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Bringt die GroKo endlich die digitale Revolution an die Schulen? Es könnte schnell gehen, wenn …

BERLIN. 362 Mal tauchen im Koalitionsvertrag die Begriffe Bildung und Schule auf. Politiker loben das “Leuchtturmprojekt Bildung” in den höchsten Tönen. Die “Zeit” mutmaßt sogar, dass die große Koalition tatsächlich auch einmal etwas Großes vorhaben könnte. Dürfen wir auf blühende Bildungslandschaften hoffen? Unser Gastautor Markus Niederastroth, Digitalexperte und Oberstudienrat an einem Kölner Gymnasium, ist da skeptisch.

Lernen am Computer? In Deutschlands Schulen immer noch ein seltenes Bild. Foto: shutterstock

Ja, die GroKo plant Großes: 11 Milliarden Euro will sie in die Bildung investieren. Fünf Milliarden Euro davon sollen in die digitale Ausstattung der Schulen gehen. Das kann man als Erfolg werten – muss man aber nicht. Denn eigentlich realisiert die GroKo mit diesen fünf Milliarden Euro nur den Digitalpakt, den Bundesbildungsministerin Johanna Wanka bereits im Herbst 2016 in Aussicht gestellt hatte. Doch wohin führt dieser Digitalpakt? Und wie schnell führt er dorthin?

Eigentlich soll es doch schon diesen Sommer losgehen. Ende 2016 hatten die Länder beschlossen, beginnend mit dem Schuljahr 2018/2019 die Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“ umzusetzen. Ab dann sollen die Schülerinnen und Schüler aller Schulformen systematisch und fächerübergreifend in digitalen Lernumgebungen lernen.

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Womit werden die Schülerinnen und Schüler lernen?

Bis heute gibt es an den Schulen keine digitale Infrastruktur, die es zulassen würde, im Sinne der KMK-Strategie zu lernen. Zudem mangelt es an Geräten, mit denen die Schülerinnen und Schüler ab den Sommerferien in den digitalen Welten lernen können.

Natürlich haben die Schulen Computer – aber eben nicht genug. Schließlich sollen alle Schülerinnen und Schüler ab den Sommerferien fächerübergreifend in digitalen Lernumgebungen lernen können – immer und überall dort, wo Unterricht stattfindet. Das forderte die Kultusministerkonferenz bereits 2012. Doch das Geld für so viele Computer oder mobile Endgeräte ist bis heute in keinen Landeshaushalt eingestellt worden. Bis heute gibt es Schulen, an denen sich 20 bis 30 Kinder einen Computer teilen müssen, so die Bertelsmann Stiftung (Thorn, S., Behrens, J., Schmid, U. & Goertz, L. (2017). “Monitor Digitale Bildung. Digitales Lernen an Grundschulen.”).

Es ist ungewiss, ob das Geld für genügend Computer jemals zur Verfügung gestellt werden wird. Laut Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) kann sich kein Bundesland eine adäquate IT-Ausstattung für seine Schulen leisten.

Die Länder hoffen auf die Hilfe des Bundes und planen, das Kooperationsverbot abzuschaffen. Doch das kann dauern. Wer sich an die verschiedenen Föderalismusreformen erinnert, weiß, dass noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen wird, bis hier mit Ergebnissen gerechnet werden kann. Die politischen Gräben sind tief. Das zeigten die vergangenen Monate sehr deutlich: Während sich eine Bundesratsinitiative von sechs Bundesländern für eine Abschaffung des Kooperationsverbots aussprach, wollten die Landesfürsten Winfried Kretschmann und Armin Laschet daran festhalten (in: F.A.Z. vom 10. November 2017). Es wird viel Zeit brauchen, bis hier Einigkeit herrscht. Und bis dahin bleiben die Schulen unterversorgt.

Müssen wir so lange warten, bis das Kooperationsverbot fällt, und der Bund die Aufgaben übernimmt, die den Ländern und Kommunen zu teuer sind? Und wie lange wird es dann dauern, bis das Geld des Bundes die Schulen erreicht?

Schulen ans Netz brauchte damals fünf Jahre, um bundesweit alle Schulen mit Internetanschlüssen zu versorgen. Wenn es jetzt wieder so lange dauert, kommt die aktuelle Schülergeneration nicht mehr in den Genuss der digitalen Wohltaten.

Bring Your Own Device

Dabei müssten wir gar nicht warten. Wenn wir Bring Your Own Device einführen und die Schülerinnen und Schüler mit ihren eigenen, privaten Geräten lernen lassen würden, könnten wir mit der Umsetzung der Strategie der Kultusministerkonferenz pünktlich zum Sommer beginnen. Denn fast alle Schülerinnen und Schüler besitzen ein mobiles Endgerät. Entsprechende Lernumgebungen gibt es mittlerweile auch, sowohl beim Bund als auch bei den Ländern. Eigentlich könnte sofort losgelernt werden.

Einer verbindlichen Einführung von BYOD stehen zwar noch ein paar rechtliche Probleme entgegen. Aber danach könnte es losgehen.

Entweder… oder – oder gar nichts: Die Politik sitzt aus

Entweder die Bundesländer stellen den Schulen die Geräte zur Verfügung, mit denen die Schülerinnen und Schüler ab den Sommerferien lernen können, oder sie schaffen die rechtlichen Möglichkeiten dafür, dass die Schülerinnen und Schüler mit ihren eigenen Geräten lernen können, oder sie verschieben die Umsetzung der KMK-Strategie…

Doch die Politik entscheidet sich für keine dieser Alternativen. Stattdessen klopft sie sich selbstzufrieden auf die Schultern und bejubelt ihr zukünftiges, finanzielles Engagement bei der Digitalisierung der Schulen.

Wofür es bei näherer Betrachtung wenig Grund gibt. Es ist nicht erkennbar, dass die Maßnahmen der GroKo dazu führen werden, dass die KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ pünktlich umgesetzt werden kann. Ebenfalls ist nicht erkennbar, wie das aktuelle Maßnahmenpaket Lernende oder Lehrende auf den Sprung in die digitale Welt vorbereitet. Dies tun weder der Bund noch die Länder in einem nötigen Umfang.

Von Null auf Hundert

Es ist zwar richtig, dass Lernende und Lehrende mit dem Computer umgehen können – bei den meisten reicht es für den Hausgebrauch – doch das genügt wieder nicht. Mit diesem rudimentären Anwenderwissen lässt sich die KMK-Strategie nicht in der gewünschten Qualität umsetzen. Denn die Bundesregierung plant Großes: Bis 2025 will sie im Bereich der digitalen Bildung im internationalen Vergleich zur Spitzengruppe der Länder aufschließen und dort Maßstäbe setzen (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, 2016, S. 51). Die GroKo plant eine „Digitale Bildungsoffensive“ (Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, S. 39). Der Aktionsrat Bildung prognostiziert dem deutschen Bildungssystem epochale Veränderungen.

Solche Ziele lassen sich nicht mit dem üblichen Anwenderwissen erreichen. Deshalb sollen Lehrerinnen und Lehrer nun zusätzlich zu ihren Lehrbefähigungen auch noch „Medienexperten“ werden.

Lehrer sollen Medienexperten werden

Die umfänglichen Kompetenzen, über die Lehrerinnen und Lehrer in Bälde verfügen sollen, werden in der KMK-Strategie auf den Seiten 25 und 26 aufgelistet. Falls BYOD eingeführt wird, müssen die Lehrerinnen und Lehrer darüber hinaus auch noch den Umgang mit den mobilen Endgeräten ihrer Schülerinnen und Schüler lernen, um diese individuell fördern zu können. Sie müssen sich Kenntnisse in den diversen Microsoft-, Apple-, OpenOffice- und Linux-Produkten aneignen. Im Bereich der beruflichen Bildung sind darüber hinaus häufig umfassende Excel-, Outlook- und Access-Kenntnisse nötig. DATEV- oder SAP-Kenntnisse werden in Abhängigkeit vom Ausbildungsberuf genauso benötigt wie Programmierkenntnisse. Und weil im Unterricht auch mit Wikis gelernt werden soll, müssen die Lehrkräfte mindestens über rudimentäre HTML-Kenntnisse verfügen…

Dieses Wissen lässt sich nicht en passant, Learning by doing oder auf einer kurzen Fortbildung erwerben. Dieses Wissen ist deutlich umfänglicher und entspricht eigentlich einer weiteren Lehrbefähigung.

Einen Studiengang, der diese Kenntnisse vermittelt, gibt es aber bislang noch nicht. Jedoch gibt es Zertifikatskurse und Studiengänge, die viele Teilbereiche abdecken. Im „M.A. Bildung und Medien: eEducation“ an der FernUniversität in Hagen lernen z. B. nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, wie man in den digitalen Weiten lehrt und lernt.

Der Fokus dieses Studiengangs liegt allerdings auf dem Bereich der Erwachsenenbildung. Man lernt dort also nicht, wie man Kinder und Jugendliche in den digitalen Weiten erzieht. Auch fehlen beispielsweise Module zum Cybermobbing, Cyberstalking, Cybercrime oder Cyber-Grooming und den juristischen Grundlagen.

Was jedoch wichtig wäre. Denn die Hälfte aller Lehrerinnen und Lehrer ist im vergangenen Jahr in irgendeiner Form z. B. mit Cybermobbing in Berührung gekommen, 10 Prozent sogar regelmäßig. Über 10 Prozent aller Schülerinnen und Schüler sind bereits Opfer von Cybermobbing geworden. 14 Prozent von ihnen betäubten ihren Schmerz danach mit Alkohol oder Tabletten. 20 Prozent von ihnen trugen sich mit Suizidgedanken (Bündnis gegen Cybermobbing, 2017, 86).

Diese Schülerinnen und Schüler dürfen nicht alleine gelassen werden. Hierfür braucht es nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, die das Herz am rechten Fleck haben. Sie sollten zudem auch über das entsprechende Fachwissen verfügen.

Zeit für Fortbildungen

Es stellt sich aber nicht nur die Frage, wo sich Lehrerinnen und Lehrer adäquat fortbilden können. Es stellt sich genauso die Frage, wann sie sich so umfänglich fortbilden dürfen, dass sie anschließend als „Medienexperten“ auf dem internationalen Parkett Maßstäbe setzen können.

Der Weg zum „Medienexperten“ ist lang und wird viel Zeit kosten. Zumal parallel zu diesem Fortbildungsmarathon auch noch diverse Fortbildungs-Altlasten abgearbeitet werden müssen:

So sollen Lehrerinnen und Lehrer beispielsweise seit geraumer Zeit lernen, wie sie ihre Schülerinnen und Schüler in Deutsch fördern können. Eine Aufgabe, die alle Lehrerinnen und Lehrer haben. Schließlich hat jeder dritte Schüler einen Migrationshintergrund.

Ebenfalls müssen sie sich bereits seit einem knappen Jahrzehnt im Bereich der Inklusion fortbilden. Womit die Hälfte aller Lehrerinnen und Lehrer bis heute noch nicht begonnen hat (forsa, S. 21).

Von Lehrerinnen und Lehrern wird mittlerweile wirklich verlangt! Neben ihren Lehrbefähigungen sollen sie nun auch noch in den Bereichen Deutsch, Deutsch als Fremdsprache, Sonderpädagogik, eEducation oder Informatik zu Experten werden. Früher wurden solche Kompetenzen in einem Studium erworben und durch Prüfungen dokumentiert. Heute sollen Lehrerinnen und Lehrer das überwiegend in ihrer Freizeit lernen – ganz ohne Qualitätskontrolle.

Zeit für das Überarbeiten der Unterrichtsmaterialien

Für den Fall, dass es Lehrerinnen und Lehrern tatsächlich gelingen sollte, ihre sonderpädagogischen, sprachfördernden und digitalen Wissenslücken zu schließen, stellt sich als nächstes die Frage, wo sie die Zeit hernehmen werden, um dieses neue Wissen anzuwenden. So müssen sie beispielsweise ihre Unterrichtsmaterialien vollständig überarbeiten, weil diese nun digital, fächerübergreifend, sprachfördernd und inklusiv sein sollen. Schulbuchverlage bieten solche Materialien bislang noch nicht an – vielleicht, weil es diese eierlegende, pädagogische Wollmilchsau nicht gibt…

Weil die Schulbuchverlage solche Materialien nicht anbieten, müssen die Lehrerinnen und Lehrer solche Materialien eigentlich selber erstellen. Doch dafür fehlt ihnen die Zeit. Sie arbeiten heute bereits mehr als sie sollen und dürfen.

Im Wochendurchschnitt arbeiten Lehrerinnen und Lehrer 48 Stunden und 18 Minuten, so das Ergebnis einer Meta-Studie der Georg-August-Universität in Göttingen. Insgesamt wurden hier 20 Studien zur Arbeitszeiterfassung von Lehrerinnen und Lehrern ausgewertet.

48 Stunden und 18 Minuten pro Woche sind mehr als der Dienstherr will. In § 3 Arbeitszeitgesetz sagt der Dienstherr das deutlich. Ab einer 48-Stunden-Woche nehmen die kognitive Leistung und Wachsamkeit ab, die Gesundheitsbelastung jedoch deutlich zu. Neben psychovegetativen treten auch muskulärskelettale Beschwerden auf.

Es ist Lehrerinnen und Lehrern nicht erlaubt, Raubbau an ihrer Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu betreiben. Nach § 34 Satz 1 BeamtStG haben sie sich zwar mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Doch diese Verpflichtung zur vollen Hingabe an den Beruf gebietet den Lehrerinnen und Lehrern ebenfalls, ihre dienstliche Leistungsfähigkeit zu erhalten. Lehrinnen und Lehrer sind also verpflichtet, ihre Gesundheit zu erhalten, so der Kommentar zu § 34 Beamtenstatusgesetz (Lenders in: BeamtStG, § 34, Rn 636).

Lehrermangel behindert die Digitalisierung

Um den Lehrerinnen und Lehrern die Rückkehr zu normalen, ihrer Gesundheit zuträglichen Arbeitszeiten zu ermöglichen, und ihnen gleichzeitig Zeit für Fortbildungen und die Umsetzung der neu gewonnenen Erkenntnisse zu bieten, müsste die Educational Governance eigentlich die Arbeit auf mehr Schultern verteilen und neue Lehrerinnen und Lehrer zur Entlastung des Personals einstellen. Damit ließe sich sicherstellen, dass alle Lehrerinnen und Lehrer genügend Zeit für Fortbildungen und die Überarbeitung und Neukonzeptionierung ihres Unterrichtes erhalten.

Doch wegen des Lehrermangels kann die Educational Governance keine neuen Lehrerinnen und Lehrer einstellen. Es stehen einfach keine Lehrerinnen und Lehrer mehr auf der Straße.

Das Einstellen von Seiten- oder Quereinsteigern bringt zurzeit noch keine Zeitersparnis, sondern kostet die Schulen zunächst viel Zeit. Schließlich müssen sie diese neuen Kolleginnen und Kollegen über einen längeren Zeitraum coachen und begleiten.

Damit verhindert der Lehrermangel, dass die Educational Governance den Schulen Entlastung, Zeit für Fortbildung und die anschließende Neukonzeptionierung der Unterrichtsmaterialien und des Unterrichts verschaffen kann. Eine Lösung dieser Problematik ist nicht erkennbar. Der Lehrermangel wird auch noch die kommenden Jahre den Schulalltag beherrschen. Denn bereits heute studieren weniger angehende Lehrerinnen und Lehrer an den Universitäten, als morgen an den Schulen gebraucht werden.

Fazit

Die anfangs gestellte Frage „Digitalpakt – und nun?“ bleibt unbeantwortet. Bislang ist nur geklärt, dass die Schulen mit 5 Mrd. Euro beglückt werden sollen. Wann das Geld die Schulen erreichen wird, ist nicht bekannt. Ebenfalls ist nicht bekannt, ob die Schulen das Geld einfach so oder nur gegen eine Vorleistung erhalten werden, z. B. gegen ein Medienkonzept oder einen Medienentwicklungsplan. Auch ist nicht bekannt, was geschehen wird, wenn die Schulen das Geld, also die IT-Infrastruktur endlich erhalten haben.

Noch ist das Geld für die Schüler-Geräte nicht in den Haushalten der Länder eingestellt. BYOD ist noch nicht mit dem Schulrecht vereinbar. Es fehlt an Transparenz für Schulen, Lehrende, Lernende und Eltern.

Ferner ist nicht bekannt, wann Lehrende und Lernende im nötigen Umfang auf die Umsetzung der KMK-Strategie vorbereitet werden. Von einer bundesweiten Fortbildungsoffensive sind wir augenscheinlich noch weit entfernt.

Das einzige, was bekannt ist, ist, dass es in sechs Monaten losgehen soll. Und bis dahin muss die Educational Governance noch sehr viele Herausforderungen meistern…

Weiterführende Literatur

Didacta-Aussteller und Experten mahnen: Deutsche Schulen hinken bei Digitalisierung hinterher

 

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