Website-Icon News4teachers

Gibt es eine „Traumnoten-Fraktion in den Lehrerzimmern“? Lehrer appelliert an Kollegen: „Macht es euch nicht zu bequem!“

Anzeige

HAMBURG. „Meine Bitte zum neuen Schuljahr: Seid dieses Jahr ehrlicher und fairer, liebe Kolleginnen und Kollegen, und macht es euch nicht zu bequem.“ Mit diesem Appell ist ein Gymnasiallehrer aus Baden-Württemberg jetzt in die Öffentlichkeit getreten, um auf ein Problem aufmerksam zu machen: Zu viele Lehrer vermeiden schlechte Zensuren – sagt er jedenfalls. Denn: „Es lebt sich einfach leichter, wenn man (zu) gute Noten vergibt.“ Der Beitrag heizt eine Debatte neu an, die die GEW bereits zu Beginn des Jahres losgetreten hatte.

Regnet es bei manchen Lehrern Einsen? Illustration: pixabay

Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe, sprach sich im Februar für die Abschaffung von Schulnoten aus. „Zensuren sind nicht objektiv. Wir müssen weg von den Noten, hin zu individuellen Berichten, weil sie den persönlichen Lernfortschritten der Kinder viel gerechter werden“, sagte sie. Und das gelte nicht nur für Grundschulen, sondern für alle Schultypen.

Sind Noten tatsächlich ungerecht? Die Diskussion erhält durch einen aktuellen Beitrag auf „Spiegel online“ derzeit neue Nahrung. „Die Probleme sind auch hausgemacht, denn in jedem Lehrerkollegium gibt es sie, meist sogar mehrfach: Traumnoten-Lehrer, deren Notenskala bei Befriedigend (Note 3) endet“, schreibt ein Deutschlehrer an einem Gymnasium in Baden-Württemberg anonym auf der Seite  – und löst damit eine breite Diskussion aus. Denn angeblich steckt oft Konfliktangst hinter einer zu laxen Benotungspraxis.

Anzeige

„‚Also eine 5 gebe ich nie, da kommen dann ja die Eltern zum Gespräch. Diesen Stress geb’ ich mir nicht‘, erläuterte mir ein Kollege sichtlich gelassen vor einer Notenkonferenz zum Ende des vergangenen Schuljahres.“  Kurz zuvor habe ihn eine Kollegin an eine schulinterne Regelung erinnert, wonach ab einem Schnitt von 4,0 die Klassenarbeiten dem Schulleiter vorgelegt werden müssen. „Das wolle sie nicht, erkläre sie, deshalb achte sie darauf, dass der Schnitt nicht in den 4er-Bereich komme. Andere Kollegen geben beim Kaffee im Lehrerzimmer offen zu, dass sie ihr gutes Verhältnis zu den Schülern auch auf ihrer Notengebung aufbauen.“

“Manchmal frustriert”

Gibt es tatsächlich Lehrkräfte in nennenswerter Zahl, die auf schlechte Zensuren verzichten? Mitunter, darauf weist der Lehrer auf „Spiegel online“ hin, sind es wohl auch nachvollziehbare Gründe, die die Notengebung (positiv) beeinflussen können – Überlastung, starker Druck von Eltern, fehlende Unterstützung durch Schulleitungen. Gleichwohl fühlt sich der Pädagoge von der „Traumnoten-Fraktion in den Lehrerzimmern“ im Stich gelassen. Ein solches Verhalten sei ungerecht gegenüber den Kollegen, die in vielen Arbeitsschritten und mit durchdachten Begründungen Noten in der vorgesehenen Spannbreite vergeben – angesichts der Bestnoten-Inflation aber schnell in den Ruf gerieten, besonders streng zu urteilen.

„Und ja: Diese Unterschiede im Umgang mit Noten frustrieren mich manchmal. Nicht, weil ich mir schlechtere Noten für die Schüler wünsche, sondern weil es für (möglichst) realistische Noten keinerlei Anerkennung mehr gibt und Schülern zunehmend vermittelt wird, dass beispielsweise die Note 3 bereits eine schlechte Leistung sei.“ Das gehe zulasten insbesondere der starken Schüler, deren herausragende Leistungen nicht gewürdigt werden könnten, wenn alle mehr oder weniger gute Noten bekämen.

„Es ist sicher einiges richtig daran, was der Kollege schreibt. Aber es gibt eben auch seit eh und je die Diskrepanz, dass Lehrer einerseits Pädagogen im besten Sinne sein wollen und auch sollen und andererseits sollen sie Schüler aburteilen“, so schreibt ein Leser mit dem Alias-Namen „schwarzlichtgestalt“ unter den Beitrag. „Als Lehrer, der das gesamte Notenspekrum verwendet, muss man tatsächlich sehr viel Gegenwind ertragen“, meint „Martin Ne“. „Euv“ schreibt. „Ich habe grade mein Abitur hinter mich gebracht und kenne deshalb auch diese Lehrer. Aber ich finde, dass man das Gegenstück zu diesen Lehrern nicht übersehen sollte: Lehrer; die von Anfang an keine guten Noten vergeben. Von denen hatte ich nämlich nicht wenige in meiner Abiturphase.“ Und die hätten meist keinen Hehl aus ihrer Scheu vor guten Noten gemacht: “Bei mir bekommt keiner 15 Punkte.”

Trotz der Kritik an Noten: Josef Kraus, Ehrenpräsident des Deutschen Lehrerverbands, hält an dem Instrument fest. „Das Gros der Schüler und Eltern hat keinerlei Probleme mit Schulnoten“, so stellte er in einem Beitrag für die Zeitschrift „Schulmanager“ fest. Kraus: „Die vielfach proklamierten Alternativen zu Ziffernnoten sind keine echten Alternativen, denn entweder sind es geschönte Verbalgutachten, oder sie sind in einer Sprache gehalten, die Eltern und Schüler postwendend zur Frage an die Lehrer veranlassen: Welche Note wäre das denn jetzt? Insgesamt gilt: Schule kann keine Schule ohne eindeutige Leistungsbilanzen sein, sonst befände sich Schule in einem Elfenbeinturm – und das inmitten einer Leistungsgesellschaft.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

Hier geht es zum Beitrag auf “Spiegel online”.

Anzeige
Die mobile Version verlassen