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Wie die AfD gegen die Inklusion hetzt: Sie setzt Behinderungen in Zusammenhänge mit “Inzest” und “Krankheit”

BERLIN. Mit Äußerungen zu Behinderten haben Parlamentarier der AfD für Empörung gesorgt. Mit einer großformatigen Zeitungsanzeige in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ protestieren 18 Sozialverbände aus ganz Deutschland gegen eine Anfrage von AfD-Bundestagsabgeordneten, in der eine Verbindung zwischen Behinderung, Inzest und Migration gezogen  wird. „Wir rufen die Bevölkerung auf, wachsam zu sein und sich entschlossen gegen diese unerträgliche Menschen- und Lebensfeindlichkeit zu stellen“, heißt es in der Anzeige. Auch in Saarbrücken löste ein AfD-Abgeordneter – namentlich der Fraktionschef der Partei im saarländischen Landtag, Josef Dörr  – scharfen Widerspruch aus.

Die AfD – hier der Bundestagsabgeordne Markus Frohnmaier – trommelt gegen die Inklusion. Screenshot

In einer Kleinen Anfrage wollten AfD-Bundestagsabgeordnete von der Bundesregierung wissen, wie sich die Zahl der Behinderten in Deutschland seit 2012 entwickelt habe, und zwar insbesondere „durch Heirat innerhalb der Familie“. Daran schlossen sie die Frage an, wie viele dieser Fälle einen Migrationshintergrund hätten. Die Bundesregierung antwortete umgehend. „Daten zum Familienstand der Eltern von Kindern mit Behinderungen werden in der Statistik der Schwerbehinderten nicht erhoben“, so teilte das Bundesinnenministerium lapidar mit. Bei mehr als 94 Prozent der schwerbehinderten Menschen handele es sich um Deutsche.

Die Sozialverbände äußern sich in der Zeitungsanzeige (Titel: „Es geht uns alle an: Wachsam für die Menschlichkeit“) entsetzt über das Vorgehen der Rechten. „Die Fraktion der AfD erkundigt sich vordergründig nach der Zahl behinderter Menschen in Deutschland, suggeriert dabei jedoch in bösartiger Weise einen abwegigen Zusammenhang von Inzucht, behinderten Kindern und Migrantinnen und Migranten.“  Die Anfrage erinnere damit „an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte, in denen Menschen mit Behinderung das Lebensrecht aberkannt wurde und die zu Hunderttausenden Opfer des Nationalsozialismus wurden“. Zu den Unterzeichnern zählen neben den großen Sozialverbänden auch zahlreiche Behindertenorganisationen, verantwortlich zeichnet der Paritätische Gesamtverband.

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„Es geht der AfD darum, behindertes Leben als etwas Vermeidbares darzustellen. Als etwas, das Schaden anrichtet. Früher wurde von ‚unnützen Essern‘ gesprochen, von ‚ewig Leidenden‘, die man von ihrem Leid befreien müsste. Das ist ja nicht neu“, sagte Ilja Seifert, Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland (ABiD), gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. „Schauen Sie mal in das Wahlprogramm der AfD. Die fordern für alle Behinderten nur noch Sonderschulen, Sondereinrichtungen. Natürlich immer mit dem Hinweis, dort wären die Bedingungen für sie besser.“

Tatsächlich hatte sich in der vergangenen Woche auch Josef Dörr, Chef der AfD-Fraktion im Saarbrücker Landtag, gegen die Inklusion in der Schule gewandt – und dabei von „gesunden“ und „kranken Kindern“ gesprochen. Wörtlich erklärte er einem Bericht der „Saarbrücker Zeitung“ zufolge: „Was aber unter keinen Umständen geht, ist, dass in dem gleichen Krankenhaus oder der gleichen Abteilung dann auch Menschen sind mit übertragbaren Krankheiten, schweren ansteckenden Krankheiten. Das ist ein Bild. Aber in der Schule haben wir die gleiche Situation.“ Durch die Inklusion würden an Schulen „Kinder mit Down-Syndrom unterrichtet (…) mit anderen Kindern, die ganz normal, gesund sind“.

“Jenseits jeglicher Vorstellungskraft”

Der Verband Sonderpädagogik sieht in den Äußerungen „ein rückwärts gerichtetes Menschenbild, welches in jeglicher Art abzulehnen“ ist. „Menschen mit übertragbaren Krankheiten gleichzusetzen mit Kindern mit Unterstützungsbedarf ist jenseits jeglicher Vorstellungskraft. Hier sehen wir Vergleiche aus einer Zeit, als Menschen mit Handicap als ,krank’ und lebensunwert eingestuft wurden“, erklärte der Landesvorsitzende Thomas Fey dem Bericht zufolge. Wenn Dörr sage, es gebe Kinder, die „anders“ seien, müsse geklärt werden, wer als „nicht anders“ einzustufen sei. Fey: „Hier kann man nur hoffen, dass Herr Dörr sich seine Rede nochmals ,antut’ und in der Lage ist zu reflektieren, was er von sich gegeben hat. Dies hat mit einem humanistischen Menschenbild und (sonder-)pädagogischem Verständnis der Menschen, mit denen wir arbeiten, nichts zu tun und ist in aller Form scharf zu verurteilen.“

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, erklärte gegenüber dem Radiosender NDR Info: „Wir fühlen uns in der Tat erinnert an einen Behindertenbegriff, den wir in den 30er-/40er-Jahren hatten, und der zu Schlimmem geführt hat.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

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