HANNOVER. Am letzten Ferientag gibt sich Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt optimistisch, dass kein Pflichtunterricht ausfallen wird. Opposition und Verbände zeichnen dagegen ein düsteres Bild von der Situation in den Schulen. Der VNL/VDR nennt Heiligenstadts Vorstellung „dreist“ – der Philologenverband spricht gar von einem „Wolkenkuckucksheim“.
Zum Start des neuen Schuljahres sucht Niedersachsen noch Lehrkräfte für rund 280 freie Stellen. Besonders dramatisch ist die Situation an Grund-, Haupt- und Realschulen: Hier gab es 632 Einstellungsmöglichkeiten zum 31. Juli, davon waren am 24. Juli erst 462 besetzt. Nach Angaben des Kultusministeriums hat dies mit einer Verlängerung der Studienzeit zu tun, aufgrund derer es in diesem Jahr weit weniger Absolventen gibt. Der Einstellungsprozess laufe aber noch, betonte Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) am Mittwoch in Hannover. «Der Pflichtunterricht ist auf jeden Fall gesichert.» Erneut habe das Land in großem Umfang Lehrkräfte eingestellt. Insgesamt wurden zum 31. Juli 1531 von 1814 offenen Stellen besetzt, davon 164 über Quereinsteiger.
CDU und FDP rechnen dagegen mit Unterrichtsausfall. Der Lehrermangel sei ein hausgemachtes rot-grünes Problem, kritisierte der schulpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Kai Seefried. Unter anderem seien zu wenig Pädagogen neu eingestellt worden. Der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte VNL/VDR sieht im neuen Schuljahr vor allem auf die Ober-, Real- und Hauptschulen große Probleme zukommen. Er bezweifele, dass an diesen Schulen Heiligenstadts Prognosewert von 98 Prozent Unterrichtsversorgung eingehalten werden könne, sagte der VNL-Vorsitzende Manfred Busch. Gute schulische Qualität werde auf der Strecke bleiben. Von den dort ausgeschriebenen Stellen konnten nach Verbandsangaben etwa 25 Prozent, also ein Viertel, nicht besetzt werden. 20 Prozent der Neueinstellungen seien zudem Quereinsteiger, die einer intensiven pädagogischen Unterstützung bedürften und daher noch nicht voll eingesetzt werden könnten. „Außerdem“, so Busch, „müssen diese Schulformen noch Lehrkräfte an die Grundschule abordnen“.
Mehr Geld? “Gibt der Landeshaushalt nicht her”
Der VNL fordert genauso wie die Lehrergewerkschaft GEW, den Lehrerberuf an Grund-, Haupt- und Realschulen in Niedersachsen unter unterem durch eine bessere Bezahlung attraktiver zu machen. Der Ministerin zufolge gibt das der Landeshaushalt nicht her. Heiligenstadt betonte, dass Rot-Grün die Ganztagsschulen viel besser ausgestattet habe und zusätzliche Unterrichtsstunden etwa für die Sprachförderung und Berufsfindung zur Verfügung stellt. «Die Gesamtlage ist nicht geeignet, irgendwelche Horrorszenarien an die Wand zu malen», betonte die Ministerin.
Der Vorsitzende der Niedersächsischen Direktorenvereinigung, Wolfgang Schimpf, kritisierte die kurzfristige Abordnung von Gymnasiallehrkräften an Grundschulen. Teils seien weitere Verfügungen am Mittwoch, also einen Tag vor Beginn des neuen Schuljahrs, telefonisch erfolgt. «Diese Maßnahme bedeutet das Eingeständnis schweren Versagens bei der Bedarfsplanung, der zentralen Aufgabe jeder Schuladministration, und damit letztlich den Offenbarungseid für die Politik dieser Ministerin», sagte der Direktor des Göttinger Max-Planck-Gymnasiums.
Schweres Geschütz fuhr auch der Philologenverband auf: „Kein Wort von den massenhaften Abordnungen von Lehrkräften der Gymnasien an Grundschulen, kein Wort von den bedrückenden Problemen bei der Inklusion, kein Wort von übergroßen Klassen – die Ministerin steckt weiterhin den Kopf in den Sand“, kritisierte der Landesvorsitzende Horst Audritz. Die Ministerin versuche „die katastrophale Unterrichtsversorgung, die sich bereits im dritten Jahr in Folge auf rasanter Talfahrt befindet und sich im neuen Schuljahr noch weiter verschlechtern wird“, schönzureden. Das sei skandalös, meinte der Philologenchef.
Dass die Gymnasien Lehrkräfte an Grundschulen abgeben sollten, sei „ein Akt der Hilflosigkeit einer planlosen Ministerin“, befand Audritz. Absehbar seien „chaotische Situationen“ in den Schulen, wenn Gymnasien mit nur 97 Prozent Unterrichtsversorgung „noch eben mal so nebenbei“ 51 Stunden abordnen sollten. Spitzenreiter sei derzeit eine Schule mit nur 94 Prozent Unterrichtsversorgung, die jetzt noch die Weisung erhalten habe abzuordnen. „So wird die Unterrichtsversorgung in den Gymnasien von der Ministerin immer weiter nach unten gefahren“, kritisierte Audritz.
Die Äußerungen der Ministerin zum Schuljahresbeginn zeigten, dass sie ihr Amt nicht angemessen ausübe und sich „in ein Wolkenkuckucksheim“ begeben habe. Das Kultusministerium dümpele führungslos dahin. Audritz: „So kann es doch im Interesse unserer Schülerinnen und Schüler nicht weitergehen!“ News4teachers / mit Material der dpa