Wenn eine Schule in einem so genannten Brandbrief meldet, dass sie überlastet ist und ihre pädagogischen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann, dann ist das keine Kleinigkeit. Wir erinnern uns: 2006 geriet die Berliner Rütli-Schule im Problemstadtteil Neukölln bundesweit in die Schlagzeilen, weil sie der Gewalt auf dem Schulhof nicht mehr Herr wurde – und dies in einem Brief an die Senatsverwaltung mitteilte. In den vergangenen Monaten gab es in mehreren Bundesländern solche Brandbriefe an die zuständigen Kultusminister. Bislang allerdings ohne nennenswerte Reaktionen.
Jetzt kommt ein solches Schreiben aus Gießen. Im Namen fast aller Grundschulen der hessischen Stadt übergab nun eine Delegation von Schulleitern einen Brandbrief an das dortige Schulamt – mit der Bitte um Weiterleitung an das Ministerium. In dem Brief, der der „Gießener Allgemeinen Zeitung“ vorliegt, wird auf drei Seiten Probleme ausgeführt, die die Kollegien „in der täglichen Arbeit behindern und die es uns zunehmend erschweren, Schule zu gestalten und Unterricht zu gewährleisten“. Konkret: Die Grundschulrektoren beklagen eine Überlastung der Kollegien durch die Inklusion („deren Grundgedanken wir alle voll befürworten“). Kritisiert werde die fehlende Unterstützung durch Förderschullehrer bei einer steigenden Anzahl inklusiv zu beschulender Kinder. Angebote für verhaltensauffällige Schüler fehlten. Fazit: „Die aktuellen Bedingungen in den Grundschulen machen eine gelingende Inklusion für alle Beteiligten unmöglich.“
Auch beklagen die Grundschulleiter einen „massiv erhöhten Arbeitsaufwand“ durch den Ganztag. Einer gewachsenen „Belastung durch zusätzliches Personal- und Gebäudemanagement, die Bildung und Leitung »multiprofessioneller Teams«, die Organisation des Mittagessens und den zeitlichen Aufwand durch die Verwaltung der Budgets“ stünden „fehlende Ressourcen beim nicht pädagogischen Personal (Sekretariat, Hausmeister)“ gegenüber. Grundsätzlich gelte: Die Ansprüche an die Grundschulen „wachsen mit zunehmender Geschwindigkeit“. Allerdings würden die Voraussetzungen nicht entsprechend angepasst. So würden zunehmend (Flüchtlings-)Kinder beschult, die kaum Kenntnisse der deutschen Sprache hätten. An vielen Schulen trete die Vermittlung von Bildungsinhalten in den Hintergrund, weil immer mehr „Erziehungsaufgaben die Zeit der Lehrer in Anspruch nehmen“. Individuelle Förderung? Davon könne angesichts der Belastungssituation keine Rede mehr sein.
In Sachsen-Anhalt wird ebenfalls Protest von Grundschulleitungen laut. In einem Brandbrief von 25 Grundschulleitern aus dem Saalekreis, dem sich mittlerweile 106 Rektoren aus dem Norden Sachsen-Anhalts angeschlossen haben, wird mehr Personal gefordert, um dem Bildungsauftrag auch außerhalb des Pflichtunterrichts gerecht werden zu können. Hintergrund: Das Schulministerium möchte 250 Lehrerstellen einsparen. „Durch diese Kürzung erhöht sich die Arbeitsbelastung für die Lehrkräfte auf ein nicht mehr zu bewältigendes Maß“, heißt es im Brandbrief, aus dem die “Volksstimme” zitiert. Und weiter: „Der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule kann nicht mehr vollumfänglich umgesetzt werden.“ Die Grundschule drohe zu einem bloßen Betreuungsangebot zu verkommen. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
Immer öfter bekommen Kultusministerien in Deutschland Post von ihren Grundschulleitern. In den Briefen beklagen sie eine zunehmende Überlastung. Passiert ist bislang wenig – in keinem Bundesland haben die Grundschulen bislang eine nennenswerte Entlastung erfahren.
- „Viele der rund 5000 Schulleiterinnen und -leiter an Grund- und Mittelschulen und ihre Verwaltungsangestellten sind am Ende ihrer Kraft“, so heißt es in einem Brandbrief bayerischer Schulleiter im Februar an die Staatskanzlei in München. Sie überschritten ihre persönliche Belastungsgrenze dauerhaft. Die Fülle der Aufgaben und Anforderungen sei immens und ständig kämen neue dazu.
- Ebenfalls im Februar schildern Grundschulleitungen aus Frankfurt/Main die Lage an ihren Schulen drastisch: bis zu 25 Kinder in einer Klasse, von denen mitunter 20 ohne ausreichende Deutschkenntnisse eingeschult worden seien. Die Familien der Kinder kämen aus verschiedenen Kulturkreisen, ihre Elternhäuser seien extrem heterogen. Viele würden elterliche Aufgaben wie die Erziehung zu Umgangsformen, die medizinische Versorgung und die Ernährung an die Schulen abtreten. Daraus erwachse für die Lehrer „eine kaum zu bewältigende Arbeitsbelastung sowohl in zeitlicher als auch in psychischer Dimension“, schreiben die Schulleiter in einem Brief an das hessische Kultusministerium.
- Im vergangenen Jahr haben Dutzende Lehrer aus Hessen, die meisten davon aus Grundschulen, eine sogenannte Überlastungsanzeige beim Ministerium gestellt und darin arbeitsrechtlich auf eventuelle Risiken durch diese Überbeanspruchung hingewiesen. Im Klartext: Die Kollegen fürchten um ihre Gesundheit – und geben das gegenüber dem Dienstherren offiziell zu den Akten.
