Website-Icon News4teachers

UN-Prüfer stellen fest: Deutsche Schulen sind von Inklusion weit entfernt

BERLIN. Wie läuft die Integration von Behinderten in Deutschland? Schlecht, sagen diejenigen, die die Umsetzung der UN-Behindertenkonvention überwachen. Allerdings stellt sich die Frage nach dem Maßstab: Nach welchen Kriterien bemisst die so genannte Monitoring-Stelle den Grad an Inklusion vor allem an den Schulen in Deutschland? Der Bericht macht deutlich, dass die beim Institut für Menschenrechte angesiedelte Institution offenbar einen radikalen Ansatz vertritt.

Wird ein Kind mit Down-Syndrom an einer Regelschule genauso gut gefördert wie an einer Förderschule? Foto: Rich Johnson / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Deutschland verfehlt aus Sicht von Experten die Ziele der Vereinten Nationen bei der Eingliederung von Behinderten in wesentlichen Punkten. Die unabhängige nationale Monitoring-Stelle zur UN-Konvention von Behindertenrechten (deren Einrichtung von der Behindertenrechtskonvention gefordert wurde) kritisierte am Montag Bund und Länder, weil sie an gesonderten Einrichtungen für Behinderte festhalten – etwa bei Bildung, Wohnen und Arbeit. «Solche Doppelstrukturen bergen (…) die Gefahr von Ausgrenzung und Benachteiligung», heißt es in einem Bericht.

Nach jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es in Deutschland etwa 7,5 Millionen Schwerbehinderte. Die Bundesrepublik hat sich verpflichtet, die 2006 von den UN verabschiedete Konvention umzusetzen. Daraus leitet sich zum Beispiel ab, dass behinderte Menschen nicht vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen sein dürfen. Durchaus strittig ist allerdings, ob von Eltern gewünschte Förderschulen zu einem solchen allgemeinen Bildungssystem gehören – oder eben nicht.

Anzeige

Die Monitoring-Stelle hat zu dieser Frage eine klare Haltung – und Deutschland nach Darstellung der Prüfer einen großen Nachholbedarf. „Von einem inklusiven Bildungssystem ist der Vertragsstaat weit entfernt“, so heißt es in dem Bericht mit Blick auf Deutschland. Je nach Bundesland betrage die Inklusionsquote an allgemeinen Schulen demnach zwischen 15 und 63 Prozent. Von den Abgängern der Sonder- oder Förderschulen hatten laut Bericht 2012 fast drei Viertel keinen Hauptschulabschluss. „Einige Länder verweigern sich offenkundig dem Auftrag, Inklusion strukturell zu begreifen und halten an der Doppelstruktur Regelschule und Sondereinrichtung ausdrücklich fest. Beispielsweise hatte die Untersuchung der rechtlichen Rahmenbedingungen zum Ergebnis, dass es zwar Rechtsänderungen gegeben, jedoch kein Bundesland seine Rechtsvorgaben hinreichend entwickelt habe.“

Weiter heißt es: „Das Festhalten an einer Doppelstruktur behindert den im Vertragsstaat erforderlichen Transformationsprozess, in dessen Zuge die vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen der sonderpädagogischen Förderung in die allgemeine Schule verlagert werden könnten.“ Und: „Von einer Weichenstellung hin zu einem ‚inklusiven System‘ kann erst dann gesprochen werden, wenn die sonderpädagogische Förderung systematisch und strukturell in die allgemeine Schule verankert wird und gleichzeitig trennende Strukturen im Bereich der schulischen Bildung überwunden werden.“

Allerdings stellt sich die Frage: Wo steht das? Die UN-Behindertenrechtskonvention jedenfalls lässt sich konkret zur Schulstruktur nicht aus; dort (in Artikel 24) heißt es in der offiziellen deutschen Übersetzung  lediglich: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen (…).“ Weiter heißt es in Absatz zwei: “Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass (..) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden (…).“ Schließt das tatsächlich eine Förderung in besonderen Klassen oder Schulen aus – auch wenn die Eltern betroffener Kinder dies ausdrücklich wünschen? Experten zweifeln.

Nicht allerdings die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele. Sie meint: „Der Bereich der inklusiven Bildung läuft besonders schlecht. Das wird nicht in allen Bundesländern mit der gleichen Energie und Konsequenz vorangetrieben“, sagte sie. Der Bericht zeige, dass die verschiedenen Stellen besser zusammenwirken sollten. „Sowohl die Gesetzgeber auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene als auch die Verwaltungen, die die gesetzlichen Vorgaben umsetzen.“

Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) räumte am Montag in Berlin ein, dass es Rückschritte bei der Integration von Schwerbehinderten auf dem Arbeitsmarkt gebe. Die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten steige, sagte sie auf einer Veranstaltung unter anderem von Diakonie und Verdi. «Was ich eigentlich will: Dass Schwerbehinderte in den ersten normalen Arbeitsmarkt integriert werden.» Allerdings erhöhten sich laut Monitoring-Stelle die Zahlen derjenigen, die in eigenen Werkstätten für Behinderte beschäftigt sind. 2013 waren es 300.000 Menschen.

Man darf gespannt sein: Die Vereinten Nationen wollen Ende März einen eigenen Bericht vorlegen, wie Deutschland die Konvention umsetzt. News4teachers / mit Material der dpa

Zum Bericht: Streit um die Inklusion: Jetzt schreiben auch Eltern einen Brandbrief

Die mobile Version verlassen