KARLSRUHE. Die Platzvergabe in Studiengängen mit bundesweitem Numerus clausus (NC) kommt im Herbst in Karlsruhe auf den Prüfstand – und damit auch die Frage, ob das Abitur in Deutschland überhaupt vergleichbar ist. Das Bundesverfassungsgericht nimmt in einer Verhandlung am 4. Oktober die Auswahl von Medizinstudenten unter die Lupe, wie am Dienstag mitgeteilt wurde. Eingeschaltet hat die Verfassungshüter das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Es bezweifelt, dass die Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Ein zentrales Argument dabei: Die Noten seien bundesweit nicht vergleichbar. (Az. 1 BvL 3/14 und 4/14).
Eine seiner Schülerinnen aus der zehnten Jahrgangsstufe sei mit ihrer Familie nach Kiel gezogen. Dort sei nach den Worten ihres Vaters die Differenz zu Baden-Württemberg „unfassbar groß“, so berichtete der Vorsitzende der Direktorenvereinigung Nord-Württemberg, Michael Burgenmeister, im vergangenen Jahr. Es sei ein Unding, dass das Abitur von Bundesland zu Bundesland nicht vergleichbar sei. „Was soll man davon halten, dass ein hoch entwickeltes Land wie Deutschland es nicht schafft, die Schulabschlüsse wie das Abitur in den Bundesländern vergleichbar zu machen?“ Schließlich hänge die Zulassung zu bestimmten Studiengängen von der Abschlussnote ab, betont der Schulleiter.
Die Initiative „Faires Abi“ aus Sachsen-Anhalt fand das auch. Sie sah Schüler ihres Landes benachteiligt – und forderte deshalb ein einheitliches Abitur und identische Prüfungsaufgaben für alle Bundesländer. „In Sachsen-Anhalt sind die Hürden für das Abitur am höchsten“, meinte seinerzeit ein Sprecher. Die Leistungsanforderungen seien höher als in anderen Ländern und es gebe andere Bewertungsmaßstäbe. Diese führten dazu, dass die sachsen-anhaltischen Abiturienten nach dem Abschluss schlechter dastünden. Tatsächlich hat die Landesregierung in Magdeburg mittlerweile reagiert – und das Abitur entschärft. Anders als früher können die Abiturienten in Sachsen-Anhalt zum Beispiel nun auch Mathe oder Deutsch abwählen.
Werden Noten überbewertet?
Von gleichen Bedingungen kann aber nach wie vor keine Rede sein. Das meinten auch die Verwaltungsrichter in Gelsenkirchen, die nun das Bundesverfassungsgericht anriefen. Sie beanstanden unter anderem, dass die Abitur-Noten bundesweit nicht vergleichbar seien und es deshalb Landesquoten brauche. Überhaupt spiele die Note eine zu große Rolle. Das Bundesverfassungsgericht hatte in den 1970er Jahren Kriterien für die Studienplatzvergabe entwickelt. Nun stelle sich die Frage, ob diese Rechtsprechung fortentwickelt werden müsse, hieß es. Außer in der Humanmedizin gibt es einen bundesweiten NC auch noch für die Fächer Tiermedizin, Zahnmedizin und Pharmazie. Das Urteil dürfte aber auch andere Fächer betreffen. Im bundesweiten Durchschnitt wird aktuell in 42,4 Prozent aller Studiengänge eine Vorauswahl der Bewerber – zumeist durch die Abiturnote – getroffen. Gegenüber dem Vorjahr ist das eine Steigerung von 0,9 Prozent.
Bereits 2015 hatte der Philologenverband die unterschiedlichen Anforderungen thematisiert. Die Differenz der Durchschnittsnoten habe erhebliche Auswirkungen auf Chancen bei Studiengängen mit Zugangsbeschränkungen, kritisierte damals der Vorsitzende Heinz-Peter Meidinger. Sie betrage zwischen Thüringen und Niedersachsen fast einen halben Notengrad. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben demnach Abiturienten zum Beispiel eine dreimal schlechtere Chance, ein 1,0-Abitur zu erreichen als in Thüringen. Auch bei den Abiturdurchfallquoten gebe es massive Unterschiede, ohne dass dies ohne weiteres aus Leistungsunterschieden erklärt werden könnte, so der Verbandschef. So fielen in Mecklenburg-Vorpommern dreimal so viele Abiturienten durch die Abiturprüfung als etwa in Thüringen und Rheinland-Pfalz. Es gebe auch unterschiedliche Regelungen, etwa bei den verpflichtenden Abiturfächern und den Leistungskursen.
Zwar hat die Kultusministerkonferenz mittlerweile einen gemeinsamen Aufgabenfundus für Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch entwickelt, der nun immerhin sicherstellen soll, dass sich die Abi-Niveaus bundesweit etwas annähern. Aber: „Wenn man sich die rechnerische Bedeutung dieses gemeinsamen Prüfungsteils anschaut, dann ist die nur minimal. Es geht hier am Ende vielleicht um fünf Prozent Anteil am Abi, die davon berührt werden. Das muss ausgebaut werden“, befand Meidinger.
Schulleiter Burgenmeister wäre derweil schon froh, wenn die Standards in seinem Bundesland Baden-Württemberg angepasst würden: Dort nämlich sei das Abitur am beruflichen Gymnasium nicht gleichwertig mit dem am allgemeinbildenden Gymnasium. „Ich würde mir wünschen, dass die Abiture zumindest bei uns im Land einheitlicher würden“, so Burgenmeister. N4t / mit Material der dpa