DÜSSELDORF. „Rekordeinstellung im Schuldienst – Gute Chancen für junge Lehrer“: Solche Schlagzeilen wie diese der „Stuttgarter Zeitung“ sind in jüngster Zeit immer häufiger zu lesen. Und sie entfalten offenbar Wirkung. Als erstes Bundesland meldet Nordrhein-Westfalen aktuell einen Anstieg der Zahl derjenigen, die ein Lehramtsstudium beginnen. Die NRW-Schulministerin freut sich. Aber: Fertige Lehrkräfte sind die Studienanfänger erst in sechs bis sieben Jahren. Und ob dann noch so viele Pädagogen benötigt werden, weiß niemand. Droht eine neue Runde im sogenannten „Schweinezyklus“?
Chase Elliott Clark / flickr (CC BY 2.0)
Das bayerische Kultusministerium warnt: „Bei der Entscheidung für ein Lehramtsstudium dürfen nicht die gegenwärtigen Einstellungsverhältnisse den Ausschlag geben“, so heißt es in der im März veröffentlichten „Prognose zum Lehrerbedarf in Bayern“. Tut es aber offenbar doch: Zumindest in Nordrhein-Westfalen wollen immer mehr junge Menschen Lehrer werden. Im vergangenen Jahr haben mehr als 16.350 Frauen und Männer in NRW ihr erstes Fachsemester in einem Lehramtsstudium begonnen, so berichtet „Der Westen“. Das seien fast acht Prozent mehr als im Jahr davor und fast 70 Prozent mehr als im Jahr 2005.
Auch in anderen Bundesländern dürften die Zahlen steigen. Berlin und Sachsen beispielsweise haben die Kapazitäten für Lehramtsstudierende an den Hochschulen erhöht.
Dorothea Schäfer, die nordrhein-westfälische GEW-Landesvorsitzende, hält laut Bericht die Entwicklung für eine Folge der öffentlichen Debatte um den Lehrermangel: „Das steigert die Attraktivität des Berufes für Studienanfänger, weil sie sich gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt ausmalen“, sagte Schäfer laut Bericht. Vergleichbare Entwicklungen habe es auch früher schon gegeben.
Tatsächlich ist der Lehrermangel aktuell groß: Vor allem wegen der Flüchtlingskinder werden Lehrer in vielen Regionen Deutschlands dringend benötigt. Etliche Bundesländer, darunter Sachsen und Berlin, suchen angesichts der zusätzlichen Schüler händeringend Lehrkräfte. Auch Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen stoßen bei der Besetzung freier Lehrerstellen zunehmend an die Grenzen des leergefegten Arbeitsmarktes. Das Land Berlin hat sogar eine Werbekampagne gestartet, um Grundschullehrkräfte aus Österreich und den Niederlanden abzuwerben.
NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) freut sich „über die hohe Zahl der jungen Menschen, die sich für ein Lehramtsstudium entscheiden“. Das Lehramt sei und bleibe ein „attraktiver, verantwortungsvoller und zukunftsorientierter Beruf“, sagte sie laut „Der Westen“. Das stimmt auch im Prinzip – aber wohl nicht für jedes Lehramt.
Hoher Bedarf an Grundschul-Lehrkräften
Bayern beispielsweise sieht mittelfristig für den Freistaat einen weiterhin hohen Bedarf an frischgebackenen Grundschullehrkräften. An Gymnasien allerdings sei auch weiterhin mit einem deutlichen Überangebot an Stellenbewerbern zu rechnen. Aber hier lohnt der genaue Blick: Physik und Informatik beispielsweise bleiben auf absehbare Zeit auch an den Gymnasien in Bayern begehrte Fächer.
Ein großes Problem der Prognosen allerdings ist die kaum vorhersehbare Zahl an Kindern. Bis vor kurzem gingen die Ministerien bundesweit von sinkenden Schülerzahlen aus – entsprechend vorsichtig klangen die Empfehlungen, auf Lehramt zu studieren. Das ist passé. Ob aber in sieben Jahren noch so viele Flüchtlingskinder zu integrieren sind, weiß kein Mensch.
Tatsächlich ist eine Diskrepanz zwischen Studienneigung und absehbarem Bedarf bereits jetzt erkennbar: Laut Statistischem Landesamt strebt in NRW mehr als die Hälfte der Studierenden einen Abschluss als Lehrkraft in der Sekundarstufe II an, möchte also zum Gymnasium oder zur Gesamtschule. „Das hat etwas mit den besseren Aufstiegschancen und der besseren Bezahlung zu tun“, sagt GEW-Landeschefin Schäfer.
So droht eine neue Runde im „Schweinezyklus“. Das klingt despektierlicher, als es gemeint ist: Der Begriff kommt aus der Ökonomie – und beschreibt das Problem der Zeitverzögerung bei der Anpassung des Angebots auf einem Markt.
Der Wirtschaftswissenschaftler Arthur Hanau (1902-1985) beobachtete das Phänomen eines hin- und herpendelnden Fleischmarktes 1926. Ein starker Anstieg der Nachfrage, ausgelöst etwa durch eine steigende Bevölkerungszahl oder steigenden Wohlstand, bringt zu gegebenen Preisen eine höhere Nachfrage nach Schweinefleisch mit sich. Das Angebot an Schweinefleisch kann jedoch kurzfristig nicht angepasst werden, zusätzliche Schweine müssen erst aufgezogen werden. Die Folge: Die Preise steigen – die Nachfrage sinkt. Wenn die Bauern die Tiere endlich aufgezogen haben, bieten sie das Fleisch auf dem dann wieder geschrumpften Markt an. Dadurch besteht die Gefahr, dass sie auf ihrem Angebot sitzen bleiben oder es verramschen müssen.
Auf die heutigen Studienanfänger übertragen, hieße das: Arbeitslosigkeit droht. Agentur für Bildungsjournalismus
Hier geht’s zur aktuellen bayerischen Lehrerbedarfsprognose.