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KMK-Präsidentin Kurth nimmt Lehrer in Schutz: „Schule ist nicht Reparaturbetrieb der Gesellschaft“

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DRESDEN. Allgemeinwissen, gutes Benehmen, gesunde Ernährung – die Liste mit Forderungen nach neuen Schulfächern ist lang. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth, sieht bei diesen Themen aber nicht die Schule in der Pflicht. Pikanterweise stellt sie sich damit gegen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), eine Parteifreundin. Die hatte erst am Wochenende die Einführung eines Faches “Alltagswissen” vorgeschlagen.

Wendet sich gegen Forderungen nach immer neuen Fächern: Brunhild Kurth. Foto: Sächsisches Kultusministerium.

Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) hat vor übertriebenen Anforderungen von Eltern an das Schulsystem gewarnt. «Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung zeigt Tendenzen, Schule überzogen zu überfordern. Wenn Eltern Kinder haben, sind sie auch in der Verantwortung», sagte Kurth. Im Interview spricht sie auch über die Forderung nach neuen Schulfächern – und über mehr lebensnahen Unterricht.

In Umfragen wünschen sich viele Eltern neue Schulfächer wie Benimmkurse oder gesunde Ernährung. Sehen Sie an den sächsischen Schulen Nachholbedarf?

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Kurth: Es ist heutzutage fast schon modern, immer mal wieder ein neues Unterrichtsfach zu fordern. Wirtschaft, gesunde Ernährung, kürzlich gab es sogar die Forderung nach Benimmunterricht. Das war für mich die Krönung. Und da stelle ich mal die Frage, wozu denn ein Elternhaus da ist? Liegt hier nicht eher das Defizit? Gerade die Kleinkindphase ist wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung, und da spielt das Elternhaus eine ganz entscheidende Rolle. Wird dem Kind genug Zuneigung zuteil, wird auch einmal vorgelesen? Die Familie wird in der heutigen Zeit viel zu oft ausgeblendet.

Sind die Anforderungen also überzogen?

Kurth: Schule ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, aber nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft. Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung zeigt Tendenzen, Schule einfach überzogen zu überfordern. Wenn Eltern Kinder haben, sind sie auch in der Verantwortung. In unserer Gesellschaft muss wieder lauter gesagt werden dürfen, dass Eltern die oberste Verantwortung für ihre Kinder haben. Der Lehrer ist nicht für die Rundumerziehung des Kindes verantwortlich. Viele erwarten, dass soziale Unterschiede durch die Schule voll und ganz ausgeglichen werden. Diese Forderung kann Schule nicht erfüllen und hat sie auch nie erfüllen können.

Neue Fächer sind nicht geplant?

Kurth:  Wir könnten die Schüler 80 Wochenstunden unterrichten und den Fächerkanon noch so erweitern – die Eltern wären immer noch nicht zufrieden. Es geht nicht nur um das Vermitteln von reinen Fakten, sondern vielmehr um das Erwerben von Kompetenzen. Wie mache ich einen Schüler fit für das lebenslange Lernen – darum geht es. Natürlich muss die Schule Chancengleichheit bieten, aber die Grundlagen dafür werden im Elternhaus gelegt. Es kommt nicht auf die Zahl der Unterrichtsfächer an, wenn es um die Vermittlung von Werten und Normen geht.

Kann der Unterricht dennoch lebensnaher gestaltet werden?

Kurth: Unsere Lehrpläne sind richtig aufgestellt und geben den Lehrern auch viele Freiräume. Da liegt es an den Lehrern, diese Freiräume zu füllen. Der Unterricht muss anwendungsnah gestaltet werden. Zum Beispiel lassen sich im Biologieunterricht Themen wie gesunde Ernährung einbauen. Auch für Themen wie Steuern, Miete und Versicherung braucht man kein extra Unterrichtsfach, das lässt sich ebenfalls gut einbauen.

Gibt es da noch Spielraum bei der Zahl der Unterrichtsstunden?

Kurth: Bei Stunden sehe ich eine absolute Grenze erreicht. Wir sind in Sachsen mit unserer Stundentafel ganz weit oben. Es kommt auch nicht auf die Anzahl der Stunden oder Fächer an, sondern auf fächerübergreifenden Unterricht. Für die Qualität der Schule ist nicht ausschlaggebend, wie umfangreich die Stundentafel ist. Es geht um die Qualität des Unterrichts, die Kompetenz des Lehrers, das vernetzte Arbeiten, die Öffnung der Schule nach außen. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie wir die Schulen im Inneren noch moderner und flexibler gestalten.

Wie könnte das aussehen?

Kurth: Das könnte so aussehen, dass Schulen mehr Eigenverantwortung gegeben wird – sie bekommen mehr Möglichkeiten, ihren Schulalltag dem Umfeld und der konkreten Situation anzupassen. Das Lehrerkollegium kann etwa Abläufe flexibler gestalten – durch rhythmisierten Unterricht oder Doppelstunden. Lehrer sollen auch ermutigt werden, neue Konzepte gemeinsam mit Eltern und Kindern zu entwickeln. Schulen könnten gemeinsam Kurse anbieten. Manche Schulgebäude haben noch eine Sternwarte, die dann Schüler aus der Nachbarschule mit besuchen können. Kooperationen werden künftig eine große Rolle spielen – und das nicht nur im ländlichen Raum.

ZUR PERSON: Brunhild Kurth (61) stand bis zur Wende als Lehrerin für Biologie und Chemie in Sachsen selbst vor Schulklassen. Nachher war sie unter anderem Leiterin des Gymnasiums Burgstädt und in diversen Positionen in der sächsischen Schulverwaltung tätig. Seit März 2012 amtiert sie als Kultusministerin in Sachsen. In diesem Jahr ist sie turnusmäßig die Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Von Christiane Raatz, dpa

Zum Bericht: Gymnasiums-Hysterie – Kurth rät Eltern zu Gelassenheit

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