Website-Icon News4teachers

Inklusion: Sonderschulen werden zu Bildungs- und Beratungszentren – hofft der Verband

STUTTGART. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) hat in dieser Woche die Eckpunkte für die Integration behinderter Kinder (Inklusion) in die allgemeine Schule vorgestellt. Mit der geplanten Abschaffung der Sonderschulpflicht in Baden-Württemberg werden die Sonderschulen (andernorts: Förderschulen) aus Sicht des Verbandes Sonderpädagogik aber nicht verschwinden. «Sie werden bestehen bleiben, denn sie erhalten neue Aufgaben und Zielgruppen», sagte der Ehrenvorsitzende des Verbandes, Thomas Stöppler. Ein Interview.

Wie werden sich die Sonderschulen im Land verändern?

Stöppler: Sie werden sich weiterentwickeln zu sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren. Unsere Lehrer werden nicht nur die verbleibenden Kinder mit sonderpädagogischem Bedarf unterrichten, sondern auch außerhalb der Sonderschulen die Lehrkräfte an allgemeinen Schulen beraten. Ihre Kenntnisse sind gefragt, wenn Arbeitsplätze an den allgemeinen Schulen für Seh- oder Hörgeschädigte an den allgemeinen Schulen eingerichtet werden. Auch bei der Prävention von Lern- und Verhaltensproblemen werden sie tätig werden. Schwerpunkt der Tätigkeit außerhalb der Sonderschulen wird aber die Begleitung inklusiver Bildungsangebote an den allgemeinen Schulen sein.

Anzeige

Was haben nicht-behinderte Schüler von den Sonderpädagogen?

Stöppler: Da müssen wir klare Grenzen ziehen. Es darf nicht sein, dass Förderung von Kindern mit Rechen- und Lese-Rechtschreib-Schwäche den Sonderpädagogen zugeschoben wird. Sonst kommt unsere eigentliche Klientel zu kurz. Wir müssen auch aufpassen, dass Sonderpädagogen nicht zur Vertretung der allgemeinen Lehrer herangezogen werden. Zustände in Berlin, wo sie zu 40 Prozent als Krankheitsreserve einspringen, dürfen hier nicht einreißen.

Wie wird die Arbeit mit den Sonderschülern sich verändern?

Stöppler: Es besteht die Gefahr, dass die Arbeit der Sonderschulen erschwert wird, wenn die Familien ihre weniger behinderten Kinder auf die Regelschule schicken. Dann bleiben möglicherweise nur Klassen mit mehrfach schwerstbehinderten Kindern übrig. Nach empirischen Befunden entscheiden sich aber nur 30 bis 25 Prozent der Eltern für eine inklusive Beschulung.

Wird es langfristig weniger Sonderschulen geben?

Stöppler: Da bin ich nicht sicher, denn es wachsen uns neue Zielgruppen zu. Durch den medizinischen Fortschritt überleben Frühchen, die früher keine Chance gehabt hätten. Diese sind häufig mehrfachbehindert und brauchen besondere Förderung. Auch psychische Störungen nehmen zu.

Wo sollten die Sonderpädagogen verortet sein?

Stöppler: Im Gegensatz zum Kultusministerium bin ich überzeugt, dass sie weiter zu den Sonderschulen gehören sollten. Wenn sie als Lehrer gruppenbezogene Inklusion begleiten und sich diese Gruppen auflösen, dann können wir die Sonderpädagogen nicht wie Schachfiguren von einer allgemeinen Schule an die nächste versetzen. Außerdem sollte ihnen die Möglichkeit von Fachgesprächen mit den Kollegen an den Sonderschulen erhalten bleiben. Sonderpädagogen brauchen für ihre berufliche Identität die Heimat an der sonderpädagogischen Einrichtung.

Gibt es genügend Sonderpädagogen?

Stöppler: Sonderpädagogen sind eine rare Spezies und der Bedarf wird wachsen. Schon jetzt sind jedes Jahr im August keine mehr auf dem freien Markt. Von den jährlich etwa 600 Absolventen bleiben nur 350 bis 450 im Südwesten. Der Beruf, den derzeit 10 000 Menschen im Südwesten ausüben, hat definitiv Zukunft, denn die Inklusion kommt ohne sie nicht voran.

ZUR PERSON: Thomas Stöppler (58) hat lange Zeit eine Schule für Erziehungshilfe und eine Förderschule geführt. Seit 11 Jahren ist er Leiter des staatlichen Seminars Sonderpädagogik in Stuttgart. Der Heilbronner fungiert auch als Sprecher aller drei Seminare – neben Stuttgart auch Heidelberg und Freiburg. Interview: Julia Giertz, dpa

Die mobile Version verlassen