POTSDAM. Zu einem Tarifabschluss gehört es, Kröten zu schlucken – für beide Seiten. Das gilt auch im öffentlichen Dienst der Länder. Allerdings trifft es aktuell die Lehrer besonders hart. An den Einkommensunterschieden bei ihnen wird sich nichts ändern. Deshalb drohen neue Streiks an Schulen.
Das Ergebnis nach drei zähen Verhandlungsrunden: Die Beschäftigten bekommen bis 2014 stufenweise 5,6 Prozent mehr Geld. Für die Länder bedeutet das Mehrkosten in Milliardenhöhe – trotz angestrebter Schuldenbremse. Aber auch für die Gewerkschaften ist längst nicht alles rosig: Beim erbitterten Streit über die Bezahlung der angestellten Lehrer gibt es keinen Fortschritt.
Augenringe, Schweiß, Strapazen und dramatische Szenen sind Pflicht bei Tarifverhandlungen. Das war auch diesmal so: Sichtlich ermüdet und geschafft vom Verhandlungsmarathon traten die Kontrahenten in Potsdam vor die Medien, um das Ergebnis zu verkünden. Zu schaffen machte den Verhandlungspartnern vor allem ein Thema: Die Gewerkschaften wollten den Einstieg in einen bundesweit einheitlichen Tarifvertrag für die rund 200.000 angestellten Lehrer erreichen. Doch die Arbeitgeber schalteten auf stur.
Selbst als die Tarifrunde längst beendet war, gingen die Auseinandersetzungen noch weiter: Vor laufenden Kameras setzten die resolute Verhandlungsführerin der Bildungsgewerkschaft GEW, Ilse Schaad, und der Chef der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), Jens Bullerjahn (SPD), ihre Schuldzuweisungen fort. Schaad sprach von einer «Demütigung» und «Provokation» der Lehrer. Bullerjahn hielt dagegen: «Die öffentlichen Arbeitgeber waren bei den Gesprächen offen wie nie zuvor.»
Der Streit wird nun nach Ostern in eine neue Runde gehen. Die GEW und die Lehrerverbände des Beamtenbundes wollen über das weitere Vorgehen beraten. «Dazu gehören selbstverständlich auch Streiks», drohte Schaad. Jeder vierte der bundesweit 800.000 Lehrer ist nicht im Beamtenverhältnis, kann also auch streiken. Ein angestellter Pädagoge in Sachsen bekommt heute unter Umständen 750 Euro pro Monat weniger als ein verbeamteter Kollege in Bayern oder Baden-Württemberg – bei gleicher Arbeit und Ausbildung. In der Streitfrage, in welche Gehaltsklasse sie eingruppiert werden, gilt für die Lehrer keine Friedenspflicht- sie dürfen also streiken.
Auch aus Baden-Württemberg kam wütender Protest. GEW-Landeschefin Doro Moritz kritisierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Landesfinanzminister Nils Schmid (SPD): «Bis 2011 haben Grüne und SPD den längst überfälligen Eingruppierungstarifvertrag selbst gefordert, jetzt lassen sie tatenlos zu, dass die pädagogischen Profis im 21. Jahrhundert weiter nach Gutsherrenart bezahlt werden.»
“Strukturprobleme” bei der Lehrerbesoldung räumt Bullerjahn ein
Dass in Sachen Lehrerbesoldung «Strukturprobleme» bereinigt werden müssen, räumte auch Bullerjahn ein. Viele Länder werden in Zukunft Probleme bekommen, ausreichend Nachwuchs an Pädagogen für die Schulen zu bekommen. Bundesweit ist heute schon jeder dritte Lehrer älter als 55, in den neuen Ländern gibt es kaum noch Pädagogen unter 40. Der Beschluss der Kultusminister aus der vergangenen Woche, künftig alle Lehrerexamen bundesweit anzuerkennen, dürfte auch eine Abwanderung der Pädagogen in reichere Länder befördern.
Für den 50-jährigen Bullerjahn, der im vergangenen Herbst den Vorsitz der Länder-Arbeitgebervereinigung TdL übernahm, war es die erste Bewährungsprobe bei einer großen Tarifrunde. Auch Gewerkschafter bescheinigten ihm Ruhe, Souveränität und Zielorientiertheit in der Verhandlungsführung – sieht man von der Kontroverse um den geplatzten Einstieg in den Lehrertarifvertrag ab.
Als Finanzminister von Sachsen-Anhalt muss Bullerjahn spitz rechnen. Dass es auf der Gehaltsseite nicht ohne Zugeständnisse der Arbeitgeber ging, war ihm auch klar. Als es in einer nächtlichen Sitzung im Arbeitgeberlager in Sachen Gehalt einmal empfindlich hakte, klemmte er sich persönlich ans Telefon und klingelte einige Länderkollegen aus dem Bett, um für den Kompromiss zu werben. KARL-HEINZ REITH und CHRISTIANE JACKE, dpa
(10.3.2013)
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