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Inklusion und Integration der Flüchtlingskinder sind bewältigt (Achtung, Sarkasmus!) – jetzt gibt’s Geld für Förderung von Spitzenschülern (ernsthaft!)

BERLIN. Jetzt bitte mal Elitenföderung, liebe Lehrer! Stattliche 125 Millionen Euro geben der Bund und die Länder aus, um Top-Schülern besser auf die Sprünge zu helfen. Klingt erst mal gut. Aber provozierend gefragt: Sind die Probleme mit der Inklusion und den vielen Flüchtlingskindern denn schon gelöst, sodass sich die Schulen der nächsten besonderen Schülerschar widmen können? Natürlich nicht. Deshalb andersherum (und diesmal ernsthaft) aufgeworfen: Warum werden die Schulen nicht einfach so gut ausgestattet, dass sie sich allen Schülern individuell widmen können  – wär’ doch praktisch, denn auch die mittelprächtigen Schüler haben doch sicher Förderung nötig? Doofe Frage, so muss man leider entgegnen: Schulpolitik funktioniert in der „Bildungsrepublik Deutschland“ offenbar nur häppchenweise.

Kinder, die nicht als besonders förderbedürftig gelten, scheinen etwas aus dem Fokus der Politik zu geraten. Foto: r. nial bradshaw / flickr (CC BY 2.0)

Deshalb lautet die Kernfrage, die das Bundesbildungsministerium und das Kultusministerium aktuell umtreibt, nun: Geht das deutsche Bildungssystem gut genug mit seinen Spitzenschülern um? Hochbegabt (IQ 130 plus x) ist gerade Mal jeder 50. Schüler. Bezogen auf die gut 720.000 Erstklässler dieses Jahres ist das beispielsweise lediglich eine niedrige fünfstellige Zahl. Macht aber nichts: Für sie wird nun – nach vielen Absichtserklärungen – eine Menge Geld in die Hand genommen. 125 Millionen Euro für zehn Jahre wollen sich Bund und Länder ihre «Initiative zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler» zu gleichen Teilen kosten lassen. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) und die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Bremens Senatorin Claudia Bogedan (SPD), haben die Grundzüge am Montag in Berlin verkündet.

300 Schulen in ganz Deutschland sollen fünf Jahre lang Strategien testen, um die Spitzenschüler voranzubringen. Los geht es im Schuljahr 2017/18. Also wieder Pilotprojekte und punktuelle Förderung? Nein, sagt Bogedan. «Tatsächlich geht es uns darum, Modelle zu entwickeln, die nicht nur Leuchtturm-Charakter haben.» Nach fünf Jahren wird ausgewertet – und die Erfolgsrezepte auf andere Schulen übertragen. Es geht nicht nur um Gymnasien, sondern um Grund- und weiterführende Schulen, Fokus auf die Klassen 1 bis 10.

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“Problem mit der Elitenförderung”

«Elite» – dieses Wort besitzt für viele im Zusammenhang mit Bildung einen negativen Beigeschmack. «Wir haben ein Problem – in Wort und Tat – mit der Eliteförderung. Damit tun wir uns sehr schwer», bedauert der renommierte Bildungsforscher Prof. Wilfried Bos. Er betreut an der Technischen Universität Dortmund die internationale TIMSS-Studie, deren aktuelle Ergebnisse für Viertklässler in Mathematik und Naturwissenschaften an diesem Dienstag (29. November) vorgelegt werden.

Das zeitliche Zusammentreffen ist Zufall, passt aber in die bildungspolitische Landschaft. Denn die TIMSS-Tests hatten sowohl 2007 als auch 2011 nachgewiesen, dass es hierzulande im internationalen Vergleich kaum Spitzenschüler gibt: fünf bis sieben Prozent im obersten Leistungsbereich. Echte Begabtenförderung sei leider bisher immer Ankündigung geblieben, sagt Bos. «Wir versündigen uns damit an diesen Kindern, wir schöpfen ihre Potenziale nicht aus.»

Hochbegabte Schüler: Bessere Förderung im Regelunterricht – oder in Sonderklassen? Politik streitet

«Dass wir da zu wenig tun, hat sich im Laufe der Jahre gezeigt», gesteht Wanka ein. Das spiele nicht zuletzt auch eine Rolle für die Wirtschaft: «Wir sind darauf angewiesen als Nation, dass wir über Innovation und Entdeckerfreude Wohlstand generieren.» Und dazu solle sich das Denken in den Schulen ändern: Sie müssten dafür sorgen, dass die Förderung von Leistungsstärken möglich wird – und sollen dafür an «Struktur und Kultur» arbeiten.

Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sieht das gut dotierte Projekt als großen Fortschritt. «Man hat sich bisher, teilweise mit guten Gründen, auf die Gruppe der Leistungsschwächeren konzentriert», sagt er. «Obwohl ja bereits alle Studien gezeigt hatten, dass Deutschland ein Problem in der unteren Kompetenzstufe hat, aber eben auch in den höheren Stufen.»

Der geplante Förderbetrag von 125 Millionen – «das ist schon etwas», lobt Meidinger. Der Fokus liegt auf den Hauptfächern: Deutsch, Mathematik, Naturwissenschaften, Fremdsprachen. Meidinger plädiert dafür, auch Musik, Kunst, Sport und Gesellschaftswissenschaften in die Begabtenförderung einzubeziehen. Der Chef der Bildungsgewerkschaft warnt zudem davor, sich auf reine Hochbegabtenklassen und Eliteschulen zu konzentrieren. «Deren Effekt wird überschätzt.»

Meidinger verweist auf die Langzeitstudie PULSS (Projekt für die Untersuchung des Lernens in der Sekundarstufe), die den Wert einer isolierten Hochbegabtenförderung kürzlich relativiert hatte. Die SPD-Kultusminister um Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe fühlten sich dadurch in ihrem integrativen Ansatz bestätigt. «Begabtenförderung muss zur Regelaufgabe in jeder Schule und in jeder einzelnen Klasse werden», sagte Rabe auf Anfrage. Gesonderte Klassen «bergen die Gefahr, dass die Begabtenförderung in den Regelklassen unterbleibt».

Unionsgeführte Kultusministerien sehen das teilweise anders. Ohnehin wähnen sich CDU und CSU als die eigentlichen Entdecker und Verfechter von Eliteförderung an den Schulen. «Aus Sicht der unionsgeführten Länder ist Begabtenförderung sozialgerecht», sagt Bayerns langjähriger CSU-Bildungsminister Ludwig Spaenle. Wie das Zehn-Jahres-Projekt konkret umgesetzt wird, liegt zum großen Teil in der Hand der einzelnen Bundesländer. «Ich bin für Methodenvielfalt», gibt sich die Bundesbildungsministerin diplomatisch.

Dass die Schulen unter der Inklusion und der Integration von Flüchtlingskindern derzeit schier zusammenbrechen, davon ist bei der Pressekonferenz in Berlin leider keine Rede. Agentur für Bildungsjournalismus / mit Material der dpa

 

Hintergrund: Hochbegabung

Eine Hochbegabung klingt erstmal toll – kann allerdings im Alltag auch zu Probleme führen. Wichtig ist, dass Eltern die besondere Begabung des Kindes erkennen und schätzen.

Ob das eigene Kind möglicherweise hochbegabt ist, können Eltern an einigen Verhaltensweisen des Kindes erkennen. Wenn ein Kind sich etwa außergewöhnlich früh für Themen interessiert, die nicht altersgemäß sind, sei das ein Hinweis, erklärt Martina Rosenboom von der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK). «Viele Kinder fallen dadurch auf, dass sie bereits vor Schuleintritt lesen und rechnen können.» Sie interessieren sich sehr für Buchstaben und Zahlen.

Oftmals spielen die Kinder auch vermehrt mit älteren Kindern, da das besser zur eigenen Sprachentwicklung passt. Sie erforschen Themen in einer Breite und Tiefe, die ungewöhnlich für ihr Alter ist. Die DGhK listet noch weitere Hinweise auf: So fühlen sich Kinder mitunter auch von ihrer Umwelt isoliert oder gelten in der Schule als Besserwisser oder Streber. Hochbegabte Kinder können auch perfektionistisch und anderen gegenüber sehr kritisch sein.

«Eltern passen sich am besten den Bedürfnissen der Kinder an», rät Rosenboom. Ein Kind, das früh lesen will, dürfe früh lesen. Eltern könnten oft nicht einschätzen, wie weit das eigene Kind dem Alter voraus ist. Daher helfe es, sich mit andere Eltern auszutauschen.

Häufig lassen Eltern ihre Kinder bei einem Psychologen testen. «Die wenigsten tun das, weil sie nach einer Hochbegabung suchen», sagt Rosenboom. Vielmehr ist das Kind vorher in irgendeiner Form auffällig geworden – es gab ein Problem. Hochbegabung könne dann eine Antwort darauf sein.

Sollte das eigene Kind hochbegabt sein, rät Rosenboom nicht zwangsläufig zu einer für Hochbegabte ausgerichteten Schule. «Wichtig ist der Kontakt und Austausch mit Kindergarten oder Schule», sagt sie. Der Blick solle sich dort und im Elternhaus auf die Stärken des Kindes richten. Das Kind müsse sich in seiner Begabung akzeptiert fühlen. dpa

 

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