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GEW-Chefin Tepe im N4t-Interview: „Hoffe, dass bis 2020 alle Grundschullehrkräfte A13 haben”

FRANKFURT / MAIN. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verlangt, dass der Beruf der Grundschullehrer aufgewertet wird und die Lehrerinnen und Lehrer deutlich besser als bisher bezahlt werden – und startet deshalb jetzt eine Initiative. „Der Grundstein für gute Bildung wird bei den Kleinsten gelegt. Trotzdem erkennt Deutschland die wertvolle Arbeit der Grundschullehrerinnen immer noch nicht ausreichend an“, sagte Marlis Tepe zum Auftakt. News4teachers hat mit der GEW-Vorsitzenden ein Interview geführt.

Fordert A13 für alle Lehrkräfte: GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. Foto: Kay Herschelmann

News4teachers: Unlängst hat die GEW Niedersachsen eine Arbeitszeitstudie veröffentlicht, wonach Lehrkräfte aller Schulformen deutlich über ihrem Soll arbeiten – was sicher nicht nur für Niedersachsen gilt. Haben Sie die Ergebnisse so erwartet?

Marlis Tepe: Ja. Das, was ich am meisten erwartet habe, hat sich bestätigt: Vor allem Teilzeitbeschäftigte wenden mehr Zeit für die Vor- und Nachbereitung ihres Unterrichts auf, als sie laut Arbeitsvertrag müssten. Ich habe von Lehrerinnen und Lehrern schon häufig gehört, dass sie aus pädagogischen Gründen in Teilzeit gehen, um ihrem eigenen Anspruch an die Qualität des Unterrichts gerecht werden zu können. Obwohl das bedeutet, dass sie weniger verdienen und im Ruhestand weniger Pension oder Rente bekommen. Das zeigt: Lehrkräfte, die in Vollzeit arbeiten, brauchen mehr Zeit. Aber diese Zeit ist einfach nicht da.

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News4teachers: Sind die hohen Unterrichtsverpflichtungen also der Kern des Problems?

Marlies Tepe: Die Reduzierung von Unterrichtsverpflichtungen wäre ein erster wichtiger Schritt. Ein weiterer zentraler Punkt ist der Einsatz multiprofessioneller Teams. Dadurch könnten die Kolleginnen und Kollegen an den Schulen entlastet werden, da die Arbeit auf mehrere Schultern und Professionen verteilt würde. In Finnland ist es zum Beispiel üblich, dass auch LogopädInnen und PsychologInnen an den Schulen arbeiten. Wir wünschen uns natürlich, dass Bildung bei uns ebenso wichtig genommen wird. Dass beispielsweise sozialpädagogische Fachkräfte Aufgaben an den Schulen übernehmen – insbesondere, wenn Schülerinnen und Schüler aus schwierigen sozialen Verhältnissen in die Schule kommen oder Konflikte mit den Mitschülern entstehen. Außerdem brauchen wir mehr Schulpsychologinnen und -psychologen. Im Moment kommt ein

Schulpsychologe auf fünf- bis achttausend Schülerinnen und Schüler. Ich erinnere mich, dass wenn es an meiner Schule Probleme gab, die uns als Kollegium an unsere Grenze gebracht haben, wir zwar den schulpsychologischen Dienst hätten anrufen können – doch auf den hätten wir dann mehrere Wochen warten müssen. Aber man braucht ja sofort eine Lösung! Deshalb muss es ausreichend Fachkräfte in den Schulen geben.

News4teachers: Gibt es denn auch ein Ergebnis, dass Sie überrascht hat?

Marlies Tepe: Mich hat überrascht, dass ein Punkt in der Studie nicht beachtet wurde. Die Besonderheit unseres Berufes liegt ja darin, dass wir permanent reagieren müssen. Die psychosoziale Belastung im Unterricht ist unendlich groß, ständig wird man herausgefordert. Wir können den Kindern, von denen jedes einzelne Aufmerksamkeit erwartet, gar nicht so gerecht werden, wie wir es gerne würden. Nach dieser psychosozialen Belastung im Unterricht benötigen Lehrkräfte eine Ruhezeit, die für andere Berufsgruppen ganz selbstverständlich zur Arbeitszeit gehört. Diese Phasen braucht man, um wieder Abstand zu gewinnen, bevor man an die Vorbereitungen für den nächsten Tag, Korrekturen oder das Gespräch mit Eltern gehen kann. Dieses Ausgepowertsein ist in der Studie leider nicht erfasst worden.

News4teachers:  Sind psychosoziale Belastungen nur ein Problem an Grundschulen?

Marlies Tepe: Dort sind sie auf jeden Fall besonders hoch. Die GEW hat 2008 eine Befragung zum Vergleich der Arbeit an Grundschulen mit den Tätigkeiten in der Sekundarstufe II in Auftrag gegeben. Die Studie zeigt, dass die psychosozialen Belastungen in der Grundschule höher sind als an anderen Schulformen, unter anderem weil die Verantwortung für die künftige Schullaufbahn der Kinder sehr groß ist.  An weiterführenden Schulen löst eher die fachliche Arbeit Belastungen aus. Außerdem gibt es an Grundschulen eine größere Bandbreite von Schülern. Nehmen Sie zum Beispiel den Deutschunterricht im ersten Schuljahr. Dort sitzen Kinder, die können Astrid Lindgrens „Bullerbü“ schon fließend lesen. Bei anderen Kindern ahnt man dagegen, dass sie bis Ende des Zweiten Schuljahres vielleicht gerade mal das Wort „Tomate“ lesen können. Dazu kommen immer mehr Kinder mit speziellen Förderungsbedarfen. Natürlich ist es das Ziel der Grundschullehrerinnen und -lehrer, jedem Kind mit seinen individuellen Voraussetzungen gerecht zu werden. Das ist auch der Grund, weshalb nicht mehr frontal unterrichtet werden kann und Grundschullehrkräfte dem Unterrichtssetting unglaublich viel Aufmerksamkeit widmen. Ich habe es beispielsweise als sehr anspruchsvolle Aufgabe empfunden, den Kindern zu helfen, damit zurechtzukommen, dass andere schneller lernen als sie selbst.

News4teachers: Wie meinen Sie das genau?

Marlies Tepe: Stellen Sie sich vor, ein Kind lernt zum Beispiel Fahrrad fahren und schafft es dann das erste Mal. Die Eltern bejubeln es, Oma und Opa rufen an, um das Kind zu beglückwünschen. Alle sind begeistert. Dass der ältere Bruder das Radfahren viel früher gelernt hat, erfährt dieses Kind ja nicht. Und dann kommt es in die Schule und merkt dort, andere können schon lesen oder rechnen. Das Lernen und der Lernerfolg werden plötzlich immer im Vergleich zu anderen Kindern bewertet. Den Mädchen und Jungen dann trotzdem deutlich zu machen, dass sie jeden Lernschritt als Erfolg definieren können, das ist eine unheimlich hohe empathische Anstrengung, die Lehrkräfte im Unterricht erbringen müssen. Das ist die größte Leistung der Grundschullehrerinnen und -lehrer: Wenn sie es schaffen, den Kindern Spaß am Lernen zu erhalten und Selbstbewusstsein zu vermitteln. Diese Leistung und die Belastung, die damit einhergeht, kann in solchen Studien nicht erfasst werden.

News4teachers: Glauben Sie, dass es schon bald A13 für Grundschullehrkräfte geben wird?

Marlies Tepe: Das wird von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein. Berlin beispielsweise hat bereits angekündigt, dass das Land ab dem Schuljahr 2017/2018 die Entgeltgruppe 13 für angestellte Lehrkräfte an Grundschulen einführen wolle. Außerdem ist die Ausbildung für Grundschullehrkräfte schon in sieben Bundesländern genau so lang wie die der Gymnasiallehrkräfte. In diesen Ländern ist deshalb auch bereits die Erkenntnis gereift, dass Grundschul- und Gymnasiallehrkräfte gleich gut bezahlt werden müssen. Aber, so argumentieren die Politiker, fehlen die finanziellen Mittel, um dieses Ziel auch umzusetzen. Die GEW wird prüfen, ob uns juristische Wege oder gewerkschaftliche Kampfmittel weiterhelfen können. Ich bin davon überzeugt, die Tatsache, dass jetzt so wenige Grundschullehrkräfte auf dem Arbeitsmarkt sind, wird den Druck auf die Politik weiter erhöhen. Die Not der Landesregierungen wird spätestens im nächsten Jahr noch größer werden, wenn viele KollegInnen in den Ruhestand gehen. Spätestens dann werden sie im Kampf um die besten Fachkräfte die Grundschullehrerinnen und -lehrer besser bezahlen müssen. Ich hoffe, dass bis 2020 alle Grundschullehrkräfte nach A13 bezahlt werden.

Laura Millmann führte das Interview.

Streik in Berlin ist abgesagt: GEW einigt sich mit Senat über gemeinsame Erklärung zu Lehrerbezügen – A13 bald auch für Grundschullehrer?

 

„JA 13 – weil Grundschullehrerinnen es verdienen“

Grundschullehrerinnen und -lehrer würden schlechter bezahlt als die meisten Lehrkräfte an anderen Schularten, so begründet Marlies Tepe den Vorstoß der GEW in einer aktuellen Pressemitteilung. Die schlechtere Bezahlung der Grundschullehrerinnen sei eine mittelbare Diskriminierung von Frauen, da an Grundschulen rund 90 Prozent der Lehrkräfte Frauen sind. „Damit muss endlich Schluss sein“, betont die GEW-Chefin.

Sie sagt: „Nicht zuletzt mit der Inklusion sind die Anforderungen an die pädagogische Arbeit an Grundschulen kontinuierlich angestiegen. Entsprechend ist das Leistungsbewusstsein der Grundschullehrerinnen hoch – darum machen sie sich jetzt gemeinsam für die materielle Anerkennung ihrer professionellen Arbeit stark.“

Unter dem „JA13“-Motto machen GEW-Landesverbände auf die Lohnlücke zwischen A12 und A13 bzw. E11 und E13 aufmerksam. „Ja13“-Aktionstage finden jeweils an dem Tag statt, ab dem Grundschullehrerinnen nicht mehr arbeiten müssten, wenn sie nach A13 bzw. E13 bezahlt würden (umgekehrter „Equal Pay Day“). Da die Besoldung der Lehrkräfte von Land zu Land unterschiedlich ist, fallen auch die Aktionstage der GEW-Landesverbände auf unterschiedliche Termine.

Alle Informationen rund um die „Ja13“-Aktionswochen bis zum 25. November mit Veranstaltungsterminen (www.gew.de/ja13/aktionen/), Erläuterungen und Hintergrundmaterial finden Sie auf der GEW-Webseite unter: www.gew.de/ja13/.

Hintergrund: Verbeamtete Grundschullehrerinnen werden in allen Bundesländern nach A12 besoldet. Als Angestellte sind sie in der Entgeltgruppe (E) 11 des Tarifvertrages der Länder (TvL) eingruppiert. Im Gegensatz zu anderen Lehrkräften, die in der Regel nach A13 besoldet werden bzw. in E13 eingruppiert sind. Im Schnitt verdienen Grundschullehrerinnen rund 370 bis 450 Euro im Monat weniger als diese Lehrerinnen und Lehrer.

 

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