WIESBADEN. Die Welle der Überlastungsanzeigen von Lehrern in Hessen rollt weiter. Waren es zunächst 122 Schulen, die mit solchen Brandbriefen ans Ministerium ihre Überforderung inbesondere in Sachen Inklusion zu Protokoll gegeben hatten, so sind es nun einzelne Lehrkräfte, die sich beim Dienstherren über ihre verzweifelte Lage beschweren – ein beispielloser Vorgang.
Dutzende Lehrer in Hessen haben beim Kultusministerium über massive Überlastung im Beruf geklagt. Das geht aus einer Antwort des Kultusministeriums auf eine Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Christoph Degen hervor. Demnach haben vom 22. Juli vergangenen Jahres bis zum Juni diesen Jahres insgesamt 53 Lehrer eine sogenannte Überlastungsanzeige beim Ministerium gestellt und darin arbeitsrechtlich auf eventuelle Risiken durch diese Überbeanspruchung hingewiesen. Im Klartext: Die Kollegen fürchten um ihre Gesundheit – und geben das gegenüber dem Dienstherren offiziell zu den Akten.
Von den massiv überlasteten Lehrern unterrichten 37 an einer Grundschule, wie das Ministerium weiter mitteilte. Die überwiegenden Gründe für die Belastung während des Unterrichts seien ein gestiegenes Arbeitspensum, Mehrarbeit durch Inklusion, dreckige Schulen mit baulichen Mängeln und erschwerte Arbeitsbedingungen wegen eines sozial schwierigen Umfelds. Die meisten nach eigener Aussage überlasteten Grundschullehrer unterrichten in Stadt und Kreis Offenbach.
Der Abgeordnete Degen hatte sich bei seiner Anfrage auf eine Umfrage der GEW bezogen, wonach 70 Prozent der befragten 500 Lehrer an 43 Schulen in Hanau und Umgebung angaben, Kinder nicht mehr angemessen fördern zu können, weil ihre Arbeitsbelastung zu hoch sei. Mehr noch: Über 90 Prozent der Teilnehmer empfinden den Beruf mittlerweile als „stark belastend“ oder sogar „übermäßig belastend“. Ebenso viele geben an, während des Schuljahres an vielen oder sogar allen Wochenenden zu arbeiten. Das Ergebnis ist zwar nicht repräsentativ, wirft aber ein Schlaglicht auf die Situation der Lehrkräfte bundesweit.
Wenn eine Schule in einem so genannten Brandbrief meldet, dass sie überlastet ist und ihre pädagogischen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann, dann ist das keine Kleinigkeit. Wir erinnern uns: 2006 geriet die Berliner Rütli-Schule im Problemstadtteil Neukölln bundesweit in die Schlagzeilen, weil sie der Gewalt auf dem Schulhof nicht mehr Herr wurde – und dies in einem Brief an die Senatsverwaltung mitteilte.
In den vergangenen Monaten wurden im Zusammenhang mit der Inklusion bundesweit mehrere Brandbriefe bekannt, in denen Schulen bekannten, dass sie die in sie gesetzten Ansprüche angesichts der zu knapp bemessenen personellen Ausstattung nicht erfüllen können.
Die Dimension, die die Bewegung nun erreicht, ist bundesweit beispiellos: Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) musste im vergangenen Jahr wiederum auf eine Anfrage der SPD hin einräumen, dass es in seinem Bundesland 122 „Überlastungsanzeigen“ von Schulen gebe. Sie beklagten sich, so berichtete die „Frankfurter Rundschau“, dass sie mit dem gleichen Personal immer neue Aufgaben zu bewältigen hätten – Integration und Inklusion, kommentierte Noten oder zusätzliche Erhebungen des Lernstands. News4teachers / mit Material der dpa
