STUTTGART. Für Baden-Württemberg kommt es knüppeldick: Innerhalb eines Jahres attestieren zwei Bildungsstudien dem ehemaligen Musterländle in Sachen Bildung einen dramatischen Absturz – 2016 ging es um die Neuntklässler, jetzt um die Grundschüler. Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) muss sich jetzt fragen lassen, was in den Schulen seines Bundeslandes schiefläuft. Die Philologen meinen, nun sei „die Katastrophe perfekt“ – und erklären „die Speerspitze grün-roter Pädagogik“ für gescheitert.
Für Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) war es ein Déjà-vu. Bereits vor einem Jahr musste sie ein fürs ehemalige Bildungsmusterländle verheerendes Ergebnis eines IQB-Tests vermelden – bei den seinerzeit bundesweit getesteten Neuntklässlern war Baden-Württemberg auf die hinteren Ränge abgerutscht.
Und auch der gestrige Freitag der 13. war für Eisenmann wahrlich kein Glückstag: Ausgerechnet als Präsidentin der Kultusministerkonferenz musste die Christdemokratin nun eine Bildungsstudie vorstellen, die auch den Grundschülern im Südwesten kein gutes Zeugnis ausstellt. Die Kinder dort liegen im bundesweiten Vergleich nur noch im Mittelfeld. Nach der Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) haben sich die Leistungen der getesteten Viertklässler massiv verschlechtert. «Insgesamt ist der Gesamtabfall für Baden-Württemberg mehr als ernüchternd», räumte sie in Berlin ein. Mit Blick auf die IQB-Studie 2016 attestierte sie dem Südwesten ein «durchgehendes Qualitätsproblem» – von den Grundschulen bis zu den weiterführenden Schulen also.
Die Ministerin und ehemalige Stuttgarter Schulbürgermeisterin ist seit 2016 im Amt. Die Studie bezieht sich auf Schüler, die im vergangenen Jahr die vierte Klasse besuchten. Eisenmann konzentriert sich seit Amtsantritt auf Qualität statt Schulstrukturdebatten. Doch vor allem der leer gefegte Lehrermarkt droht ihr einen Strich durch die Rechnung zu machen. Grundschullehrer sind rar. Unterrichtsausfall ist überall im Land ein Problem.
Nach der Studie belegten die Schüler im Fach Deutsch im Ländervergleich Platz 13 beim Regelstandard Lesen – nach dem fünften Rang im Jahr 2011. Der Anteil derer, die den Mindeststandard nicht erreichten, lag bei 13,4 Prozent. Beim Zuhören kamen die im Jahr 2016 geprüften Viertklässler nur noch auf den neunten Rang, nachdem sie zuvor Zweitplatzierte gewesen waren.
In Mathematik stürzte das Landesergebnis regelrecht ab: Nur 62 Prozent erreichten den Mindeststandard oder übertrafen ihn. Das ist ein Minus von 10 Prozentpunkten im Vergleich zu 2011. Die Spitzengruppe bei Mathe verkleinerte sich um 6 Punkte auf 12,8 Prozent. Im Ländervergleich wich Baden-Württemberg hier am stärksten vom 2011er-Wert ab. Das Ministerium sprach von Rückgängen, die sich in einer nur mit dem Schlusslicht Bremen vergleichbaren Größenordnung bewegten.
Das Wort «verheerend», mit dem CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart das Abschneiden des Landes beschrieb, trifft das Ergebnis aber dennoch nicht präzise. Das Ressort von Eisenmann betonte, das Land sei im deutschen Mittelfeld gelandet – nach Spitzenplätzen in der Vergangenheit. Die Mitherausgeberin der Studie, Nicole Haag: «Baden-Württemberg ist abgestürzt, aber nicht ganz unten gelandet.» Grund: das relativ hohe Niveau der Vorjahre.
Auch ein altes Problem taucht in der Studie wieder auf – die Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom sozialem Status. So waren im Südwesten die Kompetenzen im Lesen 2016 stärker an den sozialen Status gekoppelt als noch 2011. In diesem Zusammenhang kann auch Eisenmanns Hinweis gesehen werden, dass der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund unter den Viertklässlern bei etwa 45 Prozent liegt – das sei unter den Flächenländern der höchste Wert vor Hessen. Die Heterogenität der Schüler sei ausweislich der Studie im Südwesten sehr hoch: Fordernder Unterricht für Stärkere und förderndes Lehren für Schwächere sei das Gebot der Stunde.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) – der seit sechs Jahren regiert (erst mit einem SPD-geführten Kultusministerium, jetzt mit einem CDU-geführten) und damit die politische Verantwortung für das Debakel trägt – warnte vor Schuldzuweisungen. Damit reagierte der ehemalige Gymnasiallehrer darauf, dass bereits vor Veröffentlichung der jüngsten Daten in der Landespolitik die Suche nach den Schuldigen für die Entwicklung begonnen hatte. Das Kultusministerium müsse seine Kernaufgabe erfüllen, herauszufinden, warum «wir da so abgesunken sind».
Mit seinem Plädoyer rennt er bei Eisenmann offene Türen ein. Die hat sich wissenschaftliche Unterstützung für mehr Qualität geholt. Ein Beirat soll die Entwicklung analysieren. Überdies sollen zwei geplante wissenschaftliche Institute das Bildungswesen im Land unter die Lupe nehmen. Weitere zentrale Klassenarbeiten sollen eine punktgenaue Förderung ermöglichen. Die bereits eingeleiteten und noch geplanten Schritte sind mehr Stunden in Mathe und Deutsch, Ausbau von Sommerschulen für Grundschüler sowie reibungslosere Übergänge vom Kindergarten in die Grundschule.
Angesichts der Probleme kommen auch aus der Opposition Angebote der Zusammenarbeit. So will die SPD-Fraktion auf politische Grabenkämpfe und gegenseitige Schuldzuweisungen verzichten. Gemeinsam mit den anderen Fraktionen wollen die Sozialdemokraten in einer Enquete-Kommission den richtigen Weg für den frühkindlichen Bereich und die Grundschule suchen. News4teachers / mit Material der dpa
STUTTGART. „Hatten uns schon die IQB-Ergebnisse der Neuntklässler mächtig zugesetzt, so ist jetzt die Katastrophe perfekt: Baden-Württemberg ist auf den vorletzten Platz im Länderranking abgerutscht“, so meldet der Philologenverband Baden-Württemberg. Und nun prasselten Erklärungsversuche übers Ländle nieder.
Beim Ruf nach mehr Geld müsse natürlich die Unterfinanzierung des deutschen Schulsystems generell thematisiert werden. Der nach Sozialpädagogen, Sozialarbeitern und Schulpsychologen sei in einem Bundesland mit einem sehr hohen Anteil an Risikoschülern, die nicht einmal die Mindeststandards erreichen, durchaus verständlich. Der Verweis auf die gestiegene Heterogenität der Schülerschaft ziele jedoch deshalb ins Leere, weil diese in anderen Bundesländern auch gestiegen sei. Auch die Forderung nach einer Verlängerung des PH-Studiums auf 10 Semester bediene eher klientelspezifische Interessen, „denn als das Studium noch 6 Semester umfasste, belegten wir noch Spitzenplätze“, heißt es.
„Ursächlich für den Absturz sind vor allem Unterrichtsvolumen und Unterrichtsgestaltung. Die bereits erfolgte und noch folgende deutliche Aufstockung des Unterrichts in Lesen, Schreiben und Rechnen ist eine wichtige, da wirkungsvolle Maßnahme, denn eine Korrelation zwischen Unterrichtszeit und Unterrichtserfolg ist wissenschaftlich nachgewiesen.
Der zentralste aller Faktoren ist jedoch die Unterrichtsgestaltung, also das pädagogisch-fachdidaktisch-methodische Geschehen im Unterricht. Der schleichende Abwärtstrend der Schülerleistungen verlief parallel zur Propagierung einer so genannten ‚innovativen Unterrichtskultur‘, wie sie in der Gemeinschaftsschule ihren konkreten Niederschlag findet. Diese grün-rote ‚Speerspitze modernster Pädagogik‘ ist nicht nur gerade dabei, komplett zu scheitern, durch den massiven apodiktischen Implementierungsversuch dieser „modernen Weiterentwicklung von Unterricht“ wurde der jetzt dokumentierte große Schaden angerichtet.“ Das „Schreiben nach Hören“ zeige beispielhaft, was „innovativ“ konkret bedeuten könne.
„Mit dieser Art von Pädagogik muss Schluss sein, wenn uns die Zukunft unserer Kinder am Herzen liegt“, fordert der Philologenverband. Die Qualität von Unterricht bemesse sich vor allem an seinen Ergebnissen, und das sei nun mal, was die Schülerinnen und Schüler gelernt haben. „ Die Einhaltung von Standards, Verbindlichkeit, Fachlichkeit und der Lernerfolg sind die Gradmesser, nach denen sich die Qualität eines Schulsystems bemisst. Dessen scheint man sich in anderen Bundesländern bewusster gewesen zu sein als hierzulande.“