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VBE-Studie: Lehrer und Eltern sehen Werteerziehung als wichtigen Auftrag für die Schule – Ansprüche scheitern aber oft an fehlender Zeit

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BERLIN. Eltern und Lehrer in Deutschland halten mit großen Mehrheiten die Werterziehung in der Schule für wichtig, sehen aber Mängel bei der Umsetzung. „Eigenverantwortliches Handeln“ ist das Erziehungsziel, das mit jeweils 98 Prozent fast alle Eltern und Lehrer für wichtig erachten. Bemerkenswert: Die „Förderung der Heimatverbundenheit“ erachten auf beiden Seiten die wenigsten für wichtig. Auf dem zweitletzten Platz: die „Orientierung an Leistungsfähigkeit“. Dies sind Ergebnisse einer Umfrage, die der VBE in Auftrag gegeben hat. „Die Lebenswirklichkeit von heute ist: Beide Elternteile arbeiten. Die Zeiten, in denen Kinder von Familien erzogen werden, nehmen ab. Ganztag und Kita-Zeiten nehmen zu“, so erklärte VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann. „Umso bedeutender wird dadurch die Rolle von Schule als staatlicher Institution bei der Vermittlung von Werten.“

Kinder lernen das Miteinander vor allem in der Schule. Foto: Shutterstock

Angesichts  einer Verrohung der Umgangsformen in unserer Gesellschaft und aktueller Ereignisse wie jüngst in Chemnitz sei der Ruf der Politik nach mehr Werte- und Demokratieerziehung laut geworden, sagte Beckmann bei der Vorstellung der Studie. Dies habe der VBE zum Anlass genommen, eine Umfrage unter Eltern und Lehrkräften zum Thema Wertorientierungen und Werteerziehung in Auftrag zu geben und hiermit einen Impuls für die Wertedebatte zu setzen.

„Eltern wie auch Lehrkräfte formulieren danach in überwältigender Deutlichkeit, wie wichtig Ihnen das Thema Werteerziehung und eine Orientierung an den gesetzlich verankerten Bildungs- und Erziehungszielen in Schule sind. Über 90 Prozent der Eltern geben für acht der 16 abgefragten Bildungs- und Erziehungsziele an, dass ihnen diese (sehr) wichtig sind, über 90 Prozent der Lehrkräfte erachten sogar 12 der 16 Bildungs- und Erziehungsziele als (sehr) wichtig“, erläuterte Beckmann.

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Gleichzeitig benennen sowohl Eltern als auch Lehrkräfte klare Defizite bei der Umsetzung aller Ziele. Gründe für ein Nicht-Erreichen einzelner Bildungs- und Erziehungsziele sehen Eltern wie auch Lehrkräfte in fehlender Zeit zur Bearbeitung sowie in einer unzureichenden Berücksichtigung im Lehrplan. Bezeichnend sei laut Beckmann, dass die Umsetzung bestimmter Ziele dort gelinge, wo diese im Lehrplan integriert seien. Eltern als auch Lehrkräfte beurteilen die praktische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema, etwa in Form von Projektwochen oder Workshops, als zweitwichtigsten Grund für das Erreichen bestimmter Werterziehungsziele.

„Die Politik muss die Ernsthaftigkeit ihrer Forderungen nach mehr Werte- und Demokratieerziehung an Schule belegen – mit dem notwendigen Gestaltungsfreiraum für Lehrkräfte. Werte müssen erlebt und gelebt werden, dafür braucht es weniger starre Strukturen und stattdessen mehr Flexibilität und vor allem mehr Zeit. Der sich ändernde Alltag in der Gesellschaft und damit verbunden die zunehmenden Erziehungsaufgaben für Schule müssen Platz finden im starren Korsett der Leistungsorientierung. Nur so können junge Menschen eine an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung orientierte Wertehaltung entwickeln“, so Beckmann.

Gefragt nach aktuellen Themen in der Wertedebatte vertreten über 90 Prozent der Eltern und Lehrkräfte die Meinung, dass auch in einer multikulturellen Gesellschaft bestimmte Werte für alle Menschen, die hier leben, gelten müssen. Nur 3 Prozent der Lehrkräfte und 10 Prozent der Eltern halten eine Wertediskussion in Schule für überflüssig. Immerhin 54 Prozent der Eltern und sogar 73 Prozent der Lehrkräfte sehen eine Gefahr, die von einer „Beliebigkeit in der Frage um Werte“ ausgehen würde. „Schule ist ein Ort, der Schülerinnen und Schülern eine Orientierung in der Ausbildung ihrer Werthaltung geben soll und muss. Deshalb muss für Schule ein universell geltender Gesamtkanon an zu vermittelnden Werten gelten“, fordert Beckmann.

Elternhaus bedeutend

Hinsichtlich der Frage, wie wichtig bestimmte Akteure bei der Vermittlung von Werten gegenüber Kindern und Jugendlichen sind, betonen nahezu alle Eltern und Lehrkräfte die bedeutsame Rolle des Elternhauses. Eine große Mehrheit der Eltern und Lehrkräfte gibt zudem an, dass folgend mit ähnlicher Bedeutung auch Schule, die Partnerin beziehungsweise der Partner, der Freundeskreis und der Eigeneinfluss eine wichtige Rolle spielen.

Bemerkenswert: An die Vorbildfunktion von Lehrern glauben sowohl viele Eltern wie auch ein Großteil der Lehrer selbst eher nicht. So heißt es in der Studie: “Hinsichtlich unterschiedlicher Ansätze zur Vermittlung von Werten zeigt sich, dass Eltern insbesondere den Ansatz der progressiven Moralerziehung, also die Auseinandersetzung mit konkreten ethischen Konflikten und deren argumentativen Lösung, als sinnvolle Möglichkeit zur Wertevermittlung an Schulen und im Unterricht einschätzen. Korrespondierend erachten Lehrerinnen und Lehrer im Vergleich zu anderen Ansätzen diese Möglichkeit am ehesten als im eigenen Unterricht zur Vermittlung von Werten realisierbar. Auffällig erscheint, dass der Vorbildansatz als am wenigsten sinnvoll von Lehrpersonen und auch von Eltern eingeschätzt wird. So trauen gerade Eltern offenbar Unterrichtstechnologien eher die Vermittlung von bzw. Förderung einer Auseinandersetzung mit Werten zu, als dies Sozialisationseffekte eines Vorbildes leisten können.”

Was die Umfrage auch zeigt: Nur ein Drittel der Eltern und Lehrkräfte geben an, dass die Kirche beziehungsweise Religionsgemeinschaft wichtig ist. „Die Politik muss Schule adäquater und entschiedener dabei unterstützen, gerade die jungen Menschen in ihrer Entwicklung einer reflektierten Werthaltung zu fördern, bei denen dies durch deren sozialen oder kulturellen Hintergrund nicht ausreichend gegeben ist. Nur so können wir negativen Auswirkungen auf die weitere Biografie dieser jungen Menschen und auf uns als Gesamtgesellschaft entgegenwirken“, betont Beckmann.

Für die Studie wurden von der Universität Tübingen in Kooperation mit forsa 1.111 Eltern schulpflichtiger Kinder sowie 1.185 Lehrerinnen und Lehrer an allgemeinbildenden Schulen befragt. Die Ergebnisse liefern erstmals einen Abgleich zwischen den Erwartungen von Eltern und den Einschätzungen von Lehrkräften zu diesem Thema. News4teachers

Was der VBE fordert

Angesichts der Ergebnisse der Umfrage zum Thema Werteerziehung hat der VBE folgenden Forderungskatalog aufgestgellt:

Sieht die Politik in der Pflicht: VBE-Vorsitzender Udo Beckmann. Foto: Sibylle Ostermann / VBE
  • Die feste fächerübergreifende Verankerung und deutlich stärkere Priorisierung aller Erziehungs- und Bildungsziele in den Lehrplänen von Schulen und zwar fächerübergreifend.
  • Mehr Flexibilität, freie Gestaltungsräume und vor allem mehr Zeit für Schule, um Werteerziehung zu implementieren und erlebbar machen zu können.
  • Basierend auf einem Diskurs von Politik und Gesellschaft die Verständigung auf einen gemeinsamen Wertekanon, der Orientierung für alle Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer und Eltern bietet.
  • Entschiedenes Handeln von der Politik, welches für die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen, Rahmenbedingungen und Unterstützungsleistungen sorgt. Unter anderem: die Einsetzung multiprofessioneller Teams, den Ausbau von qualitativer, werteorientierter Ganztagsschule und adäquate Voraussetzungen für die Erziehungspartnerschaft zwischen Lehrkräften und Eltern.
  •  Ein verbessertes, intensiveres und standardisiertes Angebot von Veranstaltungen zur Werteerziehung in allen Phasen der Lehreraus- und -fortbildung, welches die intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Werteverständnis zum Ziel hat.
  • Die Bereitstellung einer zeitgemäßen technischen Infrastruktur an Schule, um einen reflektierten Umgang mit Medien als einem wichtigen Akteur bei der Wertevermittlung fördern zu können.
  • Ein verstärktes gesellschaftliches Engagement, welches außerschulische Angebote an Schule heranträgt und Lehrerinnen und Lehrer bei der Werteerziehung unterstützt.

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