DÜSSELDORF. Immer mehr verbale und körperliche Angriffe auf Lehrer, Polizeibeamte und andere Staatsbedienstete – es reicht! Meint jedenfalls die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Die SPD-Politikerin kündigte eine Bundesratsinitiative an. Gerichte sollen Straftaten gegen Amtsträger und Nothelfer künftig „deutlich strafverschärfend“ ahnden können. „Jedes Verhalten, das eine gemeinwohlgefährdende Haltung erkennen lässt, muss zu einer höheren Bestrafung des Täters führen“, erklärte Kraft. Dazu soll das Strafgesetzbuch ergänzt werden. Der VBE – der erst in der vergangenen Woche eine Umfrage zum Thema Gewalt gegen Lehrkräfte veröffentlicht hatte – begrüßt den Vorstoß.
Drohen, mobben, beleidigen – jeder vierte Lehrer ist schon einmal Opfer psychischer Gewalt von Schülern gewesen. Das geht aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage hervor, die der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) vergangene Woche vorgestellt hatte. Demnach ist fast ein Viertel (23 Prozent) der befragten Lehrer bereits Ziel von Diffamierungen, Belästigungen und Drohungen gewesen – Aggressoren waren hauptsächlich Schüler, aber auch Eltern. Sechs von 100 Lehrern sind der Umfrage zufolge sogar schon einmal körperlich von Schülern angegriffen worden. Hochgerechnet seien damit mehr als 45.000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen aller Formen bereits Opfer von tätlicher Gewalt geworden. Zu den körperlichen Angriffen gehörten etwa Fausthiebe, Tritte, An-den-Haaren-Ziehen oder das Bewerfen mit Gegenständen.
Was ist die Ursache für die wachsende Verrohung? „In unserer Gesellschaft ist etwas verrutscht“, glaubt Kraft. Eine einfache Erklärung habe sie nicht. Ein Forschungsprojekt zu Gewalt gegen Einsatzkräfte gehe derzeit auch dieser Frage auf den Grund – Ergebnisse sollten zum Jahresende vorliegen. Dieselbe Entwicklung werde auch in den anderen Bundesländern beobachtet. Daher rechnet die Regierungschefin auch mit Zustimmung im Bundesrat für den NRW-Vorstoß. „Wir müssen deutlich Flagge zeigen an dieser Stelle.“
Wichtig sei, dass eine härtere Bestrafung nicht erst einsetze, wenn es schon zu einer „körperlichen Widerstandshandlung“ oder einer Gewaltattacke gekommen sei. Schon Beleidigung und Bedrohung müssten entsprechend geahndet werden, betont die Regierungschefin. Diejenigen, „die für uns jeden Tag den Kopf hinhalten“, hätten den Schutz des Staates verdient.
Zahlt das Land die Anwaltskosten?
Zudem ist angedacht: Eine Gesetzesänderung, die Landesbediensteten finanziell helfen soll, die im Dienst Opfer von Gewalt geworden sind. Bisher müssen etwa Polizeibeamte Schmerzensgeldansprüche direkt gegen den Angreifer durchsetzen – und gehen leer aus, wenn der nicht zahlen kann. Das Land will Kraft zufolge demnächst in Vorleistung gehen und übernehmen, wenn der Täter zahlungsunfähig ist. Stärker engagieren will sich die Landesregierung einem Bericht der „Rheinischen Post“ zufolge auch, wenn es um Gewalt gegen Lehrer geht. „Wir debattieren darüber, dass das Land die Rechtskosten übernimmt, wenn Lehrer angegriffen werden“, sagte Kraft. Es habe sie erschüttert, wie wenige Lehrer solche Übergriffe überhaupt den Schulleitungen und Schulbehörden melden. Die Neuerung werde zügig noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt, verspricht die Ministerpräsidentin.
„Die Politik hat das Alarmsignal gehört. Wir unterstützen die Bundesratsinitiative der Landesregierung von NRW für härtere Strafen bei Gewalt gegen Landesbedienstete einschließlich der Lehrkräfte ausdrücklich“, kommentiert Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, die Ankündigung.
Über die Strafverschärfung hinaus fordert der VBE weiter:
- Gewalt gegen Lehrkräfte darf kein Tabu-Thema mehr sein.
- Die Dokumentation von Vorfällen hat verpflichtend zu erfolgen.
- Statistiken müssen geführt und veröffentlicht werden.
- Die Lehrkraft muss die volle Unterstützung des Dienstherren erhalten.
- Entwicklung klarer Strukturen, an wen sich Lehrkräfte wenden können und was nach einem Übergriff zu tun ist.
- Unterstützung der Schulen durch multiprofessionelle Teams.
- Ein breites Fortbildungsangebot.
- Vermittlung von Medienkompetenz als Prävention gegen Cybermobbing.
Unterstützung für Kraft kommt auch von Lehrkräften aus Thüringen. „Wir freuen uns zu sehen, dass die vor wenigen Tagen vorgestellten Ergebnisse der Forsa-Studie zur Gewalt gegen Lehrer so schnell erste Früchte tragen“, erklärte Rolf Busch, Vorsitzender des Thüringer Lehrerverbands (tlv). „Die Initiative aus NRW dient auch dem Schutz der Lehrer und ist damit ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Situation.“
Nun sei es wichtig, dass die Bundesratsinitiative eine möglichst breite Unterstützung der Länder findet. „Wir werden deshalb unseren Ministerpräsidenten bitten, auch für Thüringens Lehrer einzustehen.“ Der Verband werde sich mit diesem Anliegen umgehend an Bodo Ramelow (Linke) wenden, kündigte Busch an. Nach den Ankündigungen von Kultusministerin Birgit Klaubert (Linke), die dem tlv eine enge Zusammenarbeit beim Thema Gewalt zugesagt hat, hege der Verband nun große Hoffnungen, dass auch Thüringens Landesregierung für die geplante Verschärfung eintritt. Agentur für Bildungsjournalismus / mit Material der dpa