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PISA-Sonderauswertung: Fast jedes zweite Migrantenkind fällt in der Schule durch

BERLIN. Geringere Vorbildung und weniger Sprachpraxis: Knapp die Hälfte aller Schüler mit Migrationshintergrund zeigt nach einer Sonderauswertung der jüngsten PISA-Studie sehr schwache Leistungen. An der Motivation liegt es nicht. Die GEW fordert, das Schulsystem müsse sich mehr auf die Mehrsprachigkeit von Kindern und Jugendlichen einstellen. Der VBE fordert mehr Fortbildungen für Lehrkräfte.

Immer mehr Migranten- und Flüchtlingskinder sind in den Schulen zu unterrichten. Foto: VinothChandar / Flickr (CC BY 2.0)

Fast jeder zweite Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland weist nach einer PISA-Sonderauswertung «sehr schwache Leistungen» in der Schule auf. Mit 43 Prozent liegt dieser Anteil fast zweieinhalb Mal so hoch wie bei der Gruppe der  Schüler ohne ausländische Wurzeln. Deutlich höher ist er auch im Vergleich zum Durchschnitt der Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Das niedrigere Schulniveau hat bei den Jugendlichen auch beim Selbstwertgefühl und der eigenen Zufriedenheit spürbare Folgen, wie die am Montag veröffentlichte Auswertung ergab. So klagen Schüler mit Migrationshintergrund häufiger über schulbezogene Ängste, fühlen sich in Gruppen eher ausgeschlossen und sind insgesamt mit ihrem Leben als Schüler weniger zufrieden als Gleichaltrige mit deutschen Wurzeln. Doch woran liegt das?

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Zu Hause kaum Deutsch

In erster Linie sind Sprachprobleme als Ursache für die enormen Unterschiede auszumachen. Migranten erster Generation, die selbst nicht in Deutschland geboren sind, sprechen laut Studie zu knapp 80 Prozent zu Hause eine andere Sprache als Deutsch. Der Anteil liegt damit deutlich höher als im OECD-Schnitt (60 Prozent). Selbst bei in  Deutschland geborenen und aufgewachsenen Migranten zweiter Generation gilt dies noch für mehr als jeden Zweiten.

Für die Grünen ist vermehrte Sprachpraxis in den Familien nicht der richtige Weg. «Zu Hause mehr die Landessprache zu sprechen, halte ich als Lösungsansatz für völlig verfehlt», kommentierte Margit Stumpp, bildungspolitische Sprecherin der Grünen. Stattdessen müsse die Ganztagsbildung wie in anderen Ländern massiv ausgebaut werden. «Dann sind die Kinder in einem Umfeld, in dem sie mit ihren deutschen Klassenkameraden länger Deutsch reden», stellte Stumpp fest.

Die Unterschiede zwischen den Herkunftsländern sind dabei gering, wie die Auswertung mit Beispielen von Migranten aus Italien, Polen und der Türkei ergab. Doch nicht nur die Sprache ist Barriere, sondern häufig auch die Herkunft. Laut Studie erklärt sich der hohe Anteil an leistungsschwächeren Schülern bei den Migrantenkindern auch durch die eher einfachen Verhältnisse, in denen sie aufwachsen, sowie dem vergleichsweise niedrigen Bildungsniveau der Eltern. Gut 28 Prozent der Schüler sind in Deutschland Migranten, wie die Erhebung aus dem Jahr 2015 unter 15-Jährigen ergab. Auch dieser Wert liegt klar über dem OECD-Schnitt von 23 Prozent.

Auf mangelnde Motivation der Zuwandererkinder sind die Defizite nicht zurückzuführen, wie die Studie belegt. Sie sind im Durchschnitt sogar motivierter als gleichaltrige Kinder ohne ausländische Wurzeln, hieß es. «Die heutige PISA-Auswertung zeigt erneut: Das deutsche Bildungssystem ist sozial kaum durchlässig», stellte Stumpp fest.  Dass Migrantenkinder trotz höherer Motivation nicht die gleichen Chancen haben, sei «ein Skandal». Sie fordert: «Wir dürfen den Schulerfolg nicht von der sozialen Herkunft abhängig machen.» Dafür seien auch kleinere Klassen notwendig, befand sie.

“Ein seit Jahren unterfinanziertes Bildungssystem kann das nicht leisten. Schulen brauchen endlich eine angemessene personelle Ausstattung und die Unterstützung durch multiprofessionelle Teams“, so kommentierte Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE die aktuellen OECD-Daten. In der Studie heißt es zwar, dass sich Schüler mit Migrationshintergrund häufiger von Lehrern unfair behandelt fühlen, aber auch, dass ihre Lehrer ihnen zusätzliche Unterstützung anbieten. Beckmann betont: „Auf den Lehrer kommt es an! Deshalb brauchen wir so dringend eine gute Aus-, Fort- und Weiterbildung für sie. Das Motto der Bildungsministerien muss sein: Lehrkräfte fit für Chancengleichheit machen.“

 

“Aufgabe von Schule”

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nimmt angesichts der Ergebnisse das Schulsystem in die Pflicht. „Es ist die Aufgabe von Schule, soziale Ungleichheiten und Diskriminierung abzubauen. Dieser Herausforderung wird das Bildungswesen in Deutschland nicht ausreichend gerecht. Die GEW setzt sich dafür ein, die strukturelle Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und deren Ausgrenzung zu beenden“, erklärte GEW-Vorsitzende Marlies Tepe. Das Schulsystem müsse sich mehr auf die Mehrsprachigkeit von Kindern und Jugendlichen einstellen.

„Deshalb müssen Sprachbildung und mehrsprachiges Lernen von Beginn an mehr ins Zentrum gerückt und systematisch in allen Bildungsbereichen verankert werden“, schlug Tepe vor. Dabei sollten auch Modelle integrierten Fach- und Sprachlernens sowie herkunftssprachliche Bildungsangebote systematisch ausgebaut werden. Zudem seien diskriminierungssensible Schulentwicklung und interkulturelle Elternarbeit ebenso notwendig, wie die Lehrkräfteausbildung und die Curricula auf inklusive und diversitätsbewusste Lehrinhalte und Didaktiken auszurichten. „Wir brauchen mehr Konzepte und Materialien, die vorurteilsbewusst sind und sich kritisch mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen“, betonte die GEW-Vorsitzende. News4teachers / mit Material der dpa

Debatte: Migrantenkinder sind im Schnitt immer noch schlechter in der Schule – warum eigentlich?

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