HAMBURG. Schluss mit Experimenten in der Grundschule. Dies fordern Lehrerverbände angesichts des schlechten Abschneidens von Grundschülern aus den Stadtstaaten bei der bundesweiten Bildungsstudie der KMK.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, bemängelte im Magazin «Focus» den Trend zur Absenkung von Anforderungen, um möglichst viele Schüler zum Abitur zu bringen. Er prangerte «völlig anspruchslose Lehrpläne und eine lasche Unterrichtsdidaktik» in den Stadtstaaten an. Die Kultusminister der Stadtstaaten müssten ihre Stundentafel in den Kernfächern Deutsch und Mathematik deutlich erhöhen und sich auf detailliertere Lehrpläne festlegen. Zudem sei «Frühenglisch» überflüssig, die Stunden sollten eher dem Fach Deutsch zugute kommen. Auch der Vorsitzende des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, kritisierte: «Die Politik wünscht sich hohe Übertrittsquoten zum Gymnasium. Um diese zu erreichen überbieten die Stadtstaaten sich mit immer neuen Innovationen.» Das führe zu Qualitätsverlusten.
Hamburgs Grundschüler hatten vor allem beim Lesen und Rechnen und Zuhören in der Studie schlechte Zeugnisse bekommen. Auch beim Verständnis von Texten liegen sie hinten. Das ist eines der Ergebnisse des Grundschulleistungsvergleichs nach Bundesländern, der Anfang des Monats von der Kultusministerkonferenz (KMK) vorgestellt wurde. Hamburgs Bildungsbehörde begründete das schlechte Abschneiden vor allem damit, dass in den Stadtstaaten der Anteil von Kindern aus Zuwandererfamilien viel höher sei.
Gegen Lückentexte und Multiple-Choice-Tests
Bereits zum Weltalphabetisierungstag am 8. September hatte Kraus auf die Bedeutung einer „grundsoliden sprachlichen Schulung im Deutschen“ hingewiesen. „Das Fach Deutsch hat in den letzten Jahren durch schulpolitische Entscheidungen starke Einschränkungen hinnehmen müssen. Stunden wurden gekürzt, Lehrpläne zusammengestrichen, der Wortschatz, den Grundschüler lesend und schreibend beherrschen sollen, wurde immer weiter reduziert, die herkömmliche und über Generationen hinweg bewährte Ausgangsschrift wird in einigen deutschen Ländern abgeschafft“, kritisierte Kraus. „Statt Lesen, Schreiben und Rechtschreibung durch intensives Lesen und Schreiben von Texten zu üben, verdrängen Lückentexte und Multiple-Choice-Tests im Unterricht den differenzierten Gebrauch der Sprache. Experimente im Lese- und Schreiblernprozess machen ganze Schülergenerationen zu Versuchskaninchen, ohne dass vorher tatsächlich bewiesen wird, dass eine neue Methode besser ist.“
Dies führe nicht nur zu einem seitens der Hochschulen und der Ausbildungsbetriebe vielfach beklagten schwachen sprachlichen Niveau vieler Studierender und Auszubildender. Es vergrößert zudem die Gefahr, dass Schulabbrecher und Schulabgänger den Kontakt zur Schriftsprache verlieren und als funktionale Analphabeten ihre Lese- und Schreibfertigkeiten verlernten. Kraus: „Da flüssiges Lesen und Schreiben die unbedingte Voraussetzung für eine gelungene Bildungsbiographie sind, müsste gerade in den unteren Klassen dem Deutschunterricht Vorrang vor allen Experimenten wie Frühenglisch eingeräumt werden.“ bibo / mit Material von dpa
(13.10.2012)
Zum Bericht: “Grundschul-Ranking: Bayern ist spitze. Doch was nützt die Erkenntnis?”
