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GEW schreibt Schulleiter an, um den Besuch von Schülergruppen beim „Arbeitgeber Bundeswehr“ zu verhindern

FRANKFURT/MAIN. Die GEW Hessen hat sich in einem Schreiben an die Leitungen der hessischen Schulen gewandt. Darin heißt es, sie sollten von möglichen Besuchen der Bundeswehr am bevorstehenden „Hessentag 2018“ durch Schülergruppen absehen. Zu ihrem Stand dort hat die Truppe im Vorfeld Schule eingeladen, um sich als Arbeitgeber zu präsentieren.

Die Bundeswehr macht sich für Schüler beim Hessentag – hier 2017 – interessant. Foto: DFSB DE / flickr (CC BY-SA 2.0)

Der “Hessentag” findet in diesem Jahr vom 25. Mai bis zum 3. Juni im nordhessischen Korbach statt. „Die Zur-Schau-Stellung von militärischen Gerätschaften sowie die Vorführungen beispielsweise von Nahkampfhandlungen zu martialischer Musik haben in den vergangenen Jahren wiederholt zu Irritationen und auch zu Kritik geführt“, berichtet nun die GEW. In den vergangenen Wochen sei die Bundeswehr an viele Schulen mit dem Angebot herangetreten, anlässlich des Hessentages „zu Gast beim Arbeitgeber Bundeswehr“ zu sein. Dabei würden unter anderem ein kostenloser Transport, ein Mittagsimbiss sowie Informationen über die Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten bei der Bundeswehr angeboten.

In dem Schreiben an die Schulleitungen erkennt die GEW Hessen nach eigenen Worten „die wichtige schulische Aufgabe der Berufsorientierung“ an – wendet sich aber gegen die Behandlung der Bundeswehr als einen „gewöhnlichen Arbeitgeber“. In diesem Zusammenhang verweist die Gewerkschaft unter anderem auf das für alle Soldaten bestehende Risiko von Traumatisierung und Verletzung bis hin zum Tod im Rahmen von Kampf­einsätzen. „Obwohl die UN-Kinderrechtskonvention die Rekrutierung von Minderjährigen verbietet, werden von der Bundeswehr regelmäßig Minderjährige ab einem Alter von 17 Jahren rekrutiert“, meint die GEW. „Für diese Praxis und für entsprechende Werbemaßnahmen wurde die Bundeswehr bereits durch den UN-Fachausschuss für die Rechte des Kindes gerügt.“

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Auch die Kriterien für die schulische politische Bildung, insbesondere das vom Beutelsbacher Konsens formulierte „Überwältigungsverbot“, würden durch diese „Klassenausflüge“ zur Bundeswehr aus Sicht der GEW verletzt, da die zumeist minderjährigen Schüler  „durch eine professionelle, interessengeleitete Werbekampagne und ‚Karriereberatung‘ der Bundeswehr gezielt in ihrer Berufsorientierung beeinflusst werden sollen“. Das Schreiben trägt die Unterschriften der beiden Vorsitzenden sowie der beiden stellvertretenden Vorsitzenden der GEW Hessen, Birgit Koch und Maike Wiedwald. Das Vorsitzenden-Team verbindet die Bitte, von „Klassenfahrten“ zur Bundeswehr am Hessentag abzusehen, mit einem Gesprächsangebot an die Schulleitungen sowie die Kollegien, um sich mit dem Verhältnis von Schule und Bundeswehr auseinanderzusetzen. News4teachers

Das Schreiben im Wortlaut

Sehr geehrte Damen und Herren der Schulleitung,

mit unserem Schreiben wollen wir Sie um Ihre Aufmerksamkeit für ein Anliegen bitten, das uns als Bildungsgewerkschaft sehr am Herzen liegt.

Am 25. Mai 2018 beginnt der 58. Hessentag in Korbach.

Einer der größten Aussteller wird dabei wieder die Bundeswehr sein. Wie diese sich im Rahmen von Großveranstaltungen präsentiert, können Sie folgendem Zitat aus dem Darmstädter Echo vom 10.06.2017 zum Hessentag 2017 entnehmen:

„Die Streitkräfte zeigen mit Tornado-Cockpit und Sanitätspanzer, mit Schleudersitz, Fernmeldegerät, Splitterwesten und Fallschirmausrüstung eine Technik, der durchaus eine gewisse Faszination innewohnt. Die meisten Besucher zeigen sich interessiert, klettern in Panzer, legen Westen an, lassen ihre Kinder den Gefechtshelm aufsetzen. Ein Zuschauermagnet sind die Vorführungen der Diensthunde und vor allem der Spezialkräfte des Heeres, die Nahkampf und die „Festsetzung eines Hochwertziels“ demonstrieren. Dass die Vorführungen mit aufputschendem Rock mit Refrains wie „I kill cause I‘m hungry“ (Ich töte, weil ich hungrig bin) oder „Only the strongest will survive“ (Nur die Stärksten werden überleben) untermalt werden, gehört zu den eher verstörenden Momenten der Bundeswehr-Präsentation.“

Wie wir wissen, hat sich die Bundeswehr im Vorfeld auch an viele Schulen gewandt und über die Schulleitungen Schülerinnen und Schüler eingeladen, „zu Gast beim Arbeitgeber Bundeswehr“ zu sein. Die Bundeswehr bietet dabei kostenlosen Hin- und Rücktransport, Mittagsimbiss und Informationen über Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten und will die „vor Ort dargestellten Truppenteile und Gerätschaften präsentieren“.

Sehr geehrte Damen und Herren der Schulleitung, wir erkennen an, dass die Frage der Berufsfindung und der Berufsausbildung an Ihrer Schule sicher ein wichtiges Thema ist und dass es durchaus attraktiv erscheinen mag, gerade finanziell schlechter gestellten Schülerinnen und Schülern „etwas bieten zu wollen“.

Bitte bedenken Sie jedoch die hohe Verantwortung, die Sie für die Ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler haben. Die GEW Hessen ist der Meinung, dass die Bundeswehr kein Arbeitgeber wie jeder andere ist! Unsere Bedenken möchten wir so zusammenfassen:

–          Die Ausbildung zum Soldaten oder zur Soldatin bedeutet, das Töten zu lernen. Bei der Bundeswehr kann man jederzeit gegen seinen Willen in einen Auslandseinsatz geschickt werden. In den Auslandseinsätzen der Bundeswehr werden Soldatinnen und Soldaten Gefahr  laufen, das Gelernte anwenden zu müssen. Sie müssen zudem mit dem Risiko leben, selbst traumatisiert, verletzt oder gar getötet zu werden.

–          Die UN-Kinderrechtskonvention verbietet die Rekrutierung von Minderjährigen. Mit dem “Fakultativprotokoll vom 12. Februar 2002 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kinder an bewaffneten Konflikten” wird das Mindestalter für die Teilnahme an Kampfhandlungen von 15 auf 18 Jahre angehoben.

Dagegen können Jugendliche schon nach Beendigung der Mindestschulzeit und dem Mindestalter von 17 Jahren, eine militärische Ausbildung bei der Bundeswehr beginnen. Der UN-Fachausschuss für die Rechte des Kindes kritisiert die Rekrutierungs- und Werbemaßnahmen der Bundeswehr deutlich.

–          Die Schülerinnen und Schüler sind zu einem großen Teil noch minderjährig und können deshalb die Konsequenzen, die eine Ausbildung bei der Bundeswehr für sie und ihr weiteres Leben hätte, nicht im vollen Umfang überblicken.

–          Wer sich einmal bei der Bundeswehr verpflichtet hat, kann nicht einfach kündigen, sondern muss den Dienst an der Waffe dann aus Gewissensgründen verweigern und mit hohen Rückzahlungen für die bereits in Anspruch genommenen Ausbildungen rechnen.

–          Der Verzicht auf wesentliche Grundrechte wie das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit und Leben ist obligat; Bürgerrechte wie die freie Meinungsäußerung und Willensbildung sind eingeschränkt; Gehorsamsverweigerung wird bestraft.

–          Die Ausbildungen in der Bundeswehr sind häufig nicht 1:1 auf das zivile Berufsfeld übertragbar und somit kein Garant dafür, später auch bei zivilen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern eine Anstellung zu finden.

–          Die Skandalliste des “Arbeitgebers Bundeswehr” ist lang: Immer wieder werden in der Öffentlichkeit zweifelhafte Ausbildungsmethoden bekannt, die von dem Machtmissbrauch von Vorgesetzen, Mobbing gegen Auszubildende, Erniedrigungen und Vergehen gegen die Menschenwürde zeugen. Zuletzt wurde im März 2018 ein rechtsmedizinisches Gutachten zum Tode eines Offiziersanwärters in Munster veröffentlicht, welches schwere Vorwürfe gegen zwei Ausbilder des Heeres erhebt. Es gibt zahlreiche Berichte über sexuelle Übergriffe vor allem auf Soldatinnen sowie über rechtsextreme Tendenzen und Vorfälle.

–          Die Jugendoffiziere und Karriereberater sind rhetorisch gut geschult und stellen unter Umständen auch ein paar negative Seiten des Soldatenlebens dar, wissen aber vor allem über einen aus ihrer Sicht spannenden „Beruf” mit guten Perspektiven geschickt zu informieren. Die oben ausgeführten Sachverhalte werden von ihnen jedoch nicht thematisiert und schon gar nicht bei einem „Klassenausflug“ zum Hessentag zur Sprache kommen. Das Überwältigungsverbot des „Beutelsbacher Konsens“ wird hier nicht eingehalten.

–          Die Prämisse, bei der Bundeswehr handele es sich um eine demokratisch legitimierte Parlaments- und reine Verteidigungsarmee, trägt unserer Meinung nach aus verschiedenen belegbaren Gründen nicht mehr und sollte zumindest kritisch hinterfragt werden, wie es in der Öffentlichkeit in Bezug auf die fragwürdige Legitimation der Vielzahl an weltweiten Auslandseinsätzen vermehrt geschieht.

Aus allen diesen Gründen bitten wir Sie freundlich, von „Klassenfahrten“ zur Bundeswehr am Hessentag 2018 in Korbach abzusehen und auch mit weiteren Angeboten der Bundeswehr für Ihre Schule kritisch umzugehen.

Für Gespräche und gerne auch kontroverse Diskussion mit Ihnen und Ihrem Kollegium sind wir jederzeit gerne bereit und würden uns über eine entsprechende Einladung von Ihrer Seite freuen.

Mit freundlichen Grüßen

„Die Rekruten“: Dürfen die das? Bundeswehr wirbt mit täglicher Doku-Soap für Ausbildung

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