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Podcast: „Kinder brauchen eine Lobby“ – ein Plädoyer für verbindliche Kita-Standards

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BONN. Kitas sind weit mehr als Orte der Betreuung – doch in der politischen und öffentlichen Wahrnehmung spielt das kaum eine Rolle. Das kritisieren Kindheitspädagogin Lea Wedewardt und Melanie Schnaubelt, Mitglied des Bürgerrats Bildung und Lernen, im Bürgerrats-Podcast „Bildung, bitte!“. Im Gespräch mit Host Andreas Bursche fordern beide einen radikalen Perspektivwechsel: Spielen ist Lernen und Beziehung ist Bildung! Sie mahnen: ohne verbindliche Qualitätsstandards bleibe frühkindliche Förderung ein Zufallsprodukt.

Von Stabilität und Verlässlichkeit ist das Kita-System derzeit weit entfernt. Symbolfoto: Shutterstock

„Bildung, bitte – auch in der Kita!?“ – mit dieser Frage will der Podcast das Thema frühkindliche Förderung mehr in den öffentlichen Fokus rücken. Zur Freude der beiden Gesprächspartnerinnen, denn „der Stellenwert von Kitas ist leider sehr gering“, kritisiert Kindheitspädagogin Lea Wedewardt. „Die Relevanz wird oft nicht gesehen. Es wird immer nur gefragt, ob genug Kitaplätze da sind, damit Mütter arbeiten können. Dabei wird zu keinem Moment darüber gesprochen, wie die Qualität vor Ort ist. Die Leidtragenden sind am Ende die Kinder.“

„Kitas sind immer mehr nur noch Verwahrungsorte“

Bürgerrätin Melanie Schnaubelt stimmt dem zu. Die ausgebildete Erzieherin mit Erfahrung als Kita-Leiterin hat gerade ihr Studium der Bildungswissenschaften abgeschlossen und betont die Bildungsfunktion der Kindertagesstätten. „Ich sehe frühkindliche Bildung als Fundament. Aufgrund der angespannten Personalsituation kommt das aber viel zu kurz. Es ist sehr, sehr schade, dass Kitas immer mehr nur noch Verwahrungsorte sind.“

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Beide wenden sich allerdings gegen die Vorstellung, frühe Bildung bedeute „Pauken“. Wedewardt unterstreicht, dass Spielen der zentrale Lernmodus sei. „Auf keinen Fall geht es ums Pauken. Das ist ein großes Missverständnis. Kinder sind kleine Forscher*innen: Sie handeln miteinander aus, klären Konflikte und gehen ihren Interessen nach. Das ist ein anstrengender Bildungsprozess, der im Spiel passiert.“ Schnaubelt ergänzt, welche Kompetenzen Kinder dabei erwerben, und verweist auf die professionelle Ausbildung. „Kinder lernen alles in ihrer Entwicklung spielerisch – Kommunikation, Sprache, komplexere Spielformen. In meiner Erzieherausbildung hatten wir ein eigenes Fach ‚Spiel‘. Das zeigt, wie relevant das ist.“

„Es gibt zu viele Kinder, zu enge Räume, zu wenig Fachkräfte.“

Beim Blick auf notwendige Veränderungen zeichnet Wedewardt ein Bild hoher Belastungen in vielen Einrichtungen: zu volle Gruppen, enge Räume, zu wenige Fachkräfte und mangelnde Beachtung von Bedürfnissen und Grenzen der Kinder. „Unsere Kitas dürfen nicht überwiegend Orte sein, an denen Wohlbefinden nicht möglich ist. Die Kinder sind gestresst – das zeigen aktuelle Studien. Es gibt zu viele Kinder, zu enge Räume, zu wenig Fachkräfte. Kinder erleben ständig Grenzüberschreitungen; sie haben erhöhte Cortisolwerte und sind gestresst.“

Im Gespräch betont die Kindheitspädagogin, dass Veränderungen auf vielen Ebenen notwendig seien – politisch, strukturell und gesellschaftlich, damit sich die Situation in den Einrichtungen verbessern könnte. „Es braucht eine Lobby, die Kinder endlich ins Zentrum politischer Diskussionen rückt. Durch den demografischen Wandel wird das aber immer schwieriger, weil die Gruppe der älteren Menschen wächst und die der Kinder schrumpft – sie haben schlicht keine Stimme. Wir brauchen mehr Personal, Geld für Räume und eine flächendeckende Qualitätskontrolle.“ Zugleich plädiert sie für eine neue gesellschaftliche Wertschätzung des Berufs. „Das Bild der ‚Kindergartentante‘ ist überholt. Erzieher*innen sind Expert*innen für Beziehungsgestaltung – das können nur wenige Menschen wirklich gut. Es ist einer der wichtigsten Berufe überhaupt, weil wir hier demokratische Grundwerte und emotionale Kompetenzen legen, die Kinder ihr Leben lang prägen.“

Forderung nach verbindlichen Qualitätsstandards

Schnaubelt nennt als Ziel, dass gute Kita-Beispiele zum Standard werden – mit verbindlichen Regeln und gelebten Kinderrechten, einschließlich früher Mitbestimmung. „Partizipation ist total wichtig – auch im U3-Bereich können Kinder bei Alltagstätigkeiten mitbestimmen. Dass es wichtig ist, dass Kinder merken, dass ihre Stimme gehört wird.“ Mit dieser Meinung war Schnaubelt im Bürgerrat auch nicht allein: Über frühe Bildung sei zwar viel kontrovers diskutiert worden, aber gerade „die frühe Partizipation fand eine sehr hohe Zustimmung – da waren sehr, sehr viele dafür“.

Ähnlich wie Schnaubelt plädiert auch Kindheitspädagogin Wedewardt für allgemeine Qualitätsstandards. „Die Standards würden sich vor allem darauf beziehen, dass der Rahmen stimmt und die Interaktionen so gestaltet sind, dass es allen gutgehen kann. Es geht nicht darum, pädagogische Konzepte einzuschränken, sondern darum, einen verbindlichen Maßstab für den Umgang miteinander zu setzen.“ Wichtig sei ein wertschätzender Umgang miteinander, das Kind als Individuum wahrzunehmen und nicht verletzend zu handeln. „Das sollte in jeder Kita Pflicht sein.“

Ruf nach Investitionen in Prävention

Solche Standards jedoch verbindlich einzuführen, bedürfe enormer Ressourcen, gibt Wedewardt zu bedenken. Sie appelliert daher an die Politik: „Die Kindheit ist die prägsamste Phase unseres Lebens. In dieser Zeit verfügt das Gehirn über die meisten Synapsen, die noch nicht miteinander verknüpft sind. Wenn Kinder in dieser sensiblen Phase dauerhaft Stress erleben, prägt das ihr Nervensystem – und sie tragen diese Belastungen bis ins Erwachsenenleben hinein. Deshalb müssen wir bedenken, wie relevant diese frühen Jahre sind und was verloren geht, wenn wir sie vernachlässigen.“ Die Politik müsse daher viel mehr in Prävention investieren, statt nur auf kurzfristige, aber sichtbarere Erfolge zu fokussieren. News4teachers

Hintergrund

Der Bürgerrat Bildung und Lernen besteht aus mehr als 700 zufällig ausgelosten Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland und wurde 2020 von der Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen. Sie hat auch den vorliegenden Podcast bereitgestellt.

Im Sinne einer lebendigen Demokratie diskutieren die Mitglieder des Bürgerrats gemeinsam über gesellschaftliche und bildungspolitische Fragen. Welche Probleme und Herausforderungen müssen im Bildungsbereich dringend bearbeitet werden? Wie könnten bildungspolitische Reformen aussehen, die Probleme lösen und gleichzeitig in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind? Und: Wie soll gerechte Bildung in Zukunft aussehen?

Ein umfassendes Papier mit Empfehlungen wurde unlängst erarbeitet (News4teachers berichtete). Leitthema dabei: „Chancengerechtigkeit: Wie viel Freiheit braucht das Lernen?“

Der Bürgerrat Bildung und Lernen ist aktuell der einzige Bürgerrat, der auf Bundesebene aktiv ist und auch Kinder und Jugendliche einbezieht. Die mehr als 250 Schülerinnen und Schüler kommen über sogenannte Schulwerkstätten der Bundesländer dazu und sind vollwertige Mitglieder des Bürgerrats Bildung Lernen. Darüber hinaus haben sie aber auch eigene Empfehlungen entwickelt sowie einen offenen Brief unter dem Titel „Hört und zu!“ geschrieben.

www.buergerrat-bildung-lernen.de

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Den Podcast finden Sie auch auf

 

Wie viel ist uns die Bildung wert? Eine Debatte mit Finanzminister Alexander Lorz über Geld und Chancengerechtigkeit

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