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Kita-Krise: KMK-Kommission fordert, Gesundheit des Kita-Personals in den Fokus zu rücken

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BERLIN. Das frühkindliche Bildungssystem in Deutschland steht massiv unter Druck. Wissenschaftliche Expertinnen und Experten warnen vor einer „zunehmenden Instabilität im System“, ausgelöst durch hohe Krankenstände, psychische Belastungen und eine dauerhaft angespannte Personalsituation in vielen Einrichtungen. In einer aktuellen Stellungnahme empfiehlt die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz ein umfangreiches Maßnahmenpaket, das die Gesundheit der pädagogischen Fachkräfte als Schlüssel für gute Bildungsqualität in den Mittelpunkt stellt.

Ausgebrannt. (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

Die SWK beschreibt ein System, das vielerorts an seine Grenzen stößt. In der Stellungnahme heißt es wörtlich: „Viele Einrichtungen sind von hoher Personalfluktuation und überdurchschnittlich hohen Krankenständen betroffen, häufig bedingt durch psychische Belastungen.“ Diese Situation beeinträchtige nicht nur die Betreuung, sondern wirke sich bereits direkt auf den Bildungsalltag aus. Weiter heißt es: „Gerade junge Kinder leiden unter wechselnden Bezugspersonen und instabilen Betreuungssettings.“

Auch Familien spüren die Folgen. Eingeschränkte Öffnungszeiten und Gruppenschließungen seien in vielen Regionen inzwischen alltäglich. Die SWK wird deutlich: Die vielen Probleme führten zu einer zunehmenden Instabilität im System, was nicht nur die Verlässlichkeit der Betreuung gefährde, sondern sich auch negativ auf die pädagogische Qualität auswirke.

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SWK: Gesundheit der Fachkräfte ist Voraussetzung für gute frühe Bildung

Die Stellungnahme rückt die Gesundheit der Beschäftigten ausdrücklich ins Zentrum. Prof. Olaf Köller, Co-Vorsitzender der SWK, unterstreicht die Dringlichkeit: „Wir sehen im Bereich der frühen Bildung überdurchschnittlich hohe Krankenstände und eine hohe Personalfluktuation. Wir empfehlen deshalb ein Umdenken auch für die Kindertageseinrichtungen. Gesundheitsförderung sollte auf allen Ebenen integriert und mitgedacht werden.“

Köller verweist zugleich auf die Chance, die der Geburtenknick bieten könnte: „Wir sehen im derzeitigen demographischen Wandel eine Chance zur Steigerung der Qualität in der frühen Bildung und mit Strategien zur Gesundheitsförderung langfristig einen Beitrag zur Fachkräfte- und Qualitätssicherung leisten.“

SWK-Mitglied Prof. Yvonne Anders betont die Bedeutung eines systemischen Ansatzes. „Die Gesundheit und Motivation der pädagogischen Fachkräfte sind das Fundament für gute frühe Bildung“, sagt sie. „Es geht um nachhaltige Bildungsqualität für die Kinder, die mit gesunden Fachkräften beginnt.“ Anders fordert, Gesundheitsförderung müsse in allen Bereichen dauerhaft verankert werden: „Es geht nicht nur um den Personalschlüssel, sondern auch um eine Integration von Gesundheitsförderung in Aus-, Fort- und Weiterbildung, die Nutzung von Digitalisierung als Chance, ein Umdenken der organisationalen Strukturen und eine systematische Integration effektiver Präventions- und Interventionsansätze.“

„Hohe Krankenstände und Fluktuation müssten […] realistisch in die Berechnung des Personalschlüssels einbezogen werden“

Die SWK empfiehlt Maßnahmen auf drei Ebenen – systemisch, organisatorisch und individuell –, die unmittelbar ineinandergreifen sollen.

Auf systemischer Ebene schlägt die Kommission vor, gesetzliche Veränderungen vorzunehmen, um Zeit für Aufgaben jenseits der pädagogischen Arbeit zu schaffen. Wörtlich heißt es dazu: Erzieherinnen und Erziehern müsse „gesetzlich Zeit für Fort- und Weiterbildung, Vor- und Nachbereitungsarbeiten und Zusammenarbeit mit Familien freigeräumt“ werden. Dies sei notwendig, um die „Ballung von Aufgaben“ aufzubrechen, die Fachkräfte seit Jahren belastet.

Zudem verlangt die SWK, dass der Personalbedarf nicht nur auf dem Papier ermittelt wird. „Hohe Krankenstände und Fluktuation müssten […] realistisch in die Berechnung des Personalschlüssels einbezogen werden“, heißt es in der Stellungnahme. Auf organisationaler Ebene empfiehlt die SWK, regionale Träger und Einrichtungen müssten ihre Handlungsspielräume konsequenter nutzen. Dazu gehöre auch, „die Vorteile und Entwicklungspotenziale des Berufsbilds durch Maßnahmen wie eine Positiv-Kampagne zu stärken“ sowie Arbeitsaufgaben bewusster „nach Stärken und Motivation“ zu verteilen, um Überlastungen zu vermeiden.

Auf individueller Ebene sollen Fachkräfte befähigt werden, ihre eigene Gesundheit als „professionelle Aufgabe“ zu verstehen. Gesundheitsförderung, Selbst- und Emotionsregulation müssten regelmäßig durch Fortbildungen gestärkt werden. Die SWK fordert ausdrücklich, „erprobte Präventions- und Interventionsansätze systematisch zu integrieren“. Darüber hinaus fordert die Kommission langfristig neue berufliche Perspektiven: Es solle „weitere attraktive Karrierewege jenseits der klassischen Rollen“ geben, um Fachkräfte im Beruf zu halten.

VBE: „Die SWK hat vollkommen zurecht die Gesundheit von Fachkräften in den Fokus gestellt“

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) begrüßt die Empfehlungen. Bundesvorsitzender Gerhard Brand sagt: „Die SWK hat vollkommen zurecht die Gesundheit von Fachkräften im frühkindlichen Bereich in den Fokus ihres neuen Gutachtens gestellt.“ Die Beschäftigten arbeiteten seit Jahren „in einer absoluten Mangelsituation“, und ihre Arbeit könne „gar nicht hoch genug geschätzt werden“. Brand betont: „Gesundheitsförderung als zentrale Führungsverantwortung zu definieren […] zeigt ein systemisches Vorgehen, das schon lange notwendig gewesen wäre.“

Der VBE-Chef mahnt jedoch an, dass die durch die demografische Entwicklung entstehenden Spielräume regional sehr unterschiedlich ausfallen. „Das Potenzial, welches gerade durch den Rückgang der Geburtenzahlen entsteht, zeigt sich bei Weitem noch nicht überall“, so Brand. Es gebe Landstriche, „die so unterversorgt sind mit Plätzen insbesondere für unter Dreijährige, dass wir hier noch lange keine Kapazitäten für bessere Betreuungsrelationen haben werden.“

Ein besonderes Problem sei der Umgang mit Ausfällen: „Die Eltern erwarten eine zuverlässige Betreuungssituation“, sagt Brand. „Gerade in den erkältungsintensiven Monaten stehen sie aber oft vor verschlossenen Türen oder müssen die Kinder früher abholen, weil nicht ausreichend Personal vorhanden ist.“

Entspannung in Sicht – aber neue Herausforderungen absehbar

Hintergrund: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen durch sinkende Geburtenzahlen eine mögliche Entspannung in den kommenden Jahren. In Teilen Ostdeutschlands gebe es bereits „ein Überangebot an Kitaplätzen“. Für Westdeutschland werde „2027/28 ein Ausgleich der Mangelsituation“ erwartet. Doch gleichzeitig kündigt sich eine neue Belastung an: Ab dem kommenden Schuljahr haben neu eingeschulte Kinder einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Dies werde „zu einem weiteren Personalbedarf vor allem in Westdeutschland führen“.

Die SWK empfiehlt deshalb, das Zeitfenster einer möglichen Entspannung jetzt konsequent für Verbesserungen im Gesundheits- und Qualitätsmanagement zu nutzen. News4teachers

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