VERL. Der Erziehungsauftrag der Grundschulen hat an Bedeutung gewonnen. Lehrerinnen und Lehrer beklagen sich über Kinder, die keine Grenzen kennen, und deren Eltern anscheinend erwarten, dass Schule sie ihnen vermittelt. Lehren und lernen? Ist unter diesen Bedingungen nicht einfach. Eine Lösung verspricht das Projekt „Gemeinsam Erziehen in Elternhaus und Grundschule“.
Im Mittelpunkt der Initiative „Gemeinsam Erziehen in Elternhaus und Grundschule“ (GEEG) steht die Fortbildung für Lehrkräfte zu Elterntrainerinnern und -trainern. Das auch noch? – dürfte sich so mancher Pädagoge nun fragen. Müssen Lehrkräfte nicht schon genug leisten? Vermutlich schon – und trotzdem lohnt sich die Schulung, sagt Nicola Wollweber, Schulleiterin der Grundschule Am Bühlbusch in Verl. 2012 hat sie sich zur Elterntrainerin weiterbilden lassen und ist damals wie heute vom Projekt überzeugt. „In der Fortbildung wusste ich sofort: Das ist genau mein Thema.“ Sie war so begeistert, dass sie auch gleich die frei werdende Position einer Moderatorin übernahm.
Als solche agiert sie zusätzlich als Bindeglied zwischen den Schulen und der Reinhard Mohn Stiftung, die das Projekt seit 2011 im Kreis Gütersloh und der Stadt Bielefeld finanziert. Daneben beteiligen sich am Programm die Bohnenkamp-Stiftung, die Stiftung help and hope und die Westfalen Initiative, die es unter anderem auch in die Städte Castrop-Rauxel, Gelsenkirchen, Recklinghausen und Osnabrück getragen haben.
Individuelle Umsetzung möglich
„Es geht darum, Lehrer stark zu machen, um Eltern zu schulen“, beschreibt Nicola Wollweber das Konzept. Während der fünftägigen Fortbildung setzen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit dem autoritativen Erziehungskonzept auseinander, um anschließend pädagogische Elternarbeit leisten zu können. Einige der wichtigsten Bestandteile: aktives Zuhören, wertschätzende Kommunikation, Lob, Ermutigung – aber auch logische Konsequenzen. „Die Schulen setzen das Gelernte unterschiedlich um: Einige veranstalten Elternabende, andere bieten Elternberatungen an oder nutzen es in bereits bestehenden Elterncafés“, sagt Wollweber.
Bei den Treffen zeigten Mütter und Väter immer wieder besonderes Interesse an den gleichen Themen, so die Erfahrung der Grundschulleiterin: „Der Reihe nach sind das: Grenzen, Regeln, Konsequenzen und Hausaufgaben.“ Die Elterntrainerinnen und -trainer gehen darauf ein, vermitteln beispielsweise, wie Eltern ihr Kind richtig loben und ermutigen, aber auch wie sie Grenzen setzen und durchsetzen können, ohne die Stimme zu erheben oder gar Gewalt anzuwenden. „Eltern haben ein Bild von ihrer eigenen Schulzeit und wissen oft nicht genau, wie Schule und Unterricht heute funktionieren“, sagt Wollweber. „Das ist aber auch nicht schlimm, sondern ganz normal. Sie lernen es ja nicht wie wir. Deshalb versuchen wir, ihnen die pädagogischen Inhalte transparent zu machen – zum Beispiel wie Kinder lernen, dass sie mehrkanalig lernen –, damit sie sie unterstützen können.“ So bräuchten Schülerinnen und Schüler zu Anfang der Schulzeit konkrete Gegenstände, um Rechenoptionen durchzuführen, da ihnen noch das Abstraktionsvermögen fehle, über das Erwachsene bereits verfügen.
Eine solch enge Zusammenarbeit bedarf allerdings einer Voraussetzung, so Wollweber: Eltern müssen Schule als vertrauensvollen Partner erleben und wahrnehmen. In der Grundschule Am Bühlbusch hat das Lehrkollegium die Erfahrung gemacht, dass das am besten funktioniert, wenn sie den Kontakt zu den Eltern schon vor der Einschulung suchen. Deshalb lädt das Kollegium die Erziehungsberechtigten im Vorfeld an drei Abenden in die Schule ein. Die Eltern erhalten somit die Möglichkeit, sich untereinander kennenzulernen, aber auch die Schule samt Lehrpersonal, Schulleitung und Erziehungskonzept. „Dadurch bauen wir Unsicherheiten ab. Die Eltern sind bei der Einschulung entspannter und begegnen uns vertrauensvoller“, sagt Nicola Wollweber.
Für beide Seiten sei es anschließend leichter, auch bei Problemen ins Gespräch zu kommen. Darüber hinaus hält das Verler Grundschulkollegium die gesamte Schulzeit über mit weiteren Terminen für Elterncafés und Elternabenden den Kontakt zu den Müttern und Vätern aufrecht. „Dadurch lernen die Kinder, dass Eltern und Lehrer zusammenarbeiten.“ Gemeinsam geteilte Regeln und logische Konsequenzen vermittelten den Lernenden zudem, was von ihnen in bestimmten Situationen erwartet wird. Schulleiterin Wollweber ist sich sicher: „Die positive Beziehung zwischen den Parteien unterstützt den Lernprozess.“ Ein weiterer Erfolg der Elterntrainings: Im Laufe der Zeit erkennen die Mütter und Väter, dass es in jeder Familie ab und zu Probleme gibt. Das entspanne die Beziehungen der Eltern untereinander.
Positive Bilanz
„Mit den Elterntrainings drehen wir an ganz kleinen Stellschrauben, aber erreichen dadurch ganz viel“, fasst Rektorin Wollweber zusammen. Natürlich beteiligten sich nicht alle Eltern, aber „die Relation ist entscheidend. Von 340 Schülern an meiner Schule erreichen wir weniger als fünf Eltern gar nicht. Dafür haben wir aber drei Familien erst mithilfe der pädagogischen Erziehungsarbeit gepackt.“ Das Konzept habe sich bewährt und selbst geringe Deutschkenntnisse seien aufgrund der methodischen Aufbereitung des Elterntrainings kein Problem. In den Filmen, mit denen die Elterntrainerinnen und -trainer arbeiten, seien Mimik, Gestik und Ton der Darsteller sehr aussagekräftig und verständlich, wie das Beispiel mit der Mutter, die in ruhigem Tonfall bei den Hausaufgaben hilft. Deshalb wünscht sich Nicola Wollweber auch, dass sich ihr gesamtes Kollegium zu Elterntrainerinnen und -trainer ausbilden lässt.
Aktuellen Zahlen der Reinhard Mohn Stiftung zufolge haben im Kreis Gütersloh bereits 228 Personen von 27 Schulen und in Bielefeld 73 Personen von 19 Schulen an der Fortbildung teilgenommen. Darunter nicht nur Lehrkräfte, denn seit zwei, drei Jahren können sich aufgrund der Inklusion auch Mitarbeiter des Ganztagsbetriebs, Sonder- und Sozialpädagogen sowie Schulsozialarbeiter im Team mit einer Lehrkraft schulen lassen. Ein jährliches Netzwerktreffen ermöglicht allen Beteiligten, sich regelmäßig über Erfolge und Herausforderungen auszutauschen. Wollweber und ihre Moderatoren-Kollegin nutzen diese Gelegenheit zudem, um über neue Erkenntnisse auf diesem Gebiet zu berichten.
Voraussetzung: ein abgestimmtes Erziehungskonzept
Als Moderatorin hat Nicola Wollweber aber auch abseits des Netzwerktreffens Kontakt zu den beteiligten Schulen und weiß, wie die Projektumsetzung verläuft. Gibt es Probleme, unterstützt sie die betroffenen Schulen, indem sie etwa eine schulinterne Fortbildung organisiert und durchführt. „Das ist besonders spannend, denn meistens fehlt ein abgestimmtes Erziehungskonzept, das das Kollegium den Eltern vermitteln könnte. Das müssen wir dann erarbeiten. Das heißt, wir betreiben aktiv Schulentwicklung.“ Zum Großteil seien die Schulen aber zufrieden, so Wollweber. „Das liegt vor allem daran, dass sie es ganz individuell gestalten können. Das ist seine große Stärke.“ Wollwebers positive Einschätzung scheint auch die unveröffentlichte Evaluation aus dem Jahr 2016 zu unterstützen. Ziel war es herauszufinden, inwieweit das Projekt den Schulen tatsächlich Mehrwert bietet. Im Auftrag der Reinhard Mohn Stiftung entwickelte das Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Wilfried Bos und der Projektleitung von Isa Steinmann die dafür benötigten Fragebögen (mehr dazu im Infokasten unten).
Laut der Zusammenfassung von Seiten der Stiftung zogen die Beteiligten eine positive Bilanz. Demnach bewerteten die befragten Elterntrainerinnen und -trainer die Inhalte der Elterntrainings und die Methodik der Vermittlung „als passgenau für die Eltern“ sowie die in den Fortbildungen erarbeitete Methodik „als brauchbar“. Die Schulleitungen gaben an, das Projekt sowie das Engagement der Kursleiterinnen und Kursleiter sehr zu schätzen und zeigten sich zufrieden mit der Unterstützung, den Materialien und Fortbildungen. Den Mehrwert des Projekts erkannten sie – wie auch Nicola Wollweber – in der besseren Beziehungsgestaltung.
Bis Dezember 2020 läuft das Projekt noch mit der Finanzierung der Reinhard Mohn Stiftung. Die Stiftung strebt aber auch darüber hinaus eine Fortsetzung an. Unabhängig davon will Nicola Wollweber die Elterntrainings an der Grundschule Am Bühlbusch weiterführen. Zudem besteht bei den Verantwortlichen die Hoffnung, dass das Projekt offiziell verankert und damit in die Breite getragen wird. Doch Schulleiterin Wollweber weiß, wo der Knackpunkt liegt: Elternarbeit ist Beziehungsarbeit, das bedeutet, sich auf den Weg zu machen und Zeit zu investieren, – „und gerade herrscht Lehrermangel“. Von Anna Hückelheim (Agentur für Bildungsjournalismus)
Im Zusammenhang mit dem Projekt „Gemeinsam Erziehen in Elternhaus und Grundschule“ sollte die Begleitevaluation die ständige Weiterentwicklung der Projektarbeit auf Stiftungs- und Schulseite gewährleisten. Zu diesem Zweck entwickelte das beauftragte Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) in Dortmund auf das Projekt zugeschnittene, wissenschaftlich fundierte Fragebögen, um der Stiftung zu ermöglichen, die bisherige Umsetzung der Elternkurse und Unterstützungsmöglichkeiten zu untersuchen. Die Projektspezifika erforderten dabei enge Austauschprozesse zwischen den verschiedenen Beteiligten, sodass es für die Entwicklung quantitativer Fragebögen für Schulpraktikerinnen und -praktiker zentral war, auch qualitativen Input aus den Schulen und der Stiftung zu sammeln. „Das Beispiel zeigt, dass es absolut notwendig ist, solche Fragebögen ganz projektspezifisch zu entwickeln“, sagt Professor Dr. Wilfried Bos vom IFS. „Das ist im Grunde wissenschaftliche Maßarbeit. Wir empfehlen allen, die konkrete Schulentwicklungsprojekte evaluieren, sich eng mit den betroffenen Lehrkräften und Schulleitungen abzustimmen. Das ist eine Herausforderung für die wissenschaftliche Fragebogenentwicklung: quantitative und qualitative Zugänge gleichermaßen einzubeziehen.“ Von Isa Steinmann
Titelbild: Felipe Lorente / Flickr (CC BY 2.0)

