GENF. Noch vor wenigen Tagen verlautbarte das ifo Zentrum für Bildungsökonomik unter Berufung auf PISA-Daten, das Bildungsniveau der Flüchtlinge aus Syrien sei vermutlich dramatisch schlecht. Jetzt kommen Ergebnisse einer Befragung von syrischen Flüchtlingen durch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR – und siehe da: Es sind offenbar doch die Hochqualifizierten, die sich auf den Weg nach Deutschland gemacht haben. 86 Prozent von ihnen geben an, über das Abitur zu verfügen, die Hälfte davon sogar zusätzlich über einen Hochschulabschluss.

Was stimmt denn nun? Anders als das ifo Zentrum, das sich im Auftrag der OECD PISA-Ergebnisse anschaute – und damit eine Betrachtung des durchschnittlichen Bildungsniveaus der syrischen Gesamtbevölkerung vor Krieg und Flucht liefern konnte –, hat UNHRC aktuelle Informationen von den Flüchtlingen selbst gesammelt, und zwar zwischen April und September direkt an der türkisch-griechischen Grenze, die die allermeisten von ihnen überqueren. Dabei wird deutlich, dass es sich bei den Flüchtlingen nicht um einen repräsentativen Querschnitt durch die syrische Bevölkerung handelt – sondern um „the flowers of their country“, wie das Hilfswerk etwas blumig ausdrückt, also um die Bildungselite des Landes.
Die überwiegende Mehrzahl von ihnen, 78 Prozent, sind unter 35 Jahre alt. Die größte Gruppe, 16 Prozent, gab an, unmittelbar vor ihrer Flucht noch studiert zu haben. Die anderen waren überwiegend berufstätig: neun Prozent zum Beispiel als Kaufleute, sieben Prozent als Handwerker wie Schreiner oder Elektriker, fünf Prozent als Ingenieure oder Architekten, vier Prozent als Ärzte oder Apotheker, dazu noch Lehrer, Rechtsanwälte, Designer und IT-Fachleute. Gut 62 Prozent stammten aus den größten syrischen Städten Damaskus und Aleppo.
„Alles in allem zeigt sich das Bild einer hochausgebildeten Bevölkerungsgruppe, die auf der Flucht ist“, heißt es beim UNHCR. Die meisten der Befragten gaben als Ziel Deutschland an, gefolgt von Schweden. Neben Familienzusammenführung und der Hoffnung, überhaupt aufgenommen zu werden, sind es vermutet gute Arbeitsmarktchancen, die als Grund dafür genannt werden, nach Deutschland zu wollen – sowie der hervorragende Ruf des deutschen Bildungssystems. Offenbar sehen die Familien hier gute Chancen für ihre Kinder.
Der Chef des ifo Zentrums, Ludger Wößmann, hatte dagegen gestern von seiner Studie berichtet, die ein insgesamt „niederschmetterndes Bild“ ergebe. Legt man die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudien PISA und Timss von 2011 – also für die heute 18-Jährigen – zugrunde, schafften 65 Prozent der Schüler in dem heutigen Bürgerkriegsland nicht den Sprung über das, was die OECD als Grundkompetenzen definiert. Dies bedeute konkret, „dass zwei Drittel der Schüler in Syrien nur sehr eingeschränkt lesen und schreiben können, dass sie nur einfachste Rechenaufgaben lösen können. Und das bedeutet, dass diese Schüler in Deutschland, selbst wenn sie Deutsch gelernt haben, kaum dem Unterrichtsgeschehen folgen können“.
Das Übertragen dieser Daten auf die Flüchtlinge ist aber wohl falsch. Das sagt auch schon die Logik: Eine Flucht kostet Tausende von Dollar – für die einfache und bildungsferne syrische Bevölkerung ist das unbezahlbar. News4teachers
