HAMBURG. Die Neuen Rechten stellen die Pädagogik vor neue Aufgaben. Nahmen Denker und Pädagogen lange Zeit an, dass die Erziehung zum mündigen, kritischen Staatsbürger Extremisten quasi automatisch den Nährboden entzieht, müssen sie jetzt mit ansehen, dass gerade die Rechtspopulisten besonders kritisch sind. Es ist Zeit, in der Erziehung umzudenken, fordert der Politikwissenschaftler Yascha Mounk in der aktuellen Ausgabe der „Zeit“. Demokratische Institutionen brauchen nicht nur Kritik, sondern auch Loyalität. Seine Thesen im Überblick.
- Kritisches Denken gegenüber den herrschenden Institutionen und Verhältnissen zu vermitteln, war lange Zeit eines der wichtigsten Ziele der schulischen Pädagogik. Nahmen führende Dichter und Denker wie Theodor Adorno, Günter Grass oder Erich Kästner doch an, dass der „Untertanengehorsam“ die Deutschen in den Nationalsozialismus geführt hatte.
- Als Umkehrschluss daraus ging es vielen Lehrern in den Klassenzimmern nicht mehr nur darum, Fachwissen zu vermitteln, sondern die Schüler zu kritischen Staatsbürgern zu erziehen, die sich jeglichen faschistischen Tendenzen entgegenstellen würden. Sie nahmen an, dass es für die Demokratie förderlich sei, wenn Kinder Eltern, Politiker und Institutionen kritisch hinterfragten.
- Diese antiautoritäre Erziehung sei „in gewisser Hinsicht ungemein erfolgreich“, schreibt Yascha Mounk. Kritik an den Institutionen herrscht allerorten. Als unkritisch könne man aber auch die Neuen Rechten nicht bezeichnen. „Der Wutbürger speist einen großen Teil seiner Wut aus der Überzeugung, von Machthabern und Medienmachern betrogen zu werden.“ Hinter dem Anschlag auf das World Trade Center steckt nach Ihrer Lesart nicht Al-Kaida, wie die „Lügenpresse“ glauben machen will, sondern die CIA. Hinter den Hackerangriffen auf Hillary Clinton oder Emmanuel Macron steckten nicht russische Strippenzieher, sondern die NSA.
- Die antiautoritäre Erziehung hat somit das Ziel des Hinterfragens erreicht, aber das Ziel, die freiheitlichen Institutionen zu stärken, verfehlt. Wissenschaftler Mounk zieht das Zwischenfazit: „Eine gut funktionierende Demokratie braucht überzeugte Demokraten, die das System zwar kritisch begleiten, ihm aber auch ein gewisses Maß an Grundvertrauen entgegenbringen.“
- Aus der deutschen Vergangenheit könne man daher zwar nach wie vor ableiten, dass die Erziehung zu blindem Gehorsam keine Demokraten erzieht. Um erfolgreich zu sein, darf die demokratische Erziehung jedoch nicht bei bloßer Kritik an den freiheitlichen Institutionen stecken bleiben.
Arnold Böcklin “Die Freiheit” 1891. Bild: Wikimedia public domain.
Der an der Universität Harvard lehrende Mounk fordert daher eine grundlegende Debatte zum zweifellos schwierigen Thema und liefert selbst die ersten Argumente dafür. Demokratiebejahende Pädagogik sollte unbedingt von der Grundannahme ausgehen, dass Denkfähigkeit und Loyalität sich nicht widersprechen. Gerade aus der Auseinandersetzung der eigenen freien Meinung mit dem gesellschaftlichen Konsens könne eine solidere Basis der eigenen Annahmen entstehen. Mounk zitiert den britischen Vordenker der Freiheit und Verteidiger der Redefreiheit John Stuart Mill: “Die stetige Angewohnheit, die eigene Meinung zu korrigieren und zu vervollständigen, indem man sie mit den Meinungen anderer konterkariert, sollte nicht etwa Zweifel und Zögern zur Folge haben, im Gegenteil ist sie das einzig stabile Fundament dafür, sich auf die eigene Meinung zu Recht verlassen zu können.”
Außerdem bleibe die Nation nach wie vor eine mächtige Kraft. Dieses Feld sollten die Pädagogen in keinem Fall den Feinden der freiheitlichen Demokratie überlassen. „Bei allen Bedenken sollte es deshalb Aufgabe der deutschen Pädagogen sein, einen moderaten, freiheitsliebenden Patriotismus zu stiften, der sich gegen nationalistische Angriffe zu wehren vermag.“ Etwa indem die Errungenschaften der deutschen Gesellschaft seit 1945 herausgestellt werden. nin
