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Die Grenzen der Inklusion: Der Fall Henri wird zum Politikum

Ein Kommentar von NINA BRAUN

Die Bildungsjournalistin Nina Braun. Foto: Bildungsjournalisten.de

Der Fall Henri bewegt die Gemüter – auch in den Foren von News4teachers. Leserin „Kira2“ hat recht. Sie kommentiert die Frage, ob ein geistig behinderter Junge aufs Gymnasium darf, weil die Eltern es so wollen: „Solange es keine vollständige Inklusion gibt, (das heißt: Abschaffung von äußerer Differenzierung nach der Grundschulzeit), sehe ich keinen Sinn darin, einem geistig behinderten Kind zu gestatten, auf das Gymnasium zu gehen und einem ‚normal begabten‘ Hauptschüler nicht“, so schreibt sie. „Inklusion heißt ja nicht: Behinderte Kinder zu bevorzugen, sondern ihnen das ‚gleiche Recht auf Bildung‘ zukommen zu lassen. Und das gleiche Recht wie jeder, der auf einem Gymnasium nicht klarkommt, heißt in meinem Verständnis: Eine Schule zu finden, die ihm eher entgegenkommt.“

Tatsächlich: Sollten sich Henris Eltern durchsetzen und ihr Kind (von dem sie selber sagen, dass es das Abitur niemals schaffen wird) aufs Gymnasium schicken dürfen, dann ist dies nichts Geringeres als der Anfang vom Ende des gegliederten Schulsystems. Denn Schulformen für unterschiedlich leistungsstarke Schüler machen keinen Sinn (mehr), wenn in jeder Schulform das komplette Leistungsspektrum zu finden ist. Insofern hat auch die GEW recht, wenn sie die Inklusion – so wie sie Inklusion versteht jedenfalls – als Türöffner für ein einheitliches Gesamtschulsystem in Deutschland ansieht.

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Aber muss man die Inklusion wirklich so verstehen? Darf es in Zeiten der Inklusion überhaupt noch Schulen geben, die sich an eine Leistungselite richten? Aus meiner Sicht: ja. Inklusion bedeutet nicht (das steht auch nirgends), sämtliche Hürden zu schleifen, bis auch wirklich jeder hinübergelangt, damit alle immer alles gemeinsam tun können. Inklusion bedeutet, allen die gleichen Chancen auf eine bestmögliche Entwicklung zu geben. Das heißt aber auch: die Leistungsstarken nicht zu bremsen. Im Sport etwa ist es selbstverständlich, dass Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen in getrennten Klassen antreten. Niemand kommt auf die Idee – bislang jedenfalls nicht –, Fußballvereine zu zwingen, Gehbehinderte in ihre Leistungsmannschaften aufzunehmen. Auch im Beruf gibt es Zugangshürden, die in der Sache begründet liegen. Niemand würde einen Menschen mit geistiger Behinderung beispielsweise zum Arzt machen wollen.

Soll ein Kind mit Downsyndrom also nicht aufs Gymnasium gehen dürfen? Doch, natürlich  – wenn die begründete Aussicht besteht, dass es den gymnasialen Anforderungen gerecht werden kann. Das ist im Fall Henri offenbar nicht gegeben. Hier scheint der Streit ums Prinzip wichtiger zu sein als das Wohl des Kindes. Und der Grundgedanke der Inklusion, Menschen mit Behinderten volle Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, wird ad absurdum geführt. Denn der Junge würde am Gymnasium zweifellos zum Außenseiter.

Baden-Württembergs Kultusminister Stoch ist nicht um die Aufgabe zu beneiden, über die Aufnahme Henris am Gymnasium entscheiden zu müssen. Entscheidet er zum Wohl des Jungen, fallen die Ideologen aus dem eigenen grün-roten Lager über den Sozialdemokraten her. Entscheidet er sich fürs Prinzip, wird er bundesweit Kopfschütteln ernten. Ein Gutes hat die Sache allerdings: Endlich wird in Deutschland einmal breit über das Thema Inklusion und die Folgen diskutiert. Gerade nach den jüngsten Erfahrungen mit G8 darf man gespannt sein, wie sich die Debatte entwickelt. Auch wenn die Politik so tut: Darüber, wie Inklusion in der Praxis später einmal aussehen wird, ist noch lange nicht entschieden.

Zum Bericht: Geistig behindertes Kind aufs Gymnasium? Mutter findet Aufregung übertrieben

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