GÜTERSLOH. Der Lehrermangel trifft besonders eine Schulform, die bislang nicht so sehr im Fokus der Bildungspolitik steht: die Berufsschulen. Ab 2025 wird sich die jetzt schon angespannte Situation weiter verschärfen. Dies hat eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung ergeben. Die GEW zeigt sich alarmiert. Sie fordert: „Die Länder müssen dringend handeln!“ Der Deutsche Lehrerverband liefert eine eigene Erklärung dafür, warum gerade Berufsschulen der Lehrernachwuchs ausgeht.
Bis zum Jahr 2030 geht fast die Hälfte der rund 125.000 Berufsschullehrer in den Ruhestand. Allein bis 2020 benötigen Berufsschulen jährlich durchschnittlich 4.000 neue Lehrer, ausgebildet werden derzeit allerdings nur rund 2.000 Lehrkräfte pro Jahr: Es klafft demnach auch bei den Berufsschulen eine gewaltige Lücke zwischen Bedarf und dem Angebot an Lehrkräften.
Dies ergibt eine Untersuchung des Bildungsforschers Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Im Unterschied zu den kürzlich von der Kultusministerkonferenz vorgelegten Zahlen geht Klemm davon aus, dass sich der Lehrermangel an Berufsschulen nach 2025 stärker zuspitzen wird: Bis 2030 entsteht ein jährlicher Bedarf von 4.800 Lehrkräften, um ausscheidende Lehrkräfte zu ersetzen und eine größer werdende Schülerzahl zu bewältigen. Dieser Trend wird sich in den Jahren bis 2035 sogar noch verstärken, sodass der jährliche Einstellungsbedarf nach 2030 auf über 6.000 Lehrkräfte steigt. Für Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, sind die Zahlen alarmierend: “Ein Mangel an Berufsschullehrern schwächt unser Ausbildungssystem. Das nimmt Jugendlichen wichtige Bildungschancen und schadet der Wirtschaft.”
GEW: Lehrkräfte entlasten
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnt die Länder, deutlich mehr Lehrkräfte für die beruflichen Schulen auszubilden und einzustellen. „Der Beruf muss wieder attraktiver gestaltet werden. Dazu gehört, die Lehrerinnen und Lehrer im Arbeitsalltag zu entlasten. Nur so werden die Länder wieder mehr junge Menschen gewinnen, die sich für das Lehramt an beruflichen Schulen entscheiden“, sagte Ansgar Klinger, GEW-Vorstandsmitglied für berufliche Schulen und Weiterbildung, am Montag mit Blick auf die aktuelle Studie.
Während Grundschulen und weiterführende Schulen bereits in den kommenden Jahren kurzfristig Antworten auf die steigenden Schülerzahlen finden müssen, erreicht der Berufsschullehrermangel erst später seinen Höhepunkt. Das bedeutet: Es ist noch Zeit zu handeln. “Auch wenn sich der Lehrermangel an Berufsschulen absehbar zuspitzt, kann die Politik jetzt noch reagieren.” Dräger fordert deshalb eine bundesweite Gesamtstrategie: “Lehrkräfte werden überall dringend gebraucht. Es hilft nicht, wenn die Länder sich Lehrer gegenseitig abwerben. Wir müssen insgesamt mehr Berufsschullehrer ausbilden.”
Gerade weil die Ausbildung von Berufsschullehrern in der Regel mehr als sieben Jahre dauere, müssten jetzt mit Blick auf das Jahr 2025 mehr Studienplätze bereitgestellt werden. Zudem gelte es, Abiturienten und hochqualifizierte Facharbeiter über die Arbeit in den Berufsschulen zu informieren und explizit für dieses Berufsfeld zu werben.
Berufsschulen sind schon heute in besonderem Maße auf Quer- und Seiteneinsteiger angewiesen – rund ein Drittel der dortigen Lehrkräfte sind keine ausgebildeten Berufsschullehrer. Dräger fordert deshalb, Quer- und Seiteneinsteiger systematisch zu qualifizieren und dafür bundesweit einheitliche und verbindliche Standards einzuführen. Hilfreich wäre es auch, die rund 30 Prozent Teilzeitkräfte unter den Berufsschullehrkräften zu motivieren, ihr Stundendeputat aufzustocken. Genauso könnten ältere, an der Grenze zur Pensionierung stehende Kollegen länger unterrichten und so dem Lehrermangel entgegenwirken. “Wir brauchen Anreize für Teilzeitkräfte und Pensionäre mehr bzw. länger zu unterrichten”, macht Dräger deshalb klar. Er begrüßt zudem, dass die Kultusministerkonferenz jüngst deutlich gemacht hat, dass sie die Herausforderungen des Lehrermangels prioritär bearbeitet. News4teachers
Die GEW hat angekündigt, in der kommenden Woche eine Untersuchung zu publizieren, die den Lehrkräftebedarf in den einzelnen Bundesländern darstellt.
BERLIN. Aus Anlass der Veröffentlichung der Bertelsmann-Studie zum künftigen Lehrerbedarf an beruflichen Schulen hat der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, die bisherige Fixierung der politischen und öffentlichen Bildungsdebatte auf akademische Abschlüsse beklagt. Das habe unter anderem dazu geführt, dass für nicht wenige Abiturientinnen und Abiturienten das berufliche Lehramt nicht in der hohen Wertigkeit wahrgenommen wird, die ihr zukommt.
Der Verbandsvorsitzende fügte hinzu: „Es ist bedauerlich, dass sich die Bildungspolitik in den letzten Jahrzehnten an den dauerhaften Lehrermangel vor allem an gewerblichen beruflichen Schulen geradezu gewöhnt hat, obwohl durch diesen Mangel gravierende negative Auswirkungen auf die Qualität und die Leistungsfähigkeit der dualen Ausbildung in Deutschland zu befürchten sind.“
Meidinger plädierte dafür, bei der Gewinnung eines ausreichenden Lehrernachwuchses an beruflichen Schulen sowohl auf die grundständige Lehrerbildung als auch auf die Weiter- und Nachqualifikation von Quereinsteigern zu setzen, die wegen der Nähe der beruflichen Lehrerbildung zur Berufspraxis traditionell eine größere Rolle als im allgemeinbildenden Bereich spielen.
Konkret schlug der DL-Präsident vor, in der gymnasialen Oberstufe der Gymnasien und Gesamtschulen im Rahmen der Berufs- und Studienorientierung verstärkt über die Chancen und Möglichkeiten beruflicher Lehrämter zu informieren und die Möglichkeit und das Angebot von Orientierungspraktika an Berufsschulen für Abiturientinnen und Abiturienten auszubauen und zu erweitern.
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Kultusminister legen neue Prognose für den Lehrerbedarf vor: Alles halb so schlimm?
