DÜSSELDORF. Die Schüler waren laut und mussten deshalb einen Text abschreiben. Zum Ende der Stunde setzte sich der Lehrer vor die Klassentür, um dies zu kontrollieren. Deshalb wurde er wegen Freiheitsberaubung verurteilt – wogegen er Einspruch einlegte. Heute war der erste Tag der Revisionsverhandlung. Der Richter wollte das Verfahren schon einstellen. Aber: Die Staatsanwaltschaft pocht auf eine Verurteilung.
Eine Unterrichtsstunde über den «Teufelsgeiger» Paganini brachte Musiklehrer Phillip Parusel (50) sprichwörtlich in Teufels Küche. Erst tauchte die Polizei im Klassenraum auf, dann sah er sich einem Strafverfahren ausgesetzt, das ihm sogar eine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung eintrug. Vor dem Düsseldorfer Landgericht wehrt sich Parusel nun seit Montag in zweiter Instanz gegen dieses Urteil.
Der Vorsitzende Richter Rainer Drees hätte das Verfahren auch gerne wegen Geringfügigkeit eingestellt – doch Staatsanwältin Laura de Bruyne spielt nicht mit. Aus ihrer Sicht ist Parusel der Freiheitsberaubung und der fahrlässigen Körperverletzung überführt. Richter Drees sieht das anders: «Wir haben Zweifel, dass sich die Vorwürfe hier erhärten lassen.»
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Der Richter hat aber auch grundsätzliche Bedenken: Der Fall sei «ungeeignet, von einem Strafgericht entschieden zu werden.» Denn: «Lehrer ist kein einfacher Job. Ihm mit einem Strafgericht ständig zu Leibe zu rücken, macht ihn nicht einfacher.» Wenn dies Schule mache, werde künftig nicht nur gegen die Schulnoten juristisch vorgegangen, sondern auch noch gegen den Unterrichtsstil.
Was war geschehen? Die Klasse 6 b einer Realschule in der Stadt Kaarst bei Düsseldorf war laut und unkonzentriert, darin sind sich alle Befragten einig. Lehrer Parusel vergatterte die Schüler zum Abschreiben des Wikipedia-Eintrags über Paganini. Zum Ende der Stunde setzte er sich mit seinem Stuhl vor die Klassentür. Wer raus wollte, musste den abgeschriebenen Text vorzeigen.
Mehrere Schüler durften zunächst nicht gehen – und ein Schüler wurde recht unsanft zurückgedrängt, manche sagen: in die Magengrube geboxt. Der Schüler selbst sagt, es sei nicht unbedingt Absicht des Lehrers gewesen, habe aber wehgetan. Da rief ein anderer Schüler per Handy die Polizei. In der Klasse würden Schüler festgehalten und geschlagen.
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Er habe lediglich einen Vordrängler zurückgeschoben, sagt Lehrer Parusel. «Das wurde mir als Stoß in die Bauchgegend ausgelegt. Die Schüler konnten hintereinander an mir vorbeigehen. Etwa 20 bis 25 Schüler haben das ja auch gemacht.»
Schulleiter Jürgen Bosse erfuhr in seinem Büro telefonisch von der Polizei-Leitstelle von den Vorwürfen und machte sich sofort auf den Weg zum «Tatort». Als er etwa eine Minute später am Klassenraum eintraf, habe er eine «entspannte, völlig normale Situation» vorgefunden. Vier bis fünf Schüler hätten sich noch im Raum befunden, einer habe gefegt, die anderen hätten ihre Sachen zusammengepackt. Dann sei auch schon die Polizei eingetroffen. Das Landgericht will nun noch weitere Zeugen hören und den Prozess am 6. Februar fortsetzen. Von Frank Christiansen, dpa