BERLIN. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums kommt zu dem Schluss, das Betreuungsgeld sei bildungsfeindlich. Insbesondere Migrantenfamilien würden davon abgehalten, ihre ein- und zweijährigen Kinder in die Kitas zu schicken. Kritiker fragen: Ja, und?
Baden-Württembergs Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) sieht sich in ihrer Kritik an der «Herdprämie» bestätigt. «Es bewirkt genau das Gegenteil davon, was gewollt war: Statt die Zukunft für die Kinder zu verbessern, verschlechtert sie deren Situation», sagte Altpeter in Stuttgart. Der Zuschuss für Eltern, die ihr Kleinkind zu Hause betreuen wollen, sei ein «frauen- und integrationspolitischer Irrsinn».
Anlass der Tirade: eine aktuelle Studie zum Betreuungsgeld, die das Bundesfamilienministerium unter Ministerin Manuela Schwesig (SPD) in Auftrag gegeben hat. Nach der Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts und der Universität Dortmund hält das vor einem Jahr eingeführte Betreuungsgeld viele Migrantenfamilien und Eltern mit geringer Bildung davon ab, ihre Kleinkinder in eine Kita zu schicken. Schwesig versicherte zwar umgehend, die Koalitionsdisziplin in der Bundesregierung wahren zu wollen und zur einst vor allem von der CSU durchgesetzten Leistung zu stehen.
Gespielt wird aber offenbar über Bande. Die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg lässt nämlich kein gutes Haar am Betreuungsgeld – und hält sich eine Bundesratsinitiative gegen die Maßnahme offen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Kultusminister Andreas Stoch (SPD) bekräftigten in Stuttgart, das Betreuungsgeld setze falsche Anreize, da vor allem Eltern bildungsferner Schichten das Angebot nutzten und ihre Kinder zu Hause betreuten. «Ich halte dieses Thema Betreuungsgeld für einen der größten Fehler, was die Anreizfunktion angeht, den man in der Bundespolitik in den letzten Jahren gemacht hat», sagte Stoch.
Kretschmann sagte, es werde ein ideologischer Kampf um Familienbilder auf dem Rücken derer ausgetragen, die eine frühkindliche Bildung am nötigsten hätten. Die Erfolgsaussichten einer Bundesratsinitiative sollten noch einmal sondiert werden, sagte Kretschmann.
Allerdings: Es gibt durchaus Zweifel an der Aussagekraft der Studie, die den Kritikern des Betreuungsgelds als Anlass für ihre neuerliche Offensive dient . „Die Untersuchung ist methodisch fragwürdig und liefert verzerrte Ergebnisse“, so heißt es beispielsweise in einem Beitrag der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ). Kritisiert wird ein „selektiver Fragemodus“, der den Befragten gar nicht die Möglichkeit gegeben habe, einen anderen Grund als „Geld“ für eine Entscheidung für eine Betreuung zu Hause anzugeben.
Auch die Schlussfolgerung wird kritisiert. „Kinder aus Migrantenfamilien werden, so heißt es empört, in den ersten drei Lebensjahren vom nötigen Deutschsprechen abgehalten, wenn sie nicht in die Kita gehen. Aber wieso soll das eigentlich so schlimm sein? Selbst in den Fällen, in denen zu Hause gar nicht deutsch gesprochen wird, braucht eine Karriere in Deutschland jedenfalls nicht deshalb zu scheitern, weil man erst im Kindergarten, vom vierten Lebensjahr an, mit der deutschen Sprache in näheren Kontakt kam. Der Mythos ‚frühkindliche Bildung‘ gehört demontiert! Zumal er wissenschaftlich hoch umstritten ist“, so kommentiert die FAZ. Anders ausgedrückt: Lassen sich Ein- und Zweijährige überhaupt „bilden“ – oder steht in dieser Entwicklungsphase nicht ohnehin die Bindungsfähigkeit im Vordergrund?
Dass die Bindungsfähigkeit durch die real existierende Personalsituation in den Kitas besonders gefördert wird, darf jedenfalls getrost bezweifelt werden. Einer aktuelle Studie zur Qualität der Betreuung in den Kitas zufolge fehlen bundesweit rund 120.000 Erzieherinnen und Erzieher, um ein hochwertiges Angebot zu gewährleisten. Dabei wurde der belastungsbedingt extrem hohe Krankenstand unter Erzieherinnen und Erziehern noch gar nicht einbezogen. Dazu kommt eine erhebliche personelle Fluktuation.
Die betroffenen Bürger ficht die Kritik am Betreuungsgeld offenbar auch nicht an. Trotz der Ablehnung durch die grün-rote Landesregierung sind die Anträge in Baden-Württemberg besonders hoch. Mit 61.062 Anträgen, davon 58.865 bewilligten, liegt das Land mit Bayern und Nordrhein-Westfalen in der Spitzengruppe. Das umstrittene Betreuungsgeldgesetz war vom Bundestag Anfang November 2012 verabschiedet worden. Zum 1. August 2013, also vor einem Jahr, wurde erstmals Betreuungsgeld ausbezahlt. Vom 1. August dieses Jahres an erhalten Eltern 150 Euro pro Monat und Kind. Bisher waren es Jahr 100 Euro. Die Sozialleistung wird maximal vom 15. Lebensmonat bis zum dritten Geburtstag gezahlt. Dabei darf das Kind nicht vor dem 1. August 2012 geboren sein. News4teachers / mit Material der dpa
Zum Kommentar: Der Kita-Notstand