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Inklusion: Philologenverband lehnt schwer geistig behinderte Schüler am Gymnasium ab

Stuttgart. Zum Entwurf der im Zuge der Inklusion geplanten Schulgesetzänderung in Baden-Württemberg teilt der Landesverband des Philologenverbands (PhV BW) mit: Der PhV BW befürworte Inklusion im Rahmen zielgleichen Lernens, lehne aber die Einführung von Inklusion im Rahmen eines zieldifferenten Lernens für das Gymnasium ab. In Baden-Württemberg hatte der “Fall Henri” hohe Wellen geschlagen: Die Eltern hatten den Jungen mit Down-Syndrom an einem Gymnasium angemeldet – das die Aufnahme aber ablehnte.

In einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf, die dem Kultusministerium übermittelt wurde, heißt es: “Der PhV BW befürwortet Inklusion im Rahmen zielgleichen Lernens, die seit Jahrzehnten mit großem Engagement der Lehrkräfte in vielen Einzelfällen dazu führt, dass Jugendliche trotz sonderpädagogischem Förderbedarf an Gymnasien erfolgreich das Abitur ablegen können. Die Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen am Gymnasium ist im Hinblick auf das Kindeswohl nach Ansicht des PhV BW nur für diejenigen Schülerinnen und Schüler sinnvoll, die dem gymnasialen Bildungsgang folgen können, das heißt für Schülerinnen und Schüler mit körperlichen Behinderungen (zum Beispiel Seh-, Hör- oder Gehbehinderungen), leichten geistigen Behinderungen oder spezifischen Verhaltensdispositionen wie z.B. Autismus, die durch besondere Geräte, die Hilfe sonderpädagogischer Fachkräfte oder spezieller Maßnahmen aufgefangen werden können, sodass diese Schülerinnen und Schülern den Weg in Richtung allgemeine Hochschulreife beschreiten können.

Nach der von der grün-roten Landesregierung geplanten Änderung des Schulgesetzes sollen Eltern eines behinderten Kindes zukünftig wählen können, ob ihr Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot an einer allgemeinen Schule oder einem sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (bisherige Sonderschulen) erfüllt werden soll. Dabei sollen die Bildungsziele und Leistungsanforderungen eines Schülers mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot von denen der besuchten allgemeinen Schule abweichen können (zieldifferenter Unterricht).

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Der PhV BW lehnt die Einführung von Inklusion im Rahmen eines zieldifferenten Lernens für das Gymnasium ab, da gymnasiale Lehrkräfte im Rahmen eines zieldifferenten Unterrichts den betroffenen stark geistig behinderten Kindern längst nicht so gerecht werden können, wie dies für die speziell dafür ausgebildeten Lehrkräfte an der Sonderschule der Fall ist. Der PhV BW bezweifelt, dass ein durch das hohe gymnasiale Lernniveau und die hohe Lerngeschwindigkeit (G8) bedingtes weitgehend isoliertes Nebeneinanderher-Lernen (es würde im Übrigen grundsätzlich ein durchgängiges Zwei-Lehrer-Prinzip voraussetzen) geeignet ist, dem geistig behinderten Kind das Selbstwertgefühl und die Erfolgserlebnisse zu geben, die dem Kindeswohl optimal entsprächen.

Nach Ansicht des PhV BW kann die Einführung der Inklusion im Sinne eines zieldifferenten Unterrichts an allgemeinen Schulen nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) begründet werden, die generell den Zugang zu Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe fordert, was für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in vielen Fällen in der Sonderschule sogar besser umgesetzt werden kann als an der allgemeinen Schule.

Die seitens des Kultusministeriums immer wieder vorgebrachte Behauptung, die UN-BRK bedinge zwangsläufig das für Baden-Württemberg vorgelegte Inklusionsgesetz, ist falsch. Die Fehleinschätzung beruht im Übrigen u.a. auf einer ‘fatalen Umdeutung’ des englischen Begriffs ‘general education system’ (wie auf News4teachers ausgiebig diskutiert wurde).

Die Lehrkräfte am Gymnasium müssen laut Schulgesetz der nicht leichter gewordenen Aufgabe (Heterogenität, G8) gerecht werden, Schülerinnen und Schüler ihrem Ziel der allgemeinen Hochschulreife entsprechend zu fördern. Die UN-BRK sieht vor, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, das Wohl des einzelnen Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist, und bei Entscheidungen im Einzelfall dem Wohl der jungen Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen Rechnung zu tragen ist.

Zur Unterstützung inklusiver Bildungsangebote fordert der PhV BW die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen zur Senkung der Klassengrößen für Inklusionsklassen auf maximal 16 Schüler und zur flächendeckenden Fortbildung der Lehrkräfte allgemeiner Schulen mit Inklusionsangeboten. Angesichts erheblicher Bedenken gegen eine Einführung des inklusiven zieldifferenten Unterrichts und bislang fehlender Konzepte ist nach Ansicht des PhV BW die Umsetzung dieser Inklusionspläne um mindestens ein Jahr zu verschieben.”

Die ausführliche Stellungnahme des PhV BW zu der von der Landesregierung geplanten Schulgesetzänderung bezüglich inklusiver Bildungsangebote kann hier  nachgelesen werden.

 

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