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Wie in den 70-er Jahren: Für CDU und FDP ist die Gemeinschaftsschule eine “waghalsige Bildungsutopie”

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STUTTGART. Droht der «Untergang des Abendlandes», wenn weitere Gemeinschaftsschulen genehmigt werden? Nach Meinung der Opposition im baden-württembergischen Landtag aus CDU und FDP offenbar schon. Sie heizen den  Meinungskrieg um die «Schule für alle» an – ein Wahlkampfthema im Ländle, das eine bundesdeutsche Debatte aus den 70-er Jahren wiederbelebt.

1978 war dieses Volksbegehren in Nordrhein-Westfalen gegen die „Kooperative Schule“, eine Vorläuferin der Gesamtschule, erfolgreich – zieht das Thema heute noch? Screenshot von nrw.mehr-demokratie.de

Ein Bericht über Probleme an einer Tübinger Gemeinschaftsschule hat für Zündstoff im baden-württembergischen Landtag gesorgt. Die zuerst von der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (FAZ) aufgegriffene Evaluation von zwei Klassen dieser Schule zeigt aus Sicht der Opposition gravierende Mängel der gesamten Schulart. Sie mahnte bei Kultusminister Andreas Stoch (SPD), der  die FAZ mittlerweile verklagt hat, sofortige Korrekturen an, anstatt eine vollständige Expertise abzuwarten. Der CDU-Abgeordnete Volker Schebesta sagte am Mittwoch im Plenum in Stuttgart: «Wenn Sie warten bis nach der Wahl, dann machen Sie Politik auf dem Rücken der Kinder – wir fordern Veränderungen sofort.»

Die grün-rote Koalition hält es hingegen für unseriös, aus einer Einzelbetrachtung generelle Schlüsse zu ziehen. Sie will abwarten, bis der Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung an zehn Gemeinschaftsschulen Mitte 2016 veröffentlicht ist. Die Opposition schlachte das Thema für den Wahlkampf aus. Stoch sprach von «Zerrbildern», die die Opposition zu verbreiten versuche. Die Gemeinschaftsschule sei das einzig Richtige, um auch im ländlichen Raum Schüler optimal fördern zu können.

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Die Grünen-Bildungsexpertin Sandra Boser sagte in Richtung der Opposition: «Sie nehmen jeden Strohhalm in die Hand gegen die Gemeinschaftsschule.» Zahlreiche Lehrer, Schüler und Eltern seien von der «Schule für alle» überzeugt. Trotzdem sei zu befürchten, dass CDU und FDP im Fall eines Regierungswechsels die von Grün-Rot eingeführte Schulart abschaffen wollten. CDU-Politiker Schebesta hob hingegen hervor: «Nur weil am 13. März eine Wahl stattfindet, werden wir nicht davon absehen, was Kinder nutzt und was nicht.» Bildungspolitik werde eine große Rolle im Wahlkampf spielen.

Derzeit gibt es 271 Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg. Der Herausforderer von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Guido Wolf, hat die Weiterexistenz der Schulform infrage gestellt. Die Tübinger Gemeinschaftsschule gehört zu den Vorreitern. Der 37-seitige Bericht über die Arbeit von zwei Klassen an dieser Schule war durch die FAZ im August publik geworden – im Blatt war behauptet worden, das Kultusministerium halte den Bericht zurück. Das Kultusministerium hatte nach eigenen Angaben diese Teil-Evaluation aber nicht vorliegen und hat deshalb nun die FAZ verklagt.

Unabhängig davon: In der Evaluation wird insbesondere die Effizienz des zentralen Konzeptes des individuellen Lernens infrage gestellt. Die Lerntagebücher, in denen die Schüler ihre Lernerfolge eintragen sollen, würden offenbar nur als Taschenkalender genutzt, wie der FDP-Abgeordnete Timm Kern kritisierte. Gerade die weniger Leistungsstarken seien die Opfer einer «waghalsigen grünen Bildungsutopie» und einer Pädagogik, die ganz auf selbstständiges Arbeiten setze.

CDU-Mann Schebesta sieht seine Forderung nach Leistungsstufen in der Gemeinschaftsschule durch den «erschreckenden» Bericht bestätigt. Die engen Vorgaben für Gemeinschaftsschulen, etwa neben dem durchgängig gemeinsamen Lernen der Verzicht auf Noten, müssten gelockert werden. «Etwas Selbstkritik würde Ihnen gut anstehen», schrieb er Stoch ins Stammbuch. Auch der Liberale Kern forderte, rasch «erhebliche Qualitätsmängel» an der Schulart zu beseitigen.

Nach Worten Stochs sind die vorläufigen Erkenntnisse in der Tübinger Schule bereits beachtet worden. Insgesamt stünden den Lehrern Fortbildungen, Fachberatung und Hilfe durch die Schulverwaltung zur Verfügung. «Das ist auch in diesem Fall passiert.» Allerdings räumte er auch ein: «Eine neue Schulart einzuführen, geht nicht auf Kopfdruck.» Die nicht-autorisierte Veröffentlichung des 37-Berichts aus der Tübinger Schule trage dazu bei, dass wichtige wissenschaftliche Begleitforschung unmöglich gemacht werde.

Übrigens: Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kürzlich eine Gesamtschule mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet.

news4teachers / mit Material der dpa

Zum Bericht: Kretschmann-Herausforderer Wolf positioniert sich klar gegen neue Gemeinschaftsschulen – bei G8 eiert er herum

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