DÜSSELDORF. Kaum ein Thema über das häufiger gestritten wird: Die Rechtschreibung. Jetzt hat die FDP-Opposition im Landtag NRW die Methode „Schreiben wie Hören“ nach dem Pädagogen Reichen zur Diskussion gestellt – sie fordert eine Aussetzung der Methode. Jetzt wurden Experten dazu angehört. Ihr Fazit: Die Reichen-Methode in Reinform finde so gut wie nicht mehr statt. Auf dem Weg zu einer guten Rechtschreibung komme es entscheidend auf die Kompetenz der Lehrkräfte an, meldet die Landtagswebseite landtag.nrw.de.
Zentrale Kritik übt die FDP an der Methodik des Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen, nach der Kinder möglichst unbeschwert an das Schreiben herangeführt werden sollen und sich die Schriftsprache eigenständig erarbeiten. Fehler werden von den Lehrkräften zunächst nicht verbessert. Aufgrund dieser und ähnlicher Methoden nähmen die Rechtschreibschwierigkeiten sprunghaft zu, heißt es im Antrag der FDP.
Wie die Landtagswebseite berichtet, sagte Prof. Agi Schründer-Lenzen von der Universität Potsdam, dass manche Kinder nach der Grundschulzeit tatsächlich keine verständlichen Texte verfassen können. Zu lange hätten sie gehört “Schreibe, wie Du sprichst.” In der Tat gebe es zu viele Kinder, die nicht gut genug lesen und schreiben könnten, stimmte Prof. Hans Brügelmann vom Grundschulverband zu. Allerdings sei Schreiben mehr als Rechtschreibung. Und dass sich letztere wirklich verschlechtert habe, sehe er empirisch bislang nicht ausreichend belegt. Auch hinsichtlich des Vergleichs unterschiedlicher Methoden, wie etwa der von Reichen, fehlten experimentell kontrollierte Studien.
Zentraler Bestandteil der Reichen-Methode aus den 1970er-Jahren ist eine Anlauttabelle. Diese stellt den Klang einzelner Buchstaben anhand von Bildern dar. So sollen die Kinder möglichst schnell eigene Texte verfassen können.
Dazu äußerten sich die Experten aus der Wissenschaft in der Anhörung, laut landtag.nrw.de, folgendermaßen: Anlauttabellen gebe es zuhauf, sagte Wolfgang Steinig, Professor an der Universität Siegen. Es komme darauf an, wie man damit umgehe und dass man sie nicht langfristig als zentrales Element nutze – alles andere sei methodisch dünn. Die Grundschullehrerinnen Maren Reimann aus Dortmund und Katja Hellmann aus Minden berichteten von ihrem Unterricht mit diesem Instrument. Der mit der Einschulung verbundene Wunsch der Kinder sei es, zügig Lesen und Schreiben zu lernen. Das könnten sie nur, wenn ihnen – wie mit der Anlauttabelle möglich – von Beginn an alle Buchstaben zur Verfügung stünden, erläuterte Hellmann. “Ganz klar ist aber auch, dass Kinder an Rechtschreibnormen herangeführt werden müssten”, ergänzte Reimann. Freischreiben und gezielte Rechtschreibarbeit gingen Hand in Hand. Wann die Anlauttabelle wegfallen könne, entscheide sich individuell je nach Kind. Kinder hätten in der Hinsicht einen ganz unterschiedlichen Stand, bestätigte Prof. Erika Brinkmann von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Manche bräuchten die Tabelle bis weit ins zweite Schuljahr. Sie sprach sich zudem für modellhafte Korrekturen aus, die den Kindern parallel zu ihrer fehlerhaften die richtige Schreibweise aufzeigten. Sobald Kinder ein Verständnis des Alphabets hätten, könne man mit ihnen über Rechtschreibung sprechen.
Voller Lob war Prof. Schründer-Lenzen für die geschilderten Fälle aus der Praxis. Das sei weit entfernt von der reinen “Lesen durch Schreiben”-Lehre, sagte sie laut landtag.nrw.de. Reichen sei der Auffassung gewesen, dass Schreibenlernen ganz von selbst passiere und Kinder im ersten Schuljahr keinerlei Systematik bräuchten. “Zum Glück werden diese Statements von ihm mittlerweile in der Unterrichtspraxis auch anders wahrgenommen”, meinte die Wissenschaftlerin. Es herrsche Konsens darüber, dass alle Kinder von Anfang an die Einsicht in rechtschreibliche Prinzipien bräuchten.
Landtag.nrw.de berichtet weiter, dass auch Prof. Stefan Jeuck vom Sprachdidaktischen Zentrum an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg betonte, er kenne niemanden, der rein nach “Lesen durch Schreiben” unterrichte. Der Mix unterschiedlicher Methoden und damit eine große Vielfalt von Lehransätzen sei in den Schulen die Regel. Daher mache es auch keinen Sinn, eine Methode isoliert ins Zentrum der Rechtschreibdiskussion zu stellen. Auch das Verbot einer speziellen Methode bewerteten die Sachverständigen als nicht zielführend und teils als überzogene Einmischung der Politik. nin
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Zum Kommentar Streit um “Schreiben wie Hören” – Pure Ideologie ist im Spiel