DÜSSELDORF/MÜNCHEN/STUTTGART/LEIPZIG. Von der Aufhebung des generellen Kopftuchverbots sind neben Nordrhein-Westfalen sieben weitere Bundesländer direkt betroffen, die ein entsprechendes Verbot in ihren Schulgesetzen verankert haben. Darüber hinaus sorgt das Urteil landauf landab für Diskussionen und wirft Bedenken auf.
Beim Deutschen Schulleiterkongress in Düsseldorf war das Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts schnell zu einem Top-Thema geworden. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann freute sich sehr über den Entscheid. Sie kündigte an, rasch die entsprechenden Änderungen am NRW-Schulgesetz einzuleiten.
Der am Freitag bekanntgewordene Richterspruch bedeutet auch einen späten Sieg für die muslimische Lehrerin Fereshta Ludin. 1998 hatte sich die damalige Kultusministerin Annette Schavan (CDU), geweigert, die junge Lehrerin Ludin mit Kopftuch nach dem Referendariat in den Schuldienst zu übernehmen.
Ludin, die 1972 in Afghanistan geboren wurde und einen deutschen Pass besitzt, war erfolglos durch alle Instanzen gezogen, bis das Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2003 ein Grundsatzurteil erlies: Demnach konnte muslimischen Lehrerinnen das Tragen der Kopfbedeckung im Unterricht untersagt werden, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage bestehe. Neben Baden-Württemberg und NRW haben Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und das Saarland entsprechende Verbote in ihren Schulgesetzen.
Ludin, die an eine muslimische Privatschule in Berlin gewechselt war, zeigte sich zufrieden mit dem Urteil. «Es geht hier nicht um Siegen oder Triumphieren. Aber ich freue mich nach dieser langen Zeit, dass die Gerechtigkeit hergestellt ist.»
Eine Änderung des baden-württembergischen Schulgesetzes gilt nun als wahrscheinlich. «Das Kultusministerium wird zunächst die schriftliche Begründung des Beschlusses eingehend prüfen, um danach zu entscheiden, welche Konsequenzen sich daraus für die Praxis in Baden-Württemberg ergeben und welche Schritte eingeleitet werden müssen», kündigte Minister Andreas Stoch (SPD) an. Glaubens- und Bekenntnisfreiheit habe einen hohen Stellenwert.
Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) sieht die Debatte um das Kopftuch mit dem Urteil nicht abgeschlossen. «Je stärker ein Kopftuch nicht mehr als etwas Privates, sondern Öffentliches wahrgenommen wird, desto skeptischer sieht es die Bevölkerung», sagte Öney.
Das Klassenzimmer dürfe nach Meinung von CDU-Fraktionschef Guido Wolf nicht für religiöse Auseinandersetzungen instrumentalisiert werden. Als Folge des Karlsruher Urteils gegen ein pauschales Kopftuchverbot müsse die Politik Kriterien entwickeln, dies im Einzelfall zu verhindern, sagte Wolf.
Heftige Diskussionen hat die Kopftuch-Erlaubnis auch in Bayern ausgelöst: Enttäuscht zeigte sich der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer. Vielen Menschen werde es schwerfallen, die Argumentation der Karlsruher Richter nachzuvollziehen: «Hier wird ein Fass aufgemacht, an dem in den letzten Jahren aus guten Gründen nicht mehr gerührt worden war.» Das Kopftuch sei vielfach Ausdruck nicht nur einer religiösen Überzeugung, sondern auch eines politischen Weltbildes, in dem die Scharia über staatlichen Gesetzen stehe, sagte der CSU-Politiker.
Dem widersprach die religionspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Ulrike Gote. Nach ihren Worten ist «das Kopftuch nicht automatisch gleichzusetzen mit religiösem Fundamentalismus». Die Grünen-Politikerin begrüßte die Karlsruher Entscheidung als «ein positives Signal für die Religionsfreiheit in unserem Land».
Das bayerische Kultusministerium unter CSU-Minister Ludwig Spaenle will das Urteil genau prüfen. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer betonte: «Bayern ist und bleibt ein christlich geprägtes Land, daran lassen wir nicht rütteln.» Man werde «alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen, damit das Christentum bei uns in Bayern privilegiert bleibt».
Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger hält das Karlsruher Urteil für einen Fehler. «Der Trend “Kreuze raus aus den Schulen, Kopftücher rein” setzt sich fort», sagte er. «Das ist bei aller gut gemeinter Toleranz ein Fehler.»
Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth derzeitige Präsidentin der Kultusminsterkonferenz sieht «Anpassungsbedarf» für einige Schulgesetze der Länder. Das Urteil lote das Verhältnis von öffentlichem Dienst und religiöser Betätigung neu aus, sagte die CDU-Politikerin. Die Entscheidung des Gerichts mache deutlich, dass vor Ort entschieden werden müsse, wie mit dem Tragen religiöser Symbole in Unterricht und Schule umgegangen werden solle.
Der juristische Erfolg zweier muslimischer Lehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen enthält denn auch eine Passage, die noch einiges Kopfzerbrechen bereiten könnte. Demnach ist ein differenziertes Verbot an bestimmten Schulen oder Schulbezirken denkbar, wenn «insbesondere von älteren Schülern oder Eltern über die Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten werden». Manche Kritiker könnten darin eine explizite Aufforderung sehen, sich möglichst heftig gegen eine kopftuchtragende Lehrerin an ihrer Schule zur Wehr zu setzen.
Der Vorstoß der Verfassungsrichter könnte daher letztendlich darauf hinauslaufen, dass sich nicht – wie erhofft – die Gesellschaft friedlich über Glaubensfragen auseinandersetzt – sondern dass Gerichte demnächst im Einzelfall Kopftuchverbote oder Schulverweise renitenter Schüler überprüfen müssen. (News4teachers mit Material der dpa)
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