Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands und seit Juni auch Präsident des Deutschen Lehrerverbands, hat die Länder aufgefordert, auch in Zeiten des Lehrermangels nicht jeden Bewerber zu nehmen – und manche allenfalls befristet anzustellen. „Es ist nicht vertretbar, in Mangelzeiten auch unzureichend qualifizierte Bewerber auf Dauer einzustellen“, sagte Meidinger gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Meidinger befürchtet, dass besseren Bewerbern zu späterer Zeit durch solche Praktiken der Weg ins Lehramt versperrt wird.
Entsetzt äußerte sich der Philologen-Chef darüber, dass in Berlin schon die Hälfte der MINT-Fächer unterrichtenden Lehrer ohne vollwertige pädagogische Qualifikation vor der Klasse stehen – und in den Grundschulen der Bundeshauptstadt im vergangenen Jahr nur noch 20 Prozent der für den Schuldienst neueingestellten ein passendes Lehramtsstudium aufweisen konnten. Das dürfte zu Beginn des neuen Schuljahres kaum besser aussehen. Er habe nichts dagegen, so Meidinger, wenn es ab und an einen Seiteneinsteiger an einer Schule gebe. Aber bei einer Vielzahl von Quereinsteigern sei die Qualität gefährdet. „Dabei weiß man doch spätestens seit den PISA-Studien, dass die Ergebnisse um so schlechter ausfallen, je höher der Anteil von Nicht-Fachlehrern liegt“, erklärte Meidinger.
Schüler-Boom einerseits, Lehrermangel andererseits: Meidinger fordert “Masterplan” der Länder
Immer mehr Quereinsteiger sind eine Facette des Lehrermangels, eine sich verschlechternde Qualifikation des Berufsnachwuchses eine andere – letzteres steht zumindest als Befürchtung im Raum. Der Anlass: Die Bildungsverwaltung hat gegenüber dem „Tagesspiegel“ bestätigt, dass die Hürden für die Fachseminarleiter inzwischen gesenkt wurden, weil es insbesondere im Grundschulbereich zu wenige davon gibt. Früher wurden für diese Ausbilder fünf Jahre Berufserfahrung verlangt, so heißt es in dem Bericht. Mittlerweile würden die ersten Seminare (in denen Referendare fachlich begleitet, aber auch die pädagogisch unbeleckten Quereinsteiger auf die Praxis vorbereitet werden sollen) jetzt von Berufseinsteigern geleitet.
Paar Monate lang an der Grundschule
„In wenigen Ausnahmefällen wurden auch Lehrkräfte beauftragt, die aufgrund ihrer fachlichen Eignung weniger als zwei Jahre im Schuldienst tätig sind“, erklärte die Sprecherin von Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) gegenüber der Zeitung. Die betreffe allerdings nur etwa zehn von derzeit über 700 Fachseminarleitungen. Nach Informationen des Blattes ist die Not allerdings schon so groß, dass eine junge Lehrerin als Fachseminarleiterin für Grundschulen verpflichtet wurde, obwohl sie zuvor nur ein paar Monate lang als Aushilfslehrkraft an einer Grundschule gearbeitet und ihre Ausbildung dann an einer Sekundarschule absolviert hatte.
Der Lehrermangel insbesondere an den Grundschulen bringt bundesweit immer mehr Blüten hervor: Nordrhein-Westfalen und Hessen versuchen, pensionierte Lehrkräfte mit Zuschlägen gegenüber ihren früheren Bezügen zurück in den Schuldienst zu locken. Mit der Ankündigung, Anträge auf Teilzeit und Vorruhestand zunächst abzulehnen, sorgte das bayerische Kultusministerium für Schlagzeilen. In Baden-Württemberg hieß es, Lehrkräfte müssten notfalls regional umverteilt werden. Eine weitere Spitze kam gestern aus Niedersachsen: Dort sollen Lehrkräfte aus den Gymnasien an den Grundschulen aushelfen – per Zwangs-Abordnung.
Angesichts auch noch steigender Schülerzahlen in den nächsten Jahren hat Meidinger die Bundesländer zu einem gemeinsamen Kraftakt aufgerufen. „Wir müssen jetzt ganz schnell umsteuern: Planstellen schaffen, die Lehrerwerbung verstärken, Pädagogen nachqualifizieren“, sagte der DL-Präsident. „Wenn das nicht passiert, gibt es für die Länder drei Stellschrauben: größere Klassen, höhere Lehrerarbeitszeiten, weniger Unterricht. Das ist ein Szenario, vor dem ich nur sehr warnen kann.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
Lehrermangel sorgt für immer mehr Zwangsversetzungen – Unruhe in den Kollegien