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Inklusion schreitet voran: Immer mehr Kinder mit Förderbedarf besuchen die Regelschule – Lehrerverband: Euphorie ist Ernüchterung gewichen

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HANNOVER. Das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderungen kommt voran. Beispiel Niedersachsen: Die Inklusionsquote beträgt dort im laufenden Schuljahr stattliche 61,4 Prozent. Doch die Schulen brauchen dringend mehr pädagogisches Personal, mahnen die GEW und die Opposition. Der  Verband Niedersächsischer Lehrkräfte stellt fest, dass die anfängliche Euphorie der Ernüchterung auf allen Seiten gewichen sei.

Streitthema Inklusion: Der Druck auf die Lehrerschaft wächst. Foto: zeevveez / flickr (CC BY 2.0)

In Deutschlands Schulen lernen immer mehr Kinder mit Behinderungen gemeinsam mit ihren nicht-behinderten Altersgenossen.  So auch in Niedersachsen: Von dort  rund 37.000 Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Klassen 1 bis 8 besuchen rund 23.000 eine allgemeine öffentliche Schule. Die Inklusionsquote stieg damit auf 61,4 Prozent, wie Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) am Mittwoch sagte. Im Schuljahr davor lag der Wert noch bei 58,5 Prozent.

Das zeige deutlich, dass Eltern von Schülern mit Unterstützungsbedarf sich klar für die Inklusion entschieden, sagte die Ministerin. «Alle, die wieder andere Schulformen einführen wollen, befinden sich auf einer Rückwärtsbewegung, die die Eltern nicht tragen», sagte Heiligenstadt in Anspielung auf Pläne der Opposition. Das Prinzip der Inklusion wird seit 2013 in Niedersachsen umgesetzt.

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CDU-Bildungspolitiker Kai Seefried kritisierte, vielerorts sei ein vernünftiger gemeinsamer Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung kaum möglich, da Lehrer und pädagogisches Personal fehlen würden. «Sich für eine steigende Inklusionsquote zu loben, nachdem man den Eltern die Wahlmöglichkeit genommen hat, ist eine Unverschämtheit», sagte Seefried.

Gymnasium (fast) außen vor

Bei der Wahl der Schulform zeigen sich große Unterschiede. Rund die Hälfte der inklusiv beschulten Kinder mit sonderpädagogischem Bedarf besucht eine Grundschule. Bei den weiterführenden Schulen werden Oberschulen (19 Prozent) und Gesamtschulen (16,6 Prozent) bevorzugt, gefolgt von Hauptschulen (9,3 Prozent). Nur 2,6 Prozent der Inklusionskinder besuchen ein Gymnasium, 2,5 Prozent eine Realschule.

Nach Angaben des Kultusministeriums investiert Niedersachsen im laufenden Jahr 330 Millionen Euro, um die Inklusion voranzubringen. Im Jahr 2013 waren es noch 178 Millionen Euro. Bis zum Jahr 2021 sind insgesamt 1,585 Milliarden Euro eingeplant. Davon sind 231 Millionen Euro für 650 zusätzliche Stellen für Pädagogen vorgesehen.

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Heiligenstadt kündigte an, über die bisherige Planung hinaus zusätzliches pädagogisches Personal einzustellen, damit die Lehrkräfte noch mehr Unterstützung erhalten würden. Um wie viele Stellen es sich handeln wird, sagte sie nicht. «Die Inklusion muss durch Einstellung von mehr Sozialpädagogen verbessert werden. 1000 Stellen wären ein erster Schritt», sagte dazu der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Eberhardt Brandt.

Der schulpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Björn Försterling, verwies darauf, dass sich die Zahl der Inklusionskinder seit 2013 versiebenfacht habe – die vom Land aufgewandten Mittel aber nur verdoppelt. Diese Inklusion auf Sparflamme belaste Lehrer, Eltern und Schüler, kritisierte Försterling.

Ins gleiche Horn stieß der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL/VDR).  Der Anstieg der Inklusionsquote von 2015 auf 2016 ist mit 2,9 Prozentpunkten sei deutlich niedriger ausgefallen als in den Jahren zuvor, heißt es dort. Die anfängliche Euphorie sei auf allen Seiten der Ernüchterung gewichen. „Die Inklusion an Niedersachsens Schulen läuft noch immer nicht rund und bedarf intensiver Unterstützung“, erklärte VNL/VDR-Vorsitzender Manfred Busch.

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Theorie und Praxis klaffen laut Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL/VDR) oftmals noch sehr auseinander, wenn sehr unterschiedliche Schülerinnen und Schüler im gemeinsamen Unterricht zusammentreffen. „Neben dem hochbegabten Kind soll das lernbehinderte und das emotional-sozial auffällige Kind mit dem ‚normal‘ begabten Kind und dem noch nicht gut deutsch sprechenden und verstehenden Flüchtlingskind schülergerecht optimal gefördert und gefordert werden. Darauf sind die meisten Lehrkräfte in Niedersachsen in ihrer Ausbildung nicht vorbereitet worden“, so Verbandschef Manfred Busch. Zusätzlich erschwert gerade in den Sek-I-Schulen die oftmals ungenügende Unterrichtsversorgung die inklusive Arbeit.

Der Verband begrüßte die Ankündigung, zusätzliches pädagogisches Personal an den inklusiven Schulen einzustellen. Busch: „Das fordert der VNL/VDR schon lange. Es ist jedoch aus Erfahrung zu befürchten, dass die Umsetzung dieser dringend notwendigen und sinnvollen Maßnahme viel zu lange brauchen wird. Die Schulen benötigen umgehend mehr Unterstützung für eine gelingende Inklusion. Dazu gehört auch eine echte Wahlmöglichkeit für Eltern, ob sie ihr Kind an einer Regelschule oder an einer Förderschule unterrichten lassen wollen.“

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