STUTTGART. Die Gymnasiallehrer im “Ländle” lassen nicht locker: Nachdem sie mit ihrer Forderung nach Wahlfreiheit für das neunjährige Gymnasium (G9) bei Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) gescheitert sind, wenden sie sich an den Petitionsausschuss. Der Philologenverband übergab am Montag in Stuttgart mehr als 14.600 Unterschriften an das Landtagsgremium. Der Verband will erreichen, dass weitere G9-Standorte genehmigt werden, wenn Schulen, Schulträger, Schüler und Eltern vor Ort das wünschen. Bislang gibt es den neunjährigen Weg zum Abitur nur in Form eines Schulversuchs an 44 Standorten.
Grün-Schwarz will es bislang dabei belassen. Vor allem die Grünen wollen das achtjährige Gymnasium (G8) verbessern – statt mehr G9-Züge zu erlauben. Sie und die CDU im Landtag betonten, mit 111 zusätzlichen Lehrerstellen im laufenden Schuljahr könnten Lerninhalte in den Kernfächern in Klasse 10 vertieft werden.
Der Landesvorsitzende des Philologenverbandes, Bernd Saur, sagte: «G8 ist ein gutes Angebot für leistungsstarke Schüler, aber viele Gymnasiasten würden von einem Jahr mehr Zeit profitieren.» Er verspreche sich bessere Studierfähigkeit und mehr persönliche Reife. Aus Sicht des Verbandes ist G9 der Favorit der Eltern.
Saur sieht die Abkehr von G8 als einen bundesweiten Trend, den Baden-Württemberg nicht ignorieren könne: Niedersachsen ist flächendeckend zu G9 zurückgekehrt, in Hessen wurde Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 gewährt, was die Rückkehr der meisten Gymnasien zu G9 bewirkt hat, in Bayern wurden die Weichen in Richtung Parallelführung gestellt und in NRW steht ein Volksbegehren zu G9 an.
„Wir verkennen nicht, dass Anstrengungen unternommen wurden, das G8 verträglicher zu gestalten. Aber sind all diese Verbesserungsversuche letztendlich geeignet, den Wegfall eines ganzen Schuljahres zu kompensieren?”, so fragte Saur rhetorisch.
Seine Antwort: “G8 ist ein gutes Angebot für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler, aber viele Gymnasiasten würden von einem Jahr mehr Zeit – nicht zuletzt mit Blick auf ihre Studierfähigkeit und persönliche Reife – enorm profitieren: für vertieftes schulisches Lernen, für eine verstärkte Durchdringung von Unterrichtsinhalten, für ihre Persönlichkeitsentwicklung, für mehr Gestaltungsspielraum am Nachmittag für sportliches, musisches oder ehrenamtliches Engagement, für mehr Zeit zum Lesen und zur Teilnahme an außerschulischen Zertifizierungen, für einen längeren Auslandsaufenthalt und für vieles mehr. Was wir uns vorstellen ist ein Mehrwertgymnasium.“
Unterstützt wurde der Philologenverband in der Pressekonferenz von Matthias Burchardt, Erziehungswissenschaftler an der Universität Köln, der meinte, dass man rückblickend kaum nachvollziehen könne, warum G8 überhaupt mal beschlossen wurde. „Einen wesentlichen Kontext bildet hier sicher die von der OECD mittels PISA inszenierte Schock-Stimmung, wodurch politischer Aktionismus an die Stelle besonnener Abwägungen getreten ist“, befand Burchardt. G8 stehe in einer bedenklichen Reihe von Reformen wie der Kompetenzorientierung, welche das Bildungssystem bis in seine Fundamente erschüttert hätten und “eine ganze Generation von Kindern zu Versuchsobjekten in einem Experiment mit ungewissem Ausgang” gemacht hätten. Burchardt meinte: „Die Zeit für einen Übergang, der wieder Ruhe in die Schulen und Familien bringt, ist gekommen.“
Der Petitionsausschuss beschäftigt sich mit Eingaben von Gruppen oder Einzelpersonen, wenn sie sich von Landesbehörden ungerecht behandelt fühlen. dpa