BASEL. In der Schweiz ist ein Streit darüber ausgebrochen, wie sehr sich muslimische Schüler in der Schule an westliche Höflichkeitsriten anzupassen haben. Der Anlass: Zwei Brüder aus Syrien verweigerten einer Lehrerin den Handschlag – und bekamen eine Sondergenehmigung, auch künftig jede Berührung vermeiden zu dürfen. Allerdings sollen sie auch männlichen Lehrkräften künftig nicht mehr die Hand geben. Der Gleichberechtigung wegen.
Ist der Händedruck zwischen Mann und Frau im Islam erlaubt? Eine für manche Moslems offenbar schwierige Frage. Der als radikal geltende Islamische Zentralrat der Schweiz hat aktuell eine „Fatwa“ veröffentlicht, die das Problem in unterschiedlichen Konstellationen abhandelt und, unfreiwillig komisch, an die ellenlangen Abhandlungen katholischer Theologen zur Sexualmoral erinnert.
Unter „Verwandten, die einander zur Heirat verwehrt sind“ – also etwa zwischen Vater und Tochter? Erlaubt. „Zwischen einem fremden geschlechtsreifen Mann und einer fremden geschlechtsreifen Frau, welche natürliche Triebe (gegenseitige Anziehungsmöglichkeit) verspüren“? Verboten. „Der Händedruck einer fremden alten Frau oder eines fremden alten Mannes, bei der die sexuellen Triebe kaum noch einen Einfluss haben“? Umstritten. „Das Berühren bzw. der Händedruck von fremden weiblichen oder männlichen Kindern (nicht geschlechtsreif)?“ Unproblematisch, den meisten Gelehrten zufolge jedenfalls. Allerdings nur bis zur Pubertät, deren Beginn auf das Alter von acht Jahren festgelegt wird. Danach: verboten.
Letzteres hat in der Schweiz aktuell Relevanz erfahren: Zwei muslimische Schüler einer weiterführenden Schule in Therwil bei Basel, zwei Brüder aus Syrien im Alter von 14 und 15 Jahren (die in der Schweiz aufgewachsen sind), hatten sich geweigert, einer Lehrerin die Hand zum Abschied zu reichen – und müssen das auch nicht tun. Sie werden allerdings künftig auch männlichen Lehrern nicht die Hand geben, sondern es bei einem höflichen mündlichen Gruß belassen.
Der Fall löste in der Schweiz einen Sturm der Entrüstung aus. Der vorherrschende Tenor auch bei Politikern und Lehrerverbänden ist Unverständnis für die Entscheidung der Schule, welche diese „Diskriminierung der Frauen“ mittels Sonderregelung zulasse. Der Rektor begründet die Sonderregelung hingegen laut „Basler Zeitung“ als einen gangbaren Kompromiss: „Mit dieser Regelung ist zumindest die besagte Diskriminierung zwischen den Geschlechtern beseitigt», sagte er. Dass die nicht in den Köpfen der Schüler abgelegt wurde, bestreitet der Schulleiter nicht. Aber: „Die Einstellung der Schüler können wir nicht ändern.“ Zumal sie von den Eltern offenbar in ihrer Haltung bestärkt werden. Beschwert hatte sich eine Lehrerin, die sich von dem Verhalten der Schüler vor den Kopf gestoßen fühlte.
Auch liberale Muslime können die Weigerung – und deren Duldung – nicht nachvollziehen. „Wir sind hier nicht in Saudi-Arabien”, schimpfte etwa Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen Fortschrittlichen Islam. Justizministerin Simonetta Sommaruga meldete sich laut „Süddeutscher Zeitung“ ebenfalls zu Wort: Der Handschlag gehöre zur Schweizer Kultur, ihn zu verweigern, „das geht nicht”. An dieser Stelle dürfe man „kein Fragezeichen aufkommen lassen”.
Montassar BenMrad, der Präsident Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz, FIDS, eierte zunächst herum. Um dann doch mitteilen zu lassen: „Die Hand einer anderen Person nicht zu schütteln wird in der Schweiz als Respektlosigkeit, Unhöflichkeit oder sogar als Aggression empfunden.” Das Vermeiden von physischen Kontakten werde zwar mit Respekt und Schamgefühl begründet, in der Schweiz sei das jedoch “unangebracht.” Zudem hätten viele islamische Gelehrte “klar bestätigt, dass ein gewöhnlicher Händedruck zwischen Mann und Frau theologisch erlaubt ist”.
Der Islamische Zentralrat der Schweiz sieht das allerdings anders. Er empfiehlt Muslimen, den Handschlag zu verweigern – das Verhalten dann aber freundlich zu erklären. „Insbesondere hat das Berührungsverbot im Islam keinen diskriminierenden Ursprung, sondern gilt gleichermaßen für beide Geschlechter und hat das Ziel Versuchung vorzubeugen. Außerdem kann darin ganz im Gegenteil zur im Westen verbreiteten Wahrnehmung auch eine besondere Geste des gegenseitigen Respekts gesehen werden“, heißt es.
Und weiter: „An die Nicht-Muslime ergeht die Empfehlung, das islamische Berührungsverbot nicht als Provokation oder Herausforderung der eigenen Kultur zu interpretieren. Angesichts der immer stärkeren kulturell und religiösen Durchmischung unserer Gesellschaft ist sinnvoll, einzelne Bräuche und kulturelle Eigenheiten nicht zur conditio sine qua non für gesellschaftliche Zugehörigkeit zu überhöhen. Der Händedruck soll das bleiben, was er ist: ein Brauch, auf den man ohne weitere Abstriche auch verzichten kann.“ News4teachers
