Eine Analyse von ANDREJ PRIBOSCHEK.
BERLIN. Die Diskussion um den AfD-Vize Gauland wirft ein Schlaglicht auf den Alltagsrassismus in Deutschland. Angeblich würden Ressentiments gegenüber Minderheiten in der Gesellschaft geleugnet, und zwar von „Heuchlern“, behauptet Gauland. Die Wahrheit ist: Die Schulen stellen sich seit Jahren mit wachsendem Engagement Diskriminierung entgegen.
Mit dem „Lügenpresse“-Vorwurf vieler AfD-Anhänger dürfte es diesmal schwer sein, in der Öffentlichkeit durchzudringen – selten ist ein Politiker so anschaulich der Lüge überführt worden wie der stellvertretende AfD-Vorsitzende Alexander Gauland in der Talkshow Anne Will. Gauland bestritt nämlich energisch, Bundeskanzlerin Angela Merkel als „Kanzler-Diktatorin“ bezeichnet zu haben (wie von der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, FAS, geschrieben). Dies sei „völlig falsch” von der Zeitung verstanden worden, behauptete Gauland, von Anne Will darauf angesprochen. „Ich hätte es gerne gesagt, aber es hat Björn Höcke gesagt.“ Und dann wenig später: „Ich habe es nicht gebraucht. Journalismus sollte genau sein.“ Ein dann eingespieltes Video zeigte Gauland als Einpeitscher bei einer Demonstration, bei der er unmissverständlich die Kanzlerin als „Kanzler-Diktatorin“ titulierte. „Wer soll Ihnen denn ein Wort glauben?“, fragte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) daraufhin den AfD-Vertreter.
Gravierender als die Frage, wie glaubwürdig Politiker einer rechtspopulistischen Partei sind, waren allerdings Aussagen des stellvertretenden AfD-Vorsitzenden, die ein Schlaglicht auf den Alltagsrassismus in Deutschland werfen. Gauland führte bei Anne Will (wie zuvor in einem „Spiegel“-Interview) noch einmal die Fußball-Nationalmannschaft als Beleg dafür an, wie sich Deutschland im Lauf der Jahrzehnte verändert habe. Und zwar aus seiner Sicht nicht zum Guten, woran Gauland keinen Zweifel ließ. „Eine deutsche oder eine englische Nationalmannschaft sind eben schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne“, befand Gauland im „Spiegel“. Oder: „Aber nun stellen Sie sich mal viele Fremde vor, ohne die Bekanntheit, ohne Fußballstar zu sein. Dann ist die Frage, ob die alle als Nachbarn haben wollen, ganz anders zu beantworten.“
Aus der Beobachtung solcher Ressentiments („Es ist doch eine Heuchelei zu sagen, das gibt es bei uns in Deutschland nicht“) leiten Gauland und seine Parteifreunde eben nicht die Forderung ab, mehr Aufklärung gegen Rassismus zu leisten – sondern, im Gegenteil, das vermeintlich Fremde zurückzudrängen. „Heute sind wir tolerant und morgen fremd im eigenen Land“, diesen NPD-Slogan hält Gauland für einen „guten und klugen Satz“, den er gerne zitiert, wie er gestern bei Anne Will erklärte. Und der 1941 geborene Potsdamer erklärte: „Ich möchte dieses Land erhalten, wie wir es ererbt von unseren Vätern haben.“ Ob er ein Rassist sei, war er zuvor von „Spiegel“-Redakteuren gefragt worden – und hatte das entschieden zurückgewiesen: „Nein, ich bin natürlich kein Rassist.“
Dass Gauland zuvor behauptet hatte, dass er die Hautfarbe von Fußball-Weltmeister Jérôme Boateng nicht gekannt habe und deshalb von den FAS-Journalisten reingelegt worden sei, als die ihn mit der Aussage zitierten: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“ – geschenkt. Der biologisch begründete Rassismus spielt in deutschen Gesellschaft, auch wenn der für seine Abgeordnetentätigkeit vom Dienst freigestellte Geschichtslehrer und AfD-Hardliner Björn Höcke augenscheinlich damit kokettiert, kaum eine Rolle mehr. Dafür jedoch eine sozial und kulturell begründete Diskriminierung, die sich im deutschen Alltag zeigt, nicht zuletzt in der Bildung.
Einer aktuellen DGB-Studie beispielsweise zufolge sind Auszubildende mit Migrationshintergrund in renommierten Ausbildungsberufen wie Bankkaufleuten oder Mechatronikern deutlich unterrepräsentiert – und überrepräsentiert in einkommensschwachen Berufen wie der Friseurausbildung. Generell gelte: Migranten fänden viel seltener einen Platz für ihre Wunschausbildung und haben einen schlechteren Zugang zu dualen Ausbildungen.
Auch in der Schule gibt es offenbar systematische Benachteiligungen. Einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2013 zufolge fühlt sich jeder vierte Schüler oder Student mit Migrationshintergrund diskriminiert. Sechs Prozent der Befragten mit einer Behinderung gaben an, benachteiligt, ausgegrenzt oder gemobbt worden zu sein. Auch homosexuelle Schüler berichteten von Beleidigungen.
“Schule ohne Rassismus”
Allerdings: Viele Schulen engagieren sich gegen einen solchen sozialen Alltagsrassismus – beispielsweise im Rahmen des Projekts „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“. Dem mittlerweile größten Schulnetzwerk in Deutschland gehören mehr als 2.000 Schulen an, die von rund einer Million Schülern besucht werden. Jede Schule kann den Titel erwerben, wenn mindestens 70 Prozent aller derjenigen, die in der Schule lernen und arbeiten, unterschreiben, sich künftig „gegen jede Form von Diskriminierung aufgrund der Religion, der sozialen Herkunft, des Geschlechts, körperlicher Merkmale, der politischen Weltanschauung und der sexuellen Orientierung“ an ihrer Schule aktiv einzusetzen, bei Konflikten einzugreifen und regelmäßig Projekttage zum Thema durchzuführen – wobei nicht nur der Alltagsrassismus von Deutschstämmigen gemeint ist: „Wir sind davon überzeugt, dass alle Menschen, egal woher sie kommen und wie sie aussehen, in der Lage sind, zu diskriminieren. Deshalb nehmen wir zum Beispiel den Antisemitismus oder die Homophobie eines (alt)deutschen Jugendlichen genauso ernst wie den eines Jugendlichen mit türkischen oder arabischen Wurzeln“, heißt es.
Pate des Projekts übrigens: Jérôme Boateng.
Wäre doch ein schönes Signal, wenn der nach eigenem Bekunden „Natürlich nicht“-Rassist und Nicht-Heuchler Gauland eine solche Erklärung für seine Partei unterzeichnen (und dann entsprechend handeln) würde. Noch eine kleine Zusatzinformation für den Mann, der sich angeblich zwar mit Fußball nicht auskennt, aber immer wieder gerne über die Nationalmannschaft spricht: 1954 stand zwar kein Verteidiger namens Boateng in der deutschen Weltmeister-Mannschaft, dafür einer mit dem Namen Josef Posipal – Geburtsland: Rumänien.
Hier geht’s zur Sendung (und zu ausgesuchten Ausschnitten) von Anne Will.
Die Selbstverpflichtung beim Projekt „Schule ohne Rassismus“ beinhaltet konkret:
„1. Ich werde mich dafür einsetzen, dass es zu einer zentralen Aufgabe einer Schule wird, nachhaltige und langfristige Projekte, Aktivitäten und Initiativen zu entwickeln, um Diskriminierungen, insbesondere Rassismus, zu überwinden.
2. Wenn an meiner Schule Gewalt geschieht, diskriminierende Äußerungen fallen oder diskriminierende Handlungen ausgeübt werden, wende ich mich dagegen und setze mich dafür ein, dass wir in einer offenen Auseinandersetzung mit diesem Problem gemeinsam Wege finden, zukünftig einander zu achten.
3. Ich setze mich dafür ein, dass an meiner Schule ein Mal pro Jahr ein Projekt zum Thema Diskriminierungen durchgeführt wird, um langfristig gegen jegliche Form von Diskriminierung, insbesondere Rassismus, vorzugehen.“
Hier gibt es weitere Informationen zum Projekt “Schule ohne Rassismus”.
