HANNOVER. Schüler unterschiedlicher Herkunft beschimpfen sich mit wüsten Schimpfwörtern. Konflikte eskalieren in Gewalt. Familienministerin Giffey will das Problem in vielen Klassenzimmern mit Hilfe von speziell geschulten Sozialarbeitern eindämmen.

Es fängt mit Beleidigungen an und kann Kinder bis in den Suizid treiben: Um Lehrer im Kampf gegen Mobbing zu unterstützen, hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) ein neues Programm gestartet. Seit diesem Schuljahr sind bundesweit über 200 speziell ausgebildete Sozialarbeiter an Schulen mit Problemen im Einsatz. «Sie werden vorbeugend wirken, aber manchmal werden sie auch Feuerwehr sein», sagte Giffey in Hannover. Es gehe darum, Schülerinnen und Schüler vor Radikalisierung und Fremdenfeindlichkeit zu schützen. Das Projekt, für das in diesem Jahr 20 Millionen Euro bereitstehen, ist Teil des nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus. Es wird wissenschaftlich begleitet.
Mobbing ist ein wachsendes Problem an Schulen. Nach einer Umfrage des Bündnisses gegen Cybermobbing klagt bundesweit jeder vierte Schüler über klassische Mobbing-Attacken, 13 Prozent beschreiben gezieltes Mobbing über digitale Medien. «Bei uns in der Schule ist das Respekt-Niveau sehr niedrig», sagte der 15-jährige Sky aus Duisburg-Marxloh. «Arme werden gemobbt, weil sie keine Gucci-Pullover tragen.» Konflikte endeten meist in Schlägereien. «Dann wird ein großer Kreis um den Schwächeren gebildet, der verprügelt wird. In den Kreis kommt keiner rein.»
Israel ausgekratzt
Die neuen «Respekt Coaches» stammen von den Jugendmigrationsdiensten, die junge Menschen mit ausländischen Wurzeln begleiten. Sie seien als Ergänzung zu bereits existierenden Hilfsangeboten zu verstehen, betonte Giffey. Bei der Auftaktveranstaltung mit über hundert Anti-Mobbing-Trainern aus ganz Deutschland gab Eymen Nahali, «Respekt Coach» im Dortmunder Norden, einen Einblick in seine Arbeit. Es gehe zunächst darum, Vertrauen der Schüler zu gewinnen, sagte Nahali. So habe ihm ein Mädchen anvertraut, dass es als «Zigeunerin» beschimpft werde. Dies sei dann sofort in der Klasse thematisiert worden.
Die «Respekt Coaches» sollen den Schulen dabei helfen, Hass und Gewalt gegenüber Andersgläubigen einzudämmen, gegen religiöses Mobbing vorzugehen sowie Toleranz und Demokratieverständnis zu fördern. Ministerin Giffey, die zuvor Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln war, berichtete von einer Schule, in der eine Weltkarte hing, auf der Israel ausgekratzt war. «Wenn es Probleme dieser Art gibt, dann muss darüber geredet und dagegen vorgegangen werden», betonte sie. Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann (SPD) sagte: «Respektvoller Umgang ist nicht das Verdrängen von Konflikten.» Erwachsene müssten Vorbilder im Umgang miteinander sein.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Hans-Peter Meidinger plädiert für mehr Fortbildungsangebote für Lehrkräfte im Kampf gegen Mobbing. «Heute ist fast jeder schulische Mobbingfall begleitet von Attacken und Aggressionen sowie Verleumdungen im Internet, in den sozialen Netzwerken, in den Whatsapp-Gruppen», sagte Meidinger der Deutschen Presse-Agentur. Dadurch weite sich ein Konflikt enorm aus und werde noch grausamer und unerträglicher für Betroffene.
An Schulen mit einem hohen arabisch-muslimischen Schüleranteil nehme Antisemitismus zu, der vor allem ein Produkt des Nahost-Konflikts sei, beobachtet der Verbandschef. «Politische Bildung muss an Schulen einen höheren Stellenwert erhalten», forderte Meidinger. «Neben mehr Fachunterricht würde ich es begrüßen, wenn auch verstärkt Politiker an Schulen kommen würden, um dort über den Wert von Demokratie mit den Schülern zu diskutieren.» Von Christina Sticht, dpa
Hier gibt es weitere Informationen über das Projekt.
