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Debatte entbrannt: Schwesig fordert späteren Unterrichtsbeginn – Lehrerverbände uneins

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BERLIN. Der Druck auf die Schulen in Deutschland wächst, den Unterrichtsbeginn nach hinten zu verschieben. Jetzt hat sich auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) für einen späteren Schulstart ausgesprochen. „Viele Familien wünschen sich die Entschleunigung morgens”, sagte sie. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, griff den Vorschlag auf und will einen späteren Schulbeginn per Modellversuch erproben. Widerspruch kommt dagegen vom Philologenverband – und, pikanterweise, aus dem SPD-geführten Kultusministerium von Baden-Württemberg.

„Viele Familien wünschen sich die Entschleunigung morgens”: Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. Foto: AWO Bundesverband / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Anlass der Diskussion ist ein Vorstoß des Psychologie-Professors Till Roenneberg von der Ludwig-Maximilians-Universität München, der befand: „Das Schulsystem arbeitet gegen die Natur der Jugendlichen” – Spätschläfer würden benachteiligt. Damit löste er eine breite Debatte aus (News4teachers berichtete). Nun meldete sich Schwesig zu Wort und gab dem Wissenschaftler aus Elternsicht Recht; sie schränkte aber ein: Für einen späteren Unterrichtsbeginn sei allerdings zunächst ein Wandel in der Wirtschaft nötig, denn: „Die Eltern sagen auch: Ein späterer Schulbeginn passt nicht zu unserer Arbeitswelt.”

Gleichwohl fordert BLLV-Chefin Fleischmann nun ein Modellprojekt. „Wir haben durch die Ganztagsschule eh eine veränderte Zeitstruktur», sagte sie auf Antenne Bayern am Dienstag. Daher sei es durchaus vorstellbar, in einem Pilotprojekt erst um neun Uhr zu beginnen. Sie verwies auf Studien, nach denen ein späterer Schulbeginn vor allem für Jugendliche wegen deren Biorhythmus günstiger wäre. «Ich glaube, dass man gut daran täte, das kritisch zu reflektieren und vielleicht je nach Region, je nach Schulart und je nach Altersgruppe an einzelnen Standorten andere Beginn- und Schlusszeiten zu diskutieren», sagte Fleischmann dem Hörfunksender.

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Ein Modellversuch dürfe allerdings nicht von oben verordnet sein und müsse anschließend überprüft werden. Außerdem müssten die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden, etwa durch Frühbetreuung für Kinder berufstätiger Eltern. «Vielleicht kann sich ja im Rahmen von Ganztagsgrundschulen ein interessantes Modell ergeben: Von 7.00 bis 9.00 Uhr ist eine Ankommensphase, von 9.00 bis 15.00 Uhr eine rhythmisierte Arbeitsphase und anschließend eine Nachbetreuung, die stark in Richtung erlebnispädagogische Elemente geht – so könnte man Ganztagsschule neu denken», sagt Fleischmann.

Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands, meint hingegen, dass die Nachteile eines späteren Unterrichtsbeginns viel größer seien als die Vorteile. „Aufgrund der engen Koppelung von beruflichen Arbeitszeiten und Schulbeginn, der Taktung der Schulbusse und insbesondere der Tatsache, dass ein späterer Unterrichtsbeginn zwangsläufig zu permanentem Nachmittagsunterricht führen werde, gibt es in Deutschland keine Realisierungschance auf absehbare Zeit. Es gibt auch kein anderes europäisches Land, in dem die Schule überwiegend erst um 9 Uhr beginnt”, betont der Verbandschef.

Meidinger zeigt sich sicher, wenn Eltern und Schüler die Wahl zwischen den Belastungen eines permanenten Nachmittagsunterrichts und eines früheren Schulbeginns hätten, würden sie die jetzigen Schulbeginnszeiten bevorzugen. Augenzwinkernd weist der Verbandsvorsitzende darauf hin, dass es für gähnende Schüler im Unterricht verschiedene Ursachen geben könne: „Das mag manchmal der abweichende Biorhythmus sein, ab und zu einmal wenig motivierender Unterrichtsstoff, häufig jedoch auch ein Freizeitverhalten, zu dem nicht selten spätes Nach-Hause-Kommen oder sogar mitternächtliche LAN-Partys gehören.”

Auch aus Baden-Württemberg kommt Widerspruch – ausgerechnet von Schwesigs Parteifreund, Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Er sieht im Gegensatz zur Bundesfamilienministerin aktuell „keinen Anlass“ für einen späteren Unterrichtsbeginn. „Es gibt ja auch gute Gründe dafür, warum das so ist wie es ist“, sagte Stoch. Auch viele Eltern fingen recht früh mit der Arbeit an. Mit einer späteren Startzeit für die Schüler würde sich für viele Eltern die Frage der Betreuung ihrer Kinder am Morgen stellen. Dem wiederum entgegnet die familienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner: „An Ganztagsschulen wäre zum Beispiel auch ein früher beginnendes, flexibles Betreuungsangebot für Kinder denkbar, das nicht gleich eine hohe Konzentrationsfähigkeit erfordert.” News4teachers / mit Material der dpa

Unser Bericht hat eine breite Debatte auch unter unseren Lesern ausgelöst, zu finden unterhalb des Beitrags: Früher Unterrichtsbeginn in der Kritik – Forscher: Prüfungen nicht vor 11 Uhr

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