte kennen jedes Kind sehr genau – mit seinen Stärken, Entwicklungsfeldern und Lernfortschritten. Die Schüler:innen schließen Freundschaften über Jahrgänge hinweg und erleben Gemeinschaft als gelebtes Prinzip. Die Schule setzt das Konzept Gemeinschaftsschule nicht nur um, sie lebt es.“

Verantwortung und Freiheit als Lernprinzip

Dass die Jenaplanschule Weimar in den Augen der Jury damit vorbildliche pädagogische Arbeit leistet, liegt auch an der Balance von Freiheit und Verantwortung. „Man kann selbst entscheiden, was man macht – es muss am Tag aber fertig werden“, so zitiert Geweke eine Schülerin. Sie erklärt: „Jede:r Schüler:in arbeitet zudem an individuellen Kernprojekten, die in sogenannten Logbüchern dokumentiert werden – besonders in den Hauptfächern.“

Freiräume, die in Weimar nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden, sondern als Teil einer hochstrukturierten Pädagogik verstanden sind: Lernende organisieren ihre Zeit eigenständig, Lehrkräfte begleiten im Hintergrund, Team Teaching sorgt für individuelle Unterstützung. Im Ergebnis stehen – so die Jury – fachliche und soziale Kompetenzen gleichermaßen.

Diese Haltung prägt nicht nur den Unterricht, sondern auch die Art, wie die Schule ihr neues Zuhause geplant hat. Der Bau, so könnte man sagen, ist das physische Pendant zu dieser Pädagogik: offen, partizipativ, flexibel – und zutiefst gemeinschaftlich gedacht.

Vom pädagogischen Konzept zur architektonischen Form

Schon 2014 begann die Idee, aus der später ein bundesweites Pilotprojekt werden sollte. Die Jenaplanschule, seit 1993 eine staatliche Gemeinschaftsschule mit starkem Reformprofil, platzte aus allen Nähten – zwei Standorte, Sanierungsstau, steigende Schülerzahlen. Als sich im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen die Gelegenheit bot, Neues zu wagen, griff die Schulgemeinschaft zu.

Eröffnung. Foto: Thomas Müller

2016 gewann sie im Wettbewerb „Inklusive Schulen planen und bauen“ der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft – und damit eine begleitete Phase Null, in der pädagogische Ideen in räumliche Anforderungen übersetzt wurden. „Die Grundlage war von Beginn an ein intensiver Beteiligungsprozess“, beschreibt es das Team in der Pressemappe zur Eröffnung der Schule. Lehrkräfte, Eltern, Schüler:innen, Verwaltung und Architekt:innen entwickelten gemeinsam das Konzept.

2018 beschloss der Stadtrat die Kooperation mit der IBA Thüringen und der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft – mit dem Ziel, bisherige Standards im Schulbau zu hinterfragen und alles Wissen später frei zugänglich zu machen. Das Projekt wurde zum ersten fertiggestellten Pilotprojekt der Initiative „Schulbau Open Source“. Barbara Pampe, Vorständin der Stiftung, formuliert es so: „Gemeinsam mit der Expertise und dem Mut der Planerinnen und Planer, der Stadt, der Schule und der IBA Thüringen ist es uns gelungen, einen innovativen Schulbau zu entwickeln, der Lern- und Wohlfühlort zugleich ist.“

„Schule als Werkstatt“: Architektur, die Pädagogik möglich macht

Unter dem Leitbild „Schule als Werkstatt“ entstand ein Ensemble aus drei baugleichen Lernhäusern – jeweils 400 Quadratmeter große Lernlofts, in denen drei jahrgangsgemischte Gruppen gemeinsam arbeiten. Die Räume sind hell, offen, mit Holz und Glas gestaltet, unverputzte Wände und rohe Böden betonen den Werkstattcharakter. Die architektonische Idee: maximale Anpassungsfähigkeit. Die Raumaufteilung ist variabel, Trennwände lassen sich verschieben oder entfernen, technische Installationen sind auf das Nötigste reduziert. Durch natürliche Lüftung und die Verlagerung der Treppenhäuser nach außen konnte der Energiebedarf stark gesenkt werden – bei gleichzeitig hoher Aufenthaltsqualität.

Architektur-Professorin Elisabeth Endres von der TU Braunschweig lobt den Ansatz: „Die Technik orientiert sich am Menschen, nicht umgekehrt. Gute Luftqualität und Wohlbefinden sind auch mit einfacher, natürlicher Lüftung möglich – nachhaltig und energieeffizient.“ Die Außenräume sind als Lernterrassen und Balkone gestaltet – pädagogische Flächen unter freiem Himmel. Der Schulhof ist Teil eines öffentlichen Parks, den Schüler:innen und Nachbarschaft gemeinsam nutzen. Damit wird das Schulgelände selbst zum sozialen Lernraum, offen für Begegnung und Teilhabe.

Mitbestimmung bis zur letzten Schraube

Partizipation war nicht nur in der Planungsphase Programm. Kurz vor dem Einzug bauten Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte unter Anleitung selbst Möbel für die neuen Lernräume. Gemeinsam mit Architekt:innen und Handwerksbetrieben entstanden Tische, Podeste und Garderoben, die flexibel, robust und reparierbar sind. Die Pläne und Anleitungen wurden – ganz im Sinne von Open Source – online gestellt. „Die Aktion stärkte auch die Identifikation der Nutzenden mit den neuen Lernräumen“, heißt es in der Dokumentation. Damit wurde die Idee der „Verantwortungsgemeinschaft“ – zentraler Bestandteil des Jenaplan-Konzepts – konkret erfahrbar.

Pädagogische Architektur – gelebte Verantwortung

Wenn Michaele Geweke vom Deutschen Schulpreis über „Verantwortungsbereitschaft und echtes solidarisches Lernen“ spricht, klingt das wie eine Beschreibung dieses Bauprojekts: „Beeindruckend ist die Freude daran, einen inklusiven Lernort zu gestalten, an dem jedes Kind nach seinen Bedürfnissen gefördert wird.“ Die Verbindung von pädagogischer Haltung und räumlicher Umsetzung ist in Weimar radikal konsequent: Die Schule wurde nicht für ein Konzept gebaut – sie ist das Konzept. „Schule als Werkstatt“ meint hier: Lernen als fortlaufendes Gestalten, gemeinsames Forschen, gemeinsames Bauen.

Und so verwundert es kaum, dass die Gutachterin der Jury ihr Urteil mit einem Appell verbindet. „Die Beziehungskultur dieser Schule ist etwas, wovon jede Schule profitieren kann. Ich möchte außerdem ein Plädoyer dafür halten, jahrgangsübergreifenden Unterricht stärker zu erproben – selbst in der Oberstufe.“ Die Jenaplanschule Weimar zeigt, dass beides möglich ist: gemeinschaftliches Lernen und individuelle Förderung, pädagogische Innovation und architektonische Nachhaltigkeit. Oder, wie es ein Schüler bei der Eröffnung formulierte: „Das ist jetzt nicht nur unsere Schule – das ist unsere Idee vom Lernen.“ News4teachers

Auf der Plattform Schulbau Open Source stehen sämtliche Unterlagen öffentlich zur Verfügung: Texte, Zeichnungen, Leistungsphasen 1 bis 5. Ziel ist es, anderen Kommunen und Schulen zu zeigen, dass pädagogische Qualität und finanzierbarer Schulbau kein Widerspruch sind: https://schulbauopensource.de/projektstorys/weimar

Die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft unterstützt News4teachers bei der inhaltlichen Gestaltung dieses und weiterer Beiträge des Themenmonats „Schulbau und Schulausstattung“.

Hier geht es zu allen Beiträgen des Themenmonats “Schulbau & Schulausstattung”. 

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