BERLIN. Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry nennt die Medien „Pinoccio-Presse“ – eine Verniedlichung des Kampfbegriffs Lügenpresse. Dabei hat ihre Partei zur Wahrheit selbst ein taktisches Verhältnis. Stimmungen zählen mehr als Fakten. Auch in der Bildungspolitik: News4teachers hat sich angeschaut, mit welchen Positionen Lehrkräfte, Eltern und Schüler seit dem „Super-Wahlsonntag“ in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt verstärkt rechnen müssen.
Die AfD ist auf Krawall gebürstet – auch in der Bildungspolitik. Beim Landesparteitag der AfD am gestrigen Sonntag in Berlin stand das Thema Schule auf der Tagesordnung. Und auf dem Tisch lag die Forderung nach einem generellen Kopftuchverbot, also für Lehrerinnen und Schülerinnen.
Einer der Delegierten, Lehrer an einer Schule mit vielen Migranten, sagt, eine solche Regelung sei weltfremd. Doch er dringt nicht durch. Der anti-islamische Reflex ist stärker: Es wird auf einen angeblich totalitären Anspruch des Islam verwiesen, auch auf Frankreich und die Türkei, wo dies auch so geregelt sei. Seit zwei Jahren gibt es zwar kein Kopftuchverbot an türkischen Schulen mehr, Fakten interessieren hier aber niemanden. Auch die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen erst im vergangenen Jahr als unverhältnismäßig gekippt hat und einem Verbot für Schülerinnen das grundgesetzlich verbriefte Persönlichkeitsrecht entgegensteht – geschenkt. „Frauenverschleierung hat nichts zu suchen an unseren Schulen“, heißt es. Mit großer Mehrheit wird für ein Kopftuchverbot votiert.
Die Bildungspolitik der AfD ist wie die Partei selbst: Sie wirkt auf den ersten Blick harmlos, nimmt aber rechtspopulistische Strömungen auf – und birgt deshalb eine Menge Konfliktpotenzial. „Wir nehmen es nicht hin, dass für die Rettung von Banken oder für hunderttausende von Wohlstandsflüchtlingen Milliarden und Abermilliarden hart erarbeiteter Steuergelder ausgegeben werden, während Schulgebäude jahrelang auf ihre Sanierung warten, die Schlaglöcher auf unseren Straßen immer größer werden und um jeden Euro für eine nötige Strukturförderung gefeilscht werden muss“, so heißt es beispielsweise im Wahlprogramm der AfD Sachsen-Anhalt. Dem Bundesland also, in dem die AfD aus dem Nichts zur zweitstärksten Partei im Landtag aufgestiegen ist.
Gegen die Sanierung von Schulgebäuden dürfte niemand etwas einzuwenden haben. Aber: Hunderttausende von „Wohlstandsflüchtlingen“? Rettung von Banken? „Abermilliarden“? Schon der Duktus zeigt: Hier soll Schulpolitik für die AfD-Protestthemen Flüchtlingspolitik und Euro instrumentalisiert werden.
Für eine Partei, deren Vorsitzende die Medien „Pinoccio-Presse“ nennt (eine Verniedlichung des Kampfbegriffs „Lügenpresse“) ist bemerkenswert, wie frei sie selbst mit der Wahrheit umgeht. Der bildungspolitische Teil des Wahlprogramms der AfD in Sachsen-Anhalt beispielsweise beginnt – mit einer Falschbehauptung.
„Unser Bildungssystem ist akut bedroht. Das Leistungsniveau sinkt schon seit Jahrzehnten auf allen Ebenen, ideologische Experimente zehren an der Substanz“, heißt es dort. Das Leistungsniveau soll sinken? Das mag zwar einer weitverbreiteten konservativen Stimmung entsprechen, ist aber schlicht falsch: Die PISA-Studie attestiert Deutschland in den vergangenen 15 Jahren signifikante Verbesserungen in allen Bereichen. Selten in der Geschichte der Bundesrepublik war die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland so niedrig wie heute (was durchaus auch mit der Qualität des Bildungssystems zu tun hat). Und auch der zweite Teil der Behauptung ist reine Stimmungsmache. Ideologische Experimente sollen an der Substanz des Schulsystems zehren, und das schon seit Jahrzehnten? Damit scheint gemeint zu sein: die Einführung von Gesamt- und Gemeinschaftsschulen, die Inklusion – und die Sexualerziehung.
„Wir sind gegen den ideologischen Ansatz der Gleichmacherei, wie er in der Gemeinschaftsschule Programm geworden ist“, so heißt es denn auch im Wahlprogramm der AfD in Baden-Württemberg. Der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern, das „ideologisch motivierte Großexperiment“, wird abgelehnt – in Sachsen-Anhalt noch vergleichsweise schüchtern mit Verweis auf die Kosten. „Wollte man Inklusion, also die Unterrichtung von Kindern mit Förderbedarf in einer gewöhnlichen Schule, betreiben, müsste man die Schülerzahlen je Lehrkraft stark senken, die Fachlehrerzahl stark erhöhen und die Weiterbildung von Nichtfachlehrern deutlich ausbauen. Dies erscheint unter den gegeben finanziellen Voraussetzungen des Landes Sachsen-Anhalt zur Zeit nicht finanzierbar.“
Grundsätzlicher heißt es bei der AfD in Baden-Württemberg: „Es ist von Vorteil für alle Betroffenen, wenn schwer lernbehinderte Kinder in Sonderschulen unterrichtet werden.“ Was aber sind denn “schwer lernbehinderte” Kinder, und wer entscheidet über eine solche „Lernbehinderung“? Dazu gibt das Programm keine Auskunft. Einen Hinweis gibt der Landesverband Niedersachsen. Dort heißt es: „Die traditionelle, bewährte Inklusion muss unterstützt werden. Der Zugang zur Regelschule muss wieder an Eignung und Verhalten geknüpft werden.“ Heißt im Klartext: Das alte System mit Sonderschulpflicht wird zu einem System mit „bewährter Inklusion“ umdeklariert. Dass sich mit einem solchen Etikettenschwindel die UN-Behindertenrechtskonvention, die von Deutschland 2009 ratifiziert wurde, kaum erfüllen lässt, stört bei der AfD augenscheinlich niemanden.
Und dass die Einteilung von Kindern in “normale” und “lernbehinderte” in ein Zwangssystem für die Betroffenen hinausläuft (wie es der Förderschulstatus, der den Besuch einer Regelschule ausschloss, ja jahrzehntelang war)? Das irritiert die Mitglieder der Partei auch nicht. Ohnehin ist man mit Zwangsmaßnahmen schnell dabei: “Die verbindliche Grundschulempfehlung ist wieder einzuführen”, so heißt es im Kommandoton im Programm der AfD Baden-Württemberg.
Ob in der Schule die Vermittlung von „klassisch preußischen Tugenden Geradlinigkeit, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Disziplin, Pünktlichkeit, Ordnungssinn, Fleiß und Pflichtbewusstsein“ gefordert wird, oder eine Erziehung zum Nationalismus („Die deutsche Geschichte und die Geschichte Sachsen-Anhalts bieten genügend Anknüpfungspunkte, auf die wir uns mit Stolz berufen können“), ob auf das Prinzip Autorität gepocht wird („Sowohl während des Unterrichtes als auch gegenüber Schulverweigerern ist Unterrichtsdisziplin einzufordern und konsequent durchzusetzen“) oder gegen eine Sexualerziehung im Sinne einer „sexuellen Vielfalt“ gewettert wird – stets herrschen schrille Töne vor. Die Faktenlage interessiert dabei kaum.
So behauptete der niedersächsische AfD-Vorsitzende Paul Hampel mit Blick auf eine rot-grüne Initiative zur Toleranzerziehung: Aus anderen Bundesländern sei bekannt, dass Schüler dort sogar in Spielen Sexpraktiken mit teilweise pornographischem Charakter darstellen sollten. Wieder eine Unwahrheit: In keinem Bundesland sollen Kinder in den Schulen „Sexpraktiken darstellen” – solche Vorgaben gibt es in keinem Lehrplan in Deutschland. Trotzdem meint Hampel (und ignoriert dabei geflissentlich den grundgesetzlichen Erziehungsauftrag auch der Schulen): „Die Erziehung ist das Vorrecht der Eltern, die Schule muss bilden. Ideologische Indoktrination der Kinder hat dort nichts verloren.“
Auch die GEW wird hart angegangen. In einem Leitpapier der Gewerkschaft werde die normale heterosexuelle Beziehung „auf das Übelste verunglimpft“ und das Kinderkriegen „quasi zu einer Untat“ verdreht, so Hampel. Kinderkriegen als Untat? Die GEW-Vorsitzende von Baden-Württemberg, Doro Moritz, weist die Behauptung entschieden zurück – sie sei „böswillig“ oder „dumm“ oder im Zweifelsfalle beides.
Die AfD ficht das nicht an. Die Strategie, dies zeigen die Ergebnisse vom Wahlsonntag, geht auf. News4teachers
Volker Olenicak, der 33,4 Prozent der Stimmen in seinem Wahlkreis Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) bekam und damit der AfD-Politiker mit dem besten persönlichen Ergebnis ist, zeigte sich im Oktober 2014 von einem Video inspiriert, das einen Lehrer zeigt, der Schüler mit einem Stock auf die Hand schlägt. Olenicak meinte dazu lapidar (Komma- und Grammatikfehler im Original): “Sieht hart aus aber ermöglicht in Zukunft sicher ein erträglichen Schulalltag. PS : intelligenten Schülern passiert das nicht jeden Tag.” Es wird sicher interessant, Olenicak beispielsweise im Schulausschuss des Magdeburger Landtags sprechen zu hören.
Zur Analyse: Was wir jetzt brauchen – Eine Bildungs-Offensive gegen die Hass-Kultur!