HANNOVER. Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne hat eine Präventionskampagne gestartet, damit Lehrkräfte trotz Krach im Klassenzimmer bei Stimme bleiben. Experten zufolge sind allerdings auch bauliche Veränderungen in den Schulen notwendig.
Angesichts des hohen Lärmpegels in vielen Klassenzimmern startet das niedersächsische Kultusministerium eine Präventionskampagne. Lehrkräfte aller Schulformen können sich für ein kostenloses Stimmtraining anmelden. Pädagogen müssen an einem Vormittag oft stundenlang vor 30 Schülern reden – hinzu kommt meist eine schlechte Raumakustik. «Umso wichtiger ist ein sensibler Umgang mit der eigenen Stimme, um Stimmstörungen zu vermeiden und das “Berufswerkzeug” gesund zu erhalten», sagte Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) in Hannover.
Die Bildungsgewerkschaft GEW in Niedersachsen appellierte an die Kommunen, beim Bau und bei der Sanierung von Schulen auch an den Lärmschutz zu denken. Vor allem Sportlehrer seien gefährdet, einen Hörsturz zu erleiden – oft bleibe ein Tinnitus zurück, sagte GEW-Sprecher Christian Hoffmann auf Anfrage. Notwendig seien zudem mehr Aus- und Fortbildungen auch für Quereinsteiger sowie Klassen mit weniger Schülern.
“Wie an einer Schnellstraße”
Das bis 2008 an der Universität Bremen angesiedelte Institut für interdisziplinäre Schulforschung hat zahlreiche Studien zu Lärm im Unterricht abgeschlossen. «Wir haben schon in Klassen einen Schallpegel von 75 Dezibel gemessen, das ist wie an einer Schnellstraße», sagte der Leiter des inzwischen privaten Instituts, Gerhart Tiesler. Die Räume seien in der Regel viel zu hallig. Häufig werde in Gruppen gearbeitet, dabei müsse immer lauter gesprochen werden, um andere am Nebentisch zu übertönen. «Ich bezeichne das gerne als Kneipeneffekt», sagte Tiesler.
«Die Kommunen und die Länder denken zu kurzfristig», kritisierte der Wissenschaftler. So könnten Frühpensionierungen etwa durch den Einbau von Akustikdecken zur Lärmreduzierung vermieden werden. «Die Schüler leiden unter dem Lärm genauso», betonte er. 2016 sind laut Ministerium in Niedersachsen 14,3 Prozent der Lehrkräfte wegen Dienstunfähigkeit in Pension gegangen. 2006 waren es noch 26,3 Prozent, 2015 allerdings nur 12,8 Prozent.
Jede dritte Lehrkraft erkranke im Laufe ihres Lebens an einer Stimmstörung, sagte Ulla Beushausen, Professorin für Logopädie an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Die Folgen könnten gravierend sein – bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. In den mit Unterstützung der HAWK entwickelten zweitägigen Seminaren vermitteln die Trainer unter anderem Stimmtechnik und praktische Tipps für den Unterricht. Wie aufmerksam die Schüler sind und wie gut sie den Stoff verstehen, hänge auch vom Stimmklang des Lehrers ab, sagte Sprecherzieher Jan Appel. Dies belegten Studien.
Die neue Kampagne in Niedersachsen mit dem Titel «Stimme – Lärm – Akustik» läuft zunächst über zwei Jahre. Die Kosten liegen laut Ministerium bei rund 150.000 Euro jährlich. Die Krankenkasse BKK Mobil Oil übernehme die Kosten für Vorort-Seminare in kleinen Grundschulen, hieß es. Zudem habe die Landesunfallkasse Niedersachsen (LUKN) eine finanzielle Unterstützung für 2019 zugesagt. dpa
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
Umfrage: Viele Lehrer fühlen sich durch Lärm und Termindruck belastet
