BERLIN. Am vergangenen Freitag sprach die KMK-Präsidentin, Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU), Klartext: Bei rund 325.000 Schülern unter den Asylbewerbern würden aktuell über 20.000 Lehrer mehr benötigt, sagte sie nach der Herbstsitzung der Kultusminister in Berlin – und beziffern ihre Gesamtkosten für die Schulbildung von Flüchtlingskindern im laufenden und vergangenen Jahr auf mindestens 2,3 Milliarden Euro. Damit gab Kurth der GEW Recht, die als erste den Lehrerbedarf auf 20.000 Stellen taxiert hatte. Allerdings: Woher sollen die Lehrer denn kommen? Und was sollen sie unterrichten? Wie Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt jetzt auf einer GEW-Tagung wissen ließ, ist der Markt insbesondere für die dringend benötigten DaZ-Lehrer leergefegt.
DaZ, das Kürzel steht für „Deutsch als Zweitsprache“ und steht (wie DaF, Deutsch als Fremdsprache) für die Kompetenz von Lehrkräften, nicht-deutsch sprechenden Kindern Deutsch beizubringen. Wie viele Lehrer dafür gibt es? Wie viele Lehrer dafür sind denn überhaupt nötig? Das weiß offenbar niemand bei der Kultusministerkonferenz (KMK) so genau, wie eine Studie des „Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache und des Zentrums für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln“ nahelegt. Auch nicht, wie die Schulen mit Flüchtlingskindern überhaupt umgehen sollen. „Die Frage, wie neu zugewanderte Kinder und Jugendliche im Bildungssystem aufgenommen werden können, ist jahrelang vernachlässigt worden. Jetzt fehlen die nötigen Informationen, Konzepte sind in Vergessenheit geraten“, berichtet Institutsdirektor Prof. Michael Becker-Mrotzek.
So gibt es zwar für die Unterrichtsorganisation in allen Bundesländern Regelungen, allerdings sind diese unterschiedlich verbindlich und konkret und geben den Schulen teilweise nur wenig Orientierung. Die Studie hat fünf Modelle identifiziert, nach denen neu zugewanderte Kinder und Jugendliche unterrichtet werden. Das Spektrum reicht von integrativem Unterricht in der normalen Klasse ab dem ersten Tag bis zur Einrichtung parallel geführter Klassen, in denen die Schüler zunächst Deutsch lernen und später sogar einen Schulabschluss erwerben können. Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg verfahren vergleichsweise einheitlich, in den meisten Bundesländern sind jedoch mehrere Modelle im Einsatz, abhängig von der Region, Schülerzahlen und der Schulform. Ein wildes Durcheinander also.
Dabei waren, so Becker-Mrotzek, „die aktuellen Herausforderungen, wenn auch nicht in der Dimension der letzten drei Monate, vorhersehbar“. Die Studie hat gleichwohl ergeben, dass in vielen Bundesländern nicht systematisch erhoben wird, wie viele neu zugewanderte Kinder und Jugendliche ohne Deutschkenntnisse tatsächlich an den Schulen sind. Ohne diese Planungsgrundlage ist es jedoch kaum möglich, den Bedarf an Lehrkräften und weiteren Ressourcen rechtzeitig einzuschätzen. „Die Bundesländer müssen sich auf ein gemeinsames Verfahren einigen“, fordert der Wissenschaftler.
Die Studie zeigt zwar auch, dass die Länder zunehmend Unterstützungs- und Fortbildungsangebote für Lehrkräfte und Schulen auf den Weg bringen, das Angebot ist jedoch häufig unübersichtlich. „Das Thema ist kein Projekt für eine Taskforce auf Zeit, sondern eine langfristige Aufgabe. Migrationsbewegungen, wie wir sie gerade erleben, sind ein wiederkehrendes Phänomen. Dieses Thema wird immer wieder und durchgängig eine Rolle spielen. Gerade deshalb sollten auch Mindeststandards für den Schulbesuch neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher entwickelt werden. Die Themen Migration und Deutsch als Zweitsprache müssen noch breiter in der Lehramtsausbildung verankert werden“, erklärt Becker-Mrotzek.
Das allerdings ist eine langfristige Aufgabe. Kurzfristig fahre man „auf Sicht“, wie KMK-Präsidentin Kurth einräumte. Anlass für „Spiegel-online“ zu kommentieren: „Was die Kultusminister gerade tun, ist Arbeitsverweigerung, ein Vergehen durch Unterlassung. Sie organisieren die bitter nötige Hilfe für ihre Lehrer nicht. Sie lassen die Schulen im Stich, die ab sofort Flüchtlingsklassen einrichten müssen – und zwar mehr denn je.“ News4teachers