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CDU schürt Empörung der Eltern gegen „Schreiben wie Hören“ – und zettelt so einen Kulturkampf gegen die Grundschule an

KIEL. Die CDU ist auf ihrer Suche nach einem konservativen Profil offenbar bei den Grundschulen fündig geworden – die christdemokratisch geführten Schulministerien von Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben jedenfalls einen Kulturkampf gegen angeblich schädliche Schreiblern-Methoden eröffnet. Der trägt zum Teil groteske Züge.

Seit Jahren steigt die Belastung für die Grundschullehrer stetig an – aber für schlechtere Schülerleistungen sollen deren Lehrmethoden schuld sein? Foto: Shutterstock

Die Veranstaltung kam recht harmlos daher. „Auf Einladung von Bildungsministerin Karin Prien“, so teilt das schleswig-holsteinische Bildungsministerium mit, „kamen 150 Gäste – neben Lehrkräften, Eltern und Schülerinnen und Schülern auch Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik, den Hochschulen, Gewerkschaften und Verbänden – im Kieler Landeshaus zusammen. Sie diskutierten unter der Überschrift ‚Grundschule 2030‘ darüber, wie die Schulanfangsjahre gestaltet und verbessert werden können.“

Pikant: Hauptredner bei dem Treffen war der Germanistik-Professor Wolfgang Steinig, der seit Jahren einen Feldzug gegen vermeintliche reformpädagogische Einflüsse auf die Grundschulen führt – und beispielsweise herausgefunden haben will, dass Lehrer, die sich von ihren Schülern duzen lassen, sich weniger um deren Rechtschreibung kümmern. Und bei der anschließenden Podiumsdiskussion saßen neben der Ministerin eine Kinderbuchautorin (Kirsten Boie), eine Didaktik-Professorin (Mirjam Steffensky vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften) und der Vorsitzende des Landeselternbeirates der Grundschulen, Volker Nötzol, in der Runde – aber kein Vertreter der Lehrerschaft.

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Transparente und Stoffbären

Für die GEW ein Aberwitz. Vertreter der Lehrergewerkschaft protestierten deshalb im Kieler Landeshaus mit Transparenten und Stoffbären gegen „Rückschritte in der Grundschulpädagogik“, die sich die Jamaika-Koalition im Norden offenbar vorgenommen habe. Ganz richtig scheint das nicht zu sein, denn es ist vor allem einer der Partner von Schwarz-Gelb-Grün, der den Kulturkampf forciert: die CDU.

In Baden-Württemberg treibt CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann die Konfrontation gerade auf die Spitze. Angesichts der für das Ländle desaströsen IQB-Studie verstieg sie sich zu der Aussage: „Wir haben nicht zu wenig Lehrer. Die Frage ist, sind sie an der richtigen Stelle? Sind sie richtig ausgebildet? Sind sie richtig fortgebildet?“ Ihre Antwort auf diese Fragen: Eisenmann verbot die Methode „Schreiben wie Hören“ – und schob damit den Grundschullehrkräften die Verantwortung für den Absturz Baden-Württembergs im IQB-Länderranking zu.

Wie eine Methode aus den 70-er Jahren schuld daran sein kann, dass sich ein einzelnes Bundesland seit 2011 drastisch verschlechtert hat (das davor aber Spitzenleistungen aufwies, wie überhaupt die deutschen Grundschulen bei ILGU und TIMSS noch vor fünf Jahren zur Weltspitze gehörten), dazu gab es keine Erklärung. Kein Wort war von Eisenmann auch zu den durch die Inklusion, die Integration und den Lehrermangel in den vergangenen Jahren massiv gestiegenen Belastungen für die Kollegien zu hören. Damit nicht genug: Das Kultusministerium in Stuttgart forderte Eltern unlängst indirekt dazu auf, Grundschulen zu melden, die vermeintlich „Schreiben wie Hören“ weiterhin praktizieren. Es teilte mit, die Schulaufsicht werde bei entsprechenden Hinweisen eingeschaltet.

Gewinner beim IQB-Vergleich

Dass auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Prien diesen Weg zu gehen gedenkt, ließ ihre Reaktion auf die IQB-Studie erkennen. Die Christdemokratin betonte, sie wolle in den kommenden Jahren einen Schwerpunkt auf die Unterrichtqualität bei den Grundschulen legen, etwa durch mehr Unterricht in den Jahrgangsstufen 1 und 2 sowie neue Fachanforderungen für Mathematik und Deutsch. Prien: „Die verbundene Schreibschrift soll verpflichtend werden und den Kindern von Anfang an das richtige Schreiben vermittelt werden.“

Das Absurde: Schleswig-Holstein gehört als eines der wenigen Bundesländer zu den Gewinnern des IQB-Vergleichs. Die Leistungen der Viertklässler dort haben sich in den vergangenen Jahren verbessert – Schleswig-Holstein gehört mittlerweile in Deutsch zur Spitzengruppe (Lesen: Platz drei, Zuhören: Platz zwei, Rechtschreibung: Platz sechs). Und das, obwohl Schleswig-Holstein, wie unlängst ans Licht kam, bundesweit die wenigsten Unterrichtsstunden in der Primarstufe überhaupt anbietet (was natürlich mit der von der Politik zu verantwortenden Zahl der Grundschullehrkräfte zu tun hat). Bei den Bildungsausgaben pro Grundschüler liegt Schleswig-Holstein laut KMK auf dem vorletzten Platz.

Das bedeutet: Die Grundschullehrer in Schleswig-Holstein haben in den vergangenen fünf Jahren hervorragend gearbeitet – und bekommen jetzt als Quittung vom Bildungsministerium erklärt, ihre Methoden seien falsch. „Es ist mein Ziel und das dieser Landesregierung, die Grundschulbildung zu verbessern, das ist ein wesentlicher Grund für unsere Bildungsoffensive“, erklärte Prien bei dem Treffen im Kieler Landeshaus. „Die Grundschule steht an exponierter Stelle in unserem Bildungssystem. Hier wird die Basis gelegt für die weitere Schullaufbahn und den gesamten Bildungsweg.“

Das wird niemand bezweifeln – den eingeschlagenen Weg dahin schon. „Die Ministerin mokiert sich über eine Lese-Lern-Methode, die von ausgebildeten Grundschullehrerinnen angewandt wird. Gleichzeitig ignoriert sie, dass mehrere hundert Stellen mit nicht ausgebildeten Personen besetzt sind“, so sagt die GEW-Landesvorsitzende Astrid Henke mit Blick auf den Lehrermangel und den damit verbundenen Seiteneinstieg. Die Ministerin rede die Arbeit der Grundschullehrerinnen schlecht – vieles sei gut gemeint, aber nicht gut, so behaupte sie – und ignoriere deren großes Engagement. Henke: „Gleichzeitig nimmt sie es hin, dass Grundschullehrkräfte über ihr gesundheitliches Limit arbeiten.“

Tatsächlich: Von der Belastung der Pädagogen durch gestiegene Anforderungen war bei der Veranstaltung in Kiel keine Rede. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

Wie Politiker die Wut der Eltern auf die Grundschulen anheizen – und damit allen Lehrern schaden

 

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