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Was wir jetzt brauchen: Eine Bildungs-Offensive gegen die Hass-Kultur!

Eine Analyse von ANDREJ PRIBOSCHEK.

DÜSSELDORF. Die deutschen Schulen leisten weitaus mehr, als ihren Schülern Wissen zu vermitteln. Natürlich erziehen sie den Nachwuchs auch (mit); die Schule ist neben dem Elternhaus der wichtigste Sozialisationsort. Gut so! Nirgends können Kinder das Miteinander in einer größeren Gruppe besser lernen als im Klassenverbund. Lehrer sind – nach den Eltern und den Großeltern – die prägendsten Vorbilder für Unter-14-Jährige, wie eine Unicef-Umfrage unter Kindern im vergangenen Jahr ergab. Für Hans Bertram, Bildungsforscher an der Berliner Humboldt-Universität, sind die guten Noten für die Lehrer Ausdruck der wachsenden Bedeutung persönlicher Bindungen. „Die Welt wird immer flüchtiger und virtueller”, sagte der Professor laut „Südwest Presse“. „Kinder suchen nach Menschen, die auch morgen noch für sie da sind.”

“Mischpoke”: Schild eines Demonstranten auf einer Pegida-Veranstaltung am 5. Januar in Dresden. Foto: Metropolico / flickr (CC BY-SA 2.0)

Alles in allem scheint die Erziehungspartnerschaft von Schule und Elternhaus, trotz immer wieder zu hörenden Stoßseufzern über die jeweils andere Seite, gut zu funktionieren. So attestiert die aktuelle Shell Studie der jungen Generation in Deutschland ein großes Verantwortungsbewusstsein. Die meisten haben weniger Angst vor dem Fremden, sondern vielmehr vor der Fremdenfeindlichkeit. 82 Prozent finden den Wert „Die Vielfalt der Menschen anerkennen und respektieren“ wichtig. Auf eine solche Jugend können wir durchaus stolz sein.

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Allerdings fühlen sich rund 15 Prozent der Jugendlichen abgehängt. Sie sehen keine Perspektive für sich. Auf diesem Nährboden gedeiht keine Toleranz.

Womit wir beim Thema wären. Offenbar gibt es nach wie vor einen schlecht bis gar nicht integrierten Teil der Gesellschaft, der seinen Nachwuchs aus Schulversagern rekrutiert. Die Ränder – ob links- oder rechtsradikal oder islamistisch geprägt – fransen aus. Die Folge ist ein Verlust an demokratischer Kultur, der etwa beim aktuellen Großthema Flüchtlingspolitik zu einer beispiellosen Hetze- und Hasswelle führt, der aber auch vorher schon zu beobachten war. Wer viel in sozialen Netzwerken unterwegs ist, erfährt einiges über die Kommunikationskultur in Deutschland. Um die ist es nicht zum Besten bestellt. Cybermobbing, also das Drangsalieren von Menschen im Internet, ist mittlerweile so weit verbreitet, dass schon ein Drittel aller Schüler davon betroffen war. Ein Massenphänomen, das zunächst die Ränder erfasst (und dort wohl auch seine aggressivsten Formen annimmt), aber heute schon bis weit in die Mitte der Gesellschaft reicht.

„Viele Kinder und Jugendliche trauen sich in der scheinbar anonymen virtuellen Welt eher, eigene Angriffe gegen andere, Beleidigungen oder Bloßstellungen von Menschen zu vollziehen“, so heißt es bei der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes. „Dabei gibt es einen fließenden Übergang von “Spaß” oder “Neckereien” zur Gewaltausübung im Sinne von Mobbing. Mit Aussagen wie “Das war doch nicht ernst gemeint, das war nur Spaß” verdeutlichen junge Menschen, dass ihnen häufig das notwendige Unrechtsbewusstsein, die erforderliche Sensibilität für ihr eigenes Handeln fehlt. Andererseits erleben sie in Schule, sozialem Umfeld, Medien und Politik Erscheinungen und Personen, die durch vergleichbares Handeln den Eindruck entstehen lassen, dass es “in Ordnung” sei, andere bloßzustellen oder zu beleidigen.“

Nicht Unrecht hat wohl auch der Schauspieler und Filmproduzent Til Schweiger, der sich für Flüchtlinge engagiert und dafür üble Beleidigungen auf seiner Facebook-Seite erntete. Die meist anonymen Absender solcher Botschaften seien Menschen, meint er, die „keine Phantasie haben und in irgendwelchen Reality Shows sehen, wie sich stumpfe Leute gegenseitig beleidigen, heruntermachen und dissen.” Das deutsche Fernsehen trage seinen Teil dazu bei, dass Leute so abgestumpft seien. Und für so manchen nicht-integrierten Jugendlichen, so möchte man ergänzen, gibt es eben keine anderen Vorbilder als die aus dem Trash-TV.

Die Folgen einer solch blühenden Hass-Kultur: Schwächere werden schnell zu „Opfern“, Andersdenkende zu „Feinden“. Die Medien „lügen“. Und Politiker, ohne die es in einer Demokratie ja nunmal nicht geht, sind allesamt „Volksverräter“ oder Schlimmeres.

Diesem Trend zur kommunikativen Verwahrlosung, der ja oft genug Taten folgen, sollten wir uns energisch entgegenstellen. „Wir“ meint dabei alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte (also auch uns, die Medien) und nicht allein die Schulen. Die Lehrerinnen und Lehrer benötigen die Unterstützung der Eltern. Und sie bedürfen der Hilfe durch die Politik.

So, wie es nach dem TIMMS-Schock in den 90-er Jahren großangelegte Initiativen zur Verbesserung der naturwissenschaftlichen Bildung gab, so, wie nach dem PISA-Schock in den 00-er Jahren dann massiv in Lese- und Sprachförderung investiert wurde, so nötig ist es nun, eine Offensive in Sachen politischer Bildung zu unternehmen. Es gibt viele hervorragende Ansätze in Schulen, ob es sich um aktiv gelebte Formen der Schülermitwirkung handelt oder um Projekte zur Kommunikationskultur im Internet. Die sind aber in der Regel nicht vernetzt und bauen zudem allzu häufig auf das persönliche Engagement einzelner Lehrkräfte. Hier gilt es zu systematisieren – und die Schulen personell entsprechend auszustatten.

Oder, um es konkreter zu machen: Dringender als zum Beispiel der von der SPD derzeit geforderte verpflichtende Informatik-Unterricht, der die Technik des Internets in den Vordergrund stellt, wäre ein wertegebundener Demokratie-Unterricht, der Kommunikations- und Streitkultur (natürlich auch im Netz) vermittelt. Und – noch weitaus wichtiger! – eine Schüler-Lehrer-Relation an den Schulen, die persönliche Bindungen möglich macht. Und die Lehrern eine Vorbild-Rolle ermöglicht.

Nebenbei: Wir haben in den nächsten Jahren Hundertausende von Flüchtlingskindern einzugliedern, die aus Ländern kommen, in denen demokratische Gepflogenheiten nicht gelten. Auch ihnen müssen wir vermitteln, wie der Interessenausgleich in der Zivilgesellschaft funktioniert. Scheitern wir dabei, wird das die Ränder weiter wachsen lassen.

Zum Beitrag: Kulturvertreter warnen vor eskalierender Fremdenfeindlichkeit in Sachsen – Tumulte vor Grundschule

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