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Vier von zehn Schülern kennen Auschwitz nicht – Geschichtslehrer klagen, ihr Fach wird an den Rand gedrängt

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BERLIN. 95 Prozent der Deutschen finden es sehr wichtig oder wichtig, dass Schüler in der Schule Geschichtsunterricht haben. Das gilt auch für Schülerinnen und Schüler – der Respekt vor dem Fach korrespondiert allerdings allzu häufig nicht mit historischem Wissen: Dass Auschwitz ein Konzentrations- und Vernichtungslager im Zweiten Weltkrieg war, wissen nur 59 Prozent der Über-14-Jährigen. Das zeigt eine aktuelle Umfrage. Der Befund gibt der Klage, dass der Geschichtsunterricht in den Schulen an den Rand gedrückt werde, neue Nahrung.

“Arbeit macht frei”: Eingangstor des Vernichtungslagers Auschwitz mit dem zynischen Spruch. Foto: Jochen Zimmermann / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Die meisten Bürger wünschen sich einen Geschichtsunterricht, der dazu befähigt, Inhalte kritisch hinterfragen (93 Prozent) und Lehren für die Gegenwart ziehen zu können (92 Prozent). Die gleichen Prioritäten setzen auch Schülerinnen und Schüler. Das zeigt die repräsentative Umfrage, die das Institut Forsa im Juli und August 2017 im Auftrag der Körber-Stiftung durchgeführt hat. Ob der Geschichtsunterricht dies allerdings quantitativ leisten kann, daran sind Zweifel erlaubt.

Dabei scheinen die Jugendlichen in Deutschland durchaus Interesse an dem Fach zu hegen. Drei Viertel der Schülerinnen und Schüler (75 Prozent) glauben zwar, dass das Interesse ihrer Mitschüler an Geschichte generell nicht so groß oder eher gering ist. Nach ihrem eigenen Interesse befragt, zeigt sich jedoch ein positiveres Bild: Mehr als die Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler (56 Prozent) geben an, sich selbst sehr oder eher für Geschichte zu interessieren. Aus Sicht der Jugendlichen dominiert allerdings im Geschichtsunterricht heute immer noch die reine Wissensvermittlung historischer Namen, Daten und Fakten.

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Trotzdem schätzen die befragten Schülerinnen und Schüler die Qualität des eigenen Geschichtsunterrichts als gut ein. Drei Viertel von ihnen meinen, dass die Inhalte in ihrem Unterricht anschaulich und nachvollziehbar dargestellt wurden. Jeweils zwei Drittel der befragten Jugendlichen sagen, dass in ihrem Unterricht interessante und vielfältige Themen bearbeitet wurden (69 Prozent) und dass ihr Geschichtslehrer bei ihnen Interesse für die behandelten Themen wecken konnte (66 Prozent). Dabei fällt auf, dass Schüler den Geschichtsunterricht insgesamt besser bewerten als Schülerinnen.

Die Umfrage gibt auch Aufschluss über methodische Fragen: Bei zwei Dritteln der Schülerinnen und Schüler wurden im letzten Geschichtsunterricht digitale Medien eingesetzt (65 Prozent) oder interaktive Lernformen wie Projektarbeit angewendet (59 Prozent). „Der Geschichtsunterricht ist moderner geworden und besser als sein Ruf“, sagt Sven Tetzlaff, Leiter des Bereichs Bildung der Körber-Stiftung. „Wichtig ist eine ausgewogene Mischung aus Wissensvermittlung und aktivierenden Methoden.“

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Die Umfrage zeigt jedoch, dass es bei der Vermittlung von Geschichtswissen gravierende Defizite gibt: Weniger als die Hälfte (47 Prozent) der 14- bis 16-jährigen Jugendlichen weiß, was Auschwitz-Birkenau war. Offenbar wird das Wissen darum erst später vermittelt: Immerhin 71 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die 17 Jahre und älter sind, wissen dann, was sich hinter dem Ortsnamen verbirgt. „Mit Sorge beobachten wir, dass es in der Mittelstufe in immer weniger Bundesländern Geschichte als eigenständiges Schulfach gibt. Dies ist für mich einer der Gründe, warum erschreckend viele Schüler das Konzentrationslager nicht kennen“, sagt Sven Tetzlaff, Leiter des Bereichs Bildung der Körber-Stiftung. „Ein weiterer Grund: Der Stundenumfang für Geschichte wird immer geringer. Diese Entwicklung muss gestoppt werden.“

Tetzlaff: „Junge Menschen können dann für Geschichte begeistert werden, wenn sie mit ihnen und ihrem Leben zu tun hat, Diesen Transfer muss ein moderner Geschichtsunterricht leisten – zumal Geschichte für das Verständnis der Gegenwart unabdingbar ist.“

Mit ihrer Kritik an einer quantitativen Ausdünnung des Geschichtsunterrichts macht sich die Körber-Stiftung eine Position zu eigen, die der Verband der Geschichtslehrer schon im vergangenen Jahr geäußert hatte. Die politisch-historische Bildung an den Schulen wird danach immer mehr zurückgedrängt. In den vergangenen Jahren habe der Unterricht in den MINT-Fächern – Naturwissenschaften/Technik – einseitig im Fokus gestanden und sei stark ausgebaut worden, sagte der Bundesvorsitzende Ulrich Bongertmann.

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Gerade jetzt sollten Schüler aber angesichts der aktuellen Herausforderungen – Terrorismus, Flüchtlingsproblematik, Rechtspopulismus – sich stärker mit historisch-politischen Phänomenen befassen. „Sonst ist die Stabilität unserer Gesellschaft auch mehr bedroht“, warnte Bongertmann. „Was uns am meisten Sorge macht, ist das Verschwinden des Faches Geschichte“, sagte der Pädagoge. Dies gelte weniger fürs Gymnasium als für andere Schulformen. Dort werde meistens ein Fächerverbund aus Geschichte, Geographie und Politik gebildet – mit der Folge, dass Geschichte nicht mehr unbedingt von einem ausgebildeten Geschichtslehrer unterrichtet wird, sondern einem Lehrer, der eines der drei Fächer studiert hat. „Wenn ein Erdkundelehrer, der sich gern übers Polarlicht auslässt, dann plötzlich über den Holocaust reden muss, ist das nicht optimal“.

Das Resultat lässt sich dann am Ergebnis der der aktuellen Umfrage ablesen.

 

Hintergrund: die Körber-Stiftung

Seit über 40 Jahren engagiert sich die Körber-Stiftung mit dem Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten für die historisch-politische Bildung junger Menschen in Deutschland. Mit bislang über 141.000 Teilnehmern ist er der größte historische Forschungswettbewerb für Kinder und Jugendliche in Deutschland.

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