BREMEN. Lehrer werden vielerorts gesucht. Um offene Stellen zu besetzen, werden manche Bundesländer kreativ. Neben Quereinsteigern, Referendaren und arbeitswilligen Pensionären kommen vielerorts auch Studenten zum Zug. Darüber reden wollen sie lieber nicht.
Wenn Ramona Seeger in Bremen vor ihren Schülern steht, ist sie eine Lehrerin wie viele andere. Selbstbewusst unterrichtet die 29-Jährige Politik und Deutsch. Pro Klasse ist die junge Frau für bis zu 26 Schüler verantwortlich. Dass sie keine ausgebildete Lehrerin ist, wissen die Jugendlichen allerdings nicht. Nur im Kollegium ist bekannt, dass Seeger noch kein Referendariat hat: «Wir werden Feuerwehr-Lehrkräfte genannt», erzählt sie. Der Lehrermangel ist bundesweit ein Problem.
Besonders schwierig ist die Lage nach Einschätzung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Sachsen und Berlin, aber auch anderswo fehlen je nach Schulform und Fach viele Lehrer. Für das Bundesland Bremen sehen die Zahlen auf den ersten Blick nicht gut, aber auch nicht dramatisch aus. Das Bildungsressort zählt knapp 40 offene Stellen in Bremerhaven, rund 35 offene in Bremen. Insgesamt gibt es in dem Zweistädtestaat mehr als 6740 besetzte Vollzeitstellen, dazu mehr als 200 Stellen für Vertretungslehrer.
Aufsehen erregen andere Zahlen. Mittlerweile werde in der Stadtgemeinde Bremen jede elfte Unterrichtsstunde nicht von einer voll ausgebildeten Lehrkraft gegeben – oder sie falle ganz aus: «Tendenz steigend», urteilt der GEW-Landesverband Bremen jüngst. Über 230 Vertretungskräfte in der Stadtgemeinde hätten ihr Studium noch nicht beendet, sondern besäßen nur einen Bachelor-Abschluss. Das Bildungsressort korrigiert die Zahlen nach unten: «Etwa 180 Lehrkräfte ohne zweites Staatsexamen arbeiten für uns. Sie sollten ausschließlich innerhalb unseres Vertretungspools im Einsatz sein», sagt Sprecherin Annette Kemp.
Ramona Seeger hat viele Bekannte, die ohne abgeschlossenes Studium als Lehrer arbeiten. «Es gibt Leute, die im Master studieren und eine Klassenleitung übernehmen», erzählt die 29-Jährige. «Ich habe schon öfter gehört, dass das relativ anstrengend ist.» Das Bildungsressort bestätigt, dass es solche Fälle gibt. Es seien Ausnahmen, heißt es. «Wir arbeiten daran, dass niemand ohne zweites Staatsexamen als Klassenlehrer tätig ist», sagt Kemp.
Studierende als Klassenlehrer
Betroffene Studenten in Bremen wollten nicht öffentlich über ihre verantwortungsvolle Position sprechen. Der Grund: Die Schulen kommunizierten nach außen nicht, dass sie Studierende als Klassenlehrer einsetzen. Aus Angst, Ärger zu bekommen oder die eigene Karriere zu gefährden, sagen die jungen Menschen lieber nichts.
Die Bildungsgewerkschaft GEW kritisiert die Entwicklung. «Ich halte das für eine Überforderung», sagt Ilka Hoffmann, die im GEW-Hauptvorstand für Schule verantwortlich ist. «Dass Studierende einzelne Unterrichtsstunden halten, ist ganz normal.». Als Ersatz für ausgebildete Lehrkräfte dürften sie aber nicht eingesetzt werden. Zu dem Beruf gehöre eine solide pädagogische und fachliche Ausbildung.
Das Bremer Bildungsressort verweist auf die schwierige Lage. Es sei derzeit nicht möglich, den Vertretungsunterricht nur mit fertig ausgebildeten Lehrkräften zu gestalten, sagt Kemp. «In anderen Bundesländern ist der Einsatz von Lehrkräften ohne zweites Staatsexamen auch gängige Praxis.»
Der Pressesprecher des GEW-Landesverbandes Bremen, Bernd Winkelmann, zeigt für die Lage im kleinsten Bundesland Verständnis. «Das ist eine Notsituation«, sagt er. Aber: «Wir müssen darauf achten, dass die Qualität des Berufs gehalten wird.» Das Verhältnis zwischen ausgebildeten und nicht fertig ausgebildeten Lehrern stimme nicht mehr. Wie die Lage in anderen Bundesländern ist, weiß die GEW nicht. «Das ist schwer einzuschätzen, weil wir die Daten nicht haben», sagt er. Die Tendenz, auf Studenten zurückzugreifen, sei aber deutlich.
Das Land Niedersachsen will dem Lehrermangel entgegentreten – und denkt dabei an Quereinsteiger, Referendare und arbeitswillige Pensionäre. Zu Beginn des laufenden Schuljahres hat das Land fast 2300 neue Lehrer eingestellt – darunter 300 Quereinsteiger. Zum kommenden Schulhalbjahr sollen weitere 1300 Lehrerstellen ausgeschrieben werden. Ob auch Studenten eigenverantwortlich unterrichten, konnte das Kultusministerium nicht sagen. An manchen Standorten und an bestimmten Schulformen sei es schwierig, freie Stellen zu besetzen, teilte Sprecher Sebastian Schumacher mit.
Für angehende Referendare wie Ramona Seeger heißt das: Einerseits ist der Lehrermangel eine Chance, früh Praxiserfahrung zu sammeln und Geld zu verdienen. Andererseits sorgen sich die jungen Menschen um die Zukunft des Lehrerberufs. «Wenn es zur Normalität wird, dass Studierende unterrichten – wozu braucht es dann noch eine lange Ausbildung und gut bezahlte Lehrer?», fragt sich nicht nur Seeger. Genau das befürchtet auch die GEW und betont, dass Studenten nur als Aushilfskräfte und nicht auf Planstellen eingesetzt werden dürften.
Seeger ist froh, dass im Februar das Referendariat beginnt. «Ich glaube schon, dass mir noch viele Dinge fehlen», sagt sie. Die 29-Jährige ist sicher: Erst nach dem Vorbereitungsdienst kann sie aus einer breiten didaktischen Reserve schöpfen: «Das kommt dann auch den Schülern zugute.» Von Helen Hoffmann, dpa