BERLIN. Eine rechtsstaatliche Demokratie wie unsere ist eine hoch komplexe Staatsform, deren Regeln von jungen Menschen erlernt werden müssen. Die gute Nachricht: Das kann gelingen. Die schlechte: Es gelingt viel zu selten. Die Schule, so beklagt der renommierte Psychologe und Bildungswissenschaftler Georg Lind, hat nach PISA ihren Fokus auf die leicht messbaren Kategorien verlegen müssen – zulasten der Demokratie-Erziehung. Was ist zu tun? In einer vierteiligen Reihe auf News4teachers analysiert Lind das Problem. Heute, zum Abschluss der Reihe, wirft er einen kritischen Blick auf gängige Unterrichtsmethoden – und stellt eine neue vor.
Demokratie-Erziehung: Welche Methode?
Wie die Moralforschung zeigt, muss die Schule nicht unbedingt mehr tun, um bei allen Schülern die Moralkompetenz ausreichend und nachhaltig zu fördern. Sie muss es aber gezielter tun, das heißt, sie muss es mit besseren Methoden und mit besser ausgebildeten Lehrern als bisher tun. Den Anforderungen an eine wirksame Demokratie-Erziehung genügt keine der heute vorherrschenden Unterrichtsmethoden:
Institutionenkunde: Bislang meinten wir, für den Erhalt der Demokratie reiche es, den Heranwachsenden demokratisches Wissen zu vermitteln, das heißt, sie mit dem Grundgesetz und den staatlichen Institutionen vertraut zu machen. Die Vermittlung dieses Wissens könnte den Heranwachsenden Gelegenheit bieten, zwischen dem individuellen Guten und dem sozial Guten abzuwägen und rivalisierende Vorstellungen über die Bedeutung von demokratischen Grundprinzipien wie Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität zu diskutieren. Oft wird diese Gelegenheit im Unterricht aber nicht wahrgenommen, weil Prüfungs- und Notendruck dafür keine Zeit lassen, oder weil die Lehrperson es sich nicht zutraut, mit Denken und Diskussion im Unterricht umzugehen (Lind 2015).
Wertevermittlung/Ethik-Unterricht: Die Demokratie lebt davon, dass die Bürger sie wollen und Idealen wie Gerechtigkeit, Freiheit und Kooperation einen hohen Wert zumessen. Tatsächlich nimmt dieses Ideal für die meisten Menschen überall in der Welt einen hohen Rang ein (Sen 1996; McFaul 2004), sogar auch dann, wenn sie von real existierenden Demokratien enttäuscht sind und sie selbst ihre Ideale oft verfehlen. Die Vermittlung von Werten durch die Schule ist daher nicht nur überflüssig. Sie ist auch ein “performativer Selbstwiderspruch” (Apel) zu dem Freiheitsideal der Demokratie (Portele 1978; Lind 2017b). Die theoretische Vermittlung von moralischen Werten in Form von Vorträgen oder Lesetexten zeigt überdies keine empirisch belegbare Wirkung auf die Entwicklung der Moralkompetenz (Narvaez 2001; Lind 2002).
Demokratie leben: Die Methode ‘Demokratie leben’ ist nur bedingt geeignet, um Moralkompetenz zu fördern. Zum einen erreichen die Lerngelegenheiten, die sie bietet, oft nur einen Bruchteil der Jugendlichen, zumeist nur jene, die bereits eine relativ hohe Moralkompetenz haben und die sich durch diese Methode nicht überfordert fühlen (Comunian & Gielen 2006). Zum anderen hängt die Wirksamkeit von ‘Demokratie leben’ sehr von der Qualität der erfahrenen “Demokratie” und der begleitenden pädagogischen Angeboten ab (Westheimer 2015). Selbst die Just community-Schulen, in denen demokratische Verfahren vorbildlich praktiziert werden, können die Moralkompetenz von Schülern nicht wirksam fördern. In den JC-Projekten in den USA fand sich unterm Strich kein Entwicklungsgewinn für die Teilnehmer (Power et al. 1998; Lind 2002). In dem Projekt “Demokratie und Erziehung in der Schule” in Deutschland ergab sich zwar ein deutlicher Lernzuwachs (Lind & Althof 1992), der aber nicht eindeutig der Methode “Demokratie leben” zugerechnet werden kann, da die Schüler gleichzeitig an vielen Dilemmadiskussionen teilnehmen konnten, deren Wirksamkeit gut belegt ist (siehe unten). Dass freie Diskussionen über reale Lebensprobleme und echte Teilhabe an einer demokratischen Willensbildung einen Fördereffekt haben können, zeigt ein Zufallsbefund der Konstanzer Längsschnittstudie bei Universitätsstudierenden in fünf europäischen Ländern von 1977 bis 1985 (Bargel et al. 1982). Während in vier Ländern während des Studium nur eine schwache Zunahme der Moralkompetenz zu verzeichnen war, nahm sie bei den Studierenden in Polen Ende der 1970er Jahre stark zu, als sich vielen von ihnen die Gelegenheit bot, sich an der demokratischen Solidarnosc-Bewegung dort zu beteiligen (Nowak & Lind 2009).
Dilemma-Diskussion: Diese von Moshe Blatt und Lawrence Kohlberg (1975) entwickelte Methode der Demokratie-Erziehung hat sich als sehr effektiv erwiesen, um die moralische Urteilsfähigkeit von Schülern zu stimulieren. Sie wurde aber von Kohlberg und seinen Schülern später für tot erklärt, weil Lehrer sie nicht annahmen (Althof 2015). Für Kohlberg (1964) besteht moralische Urteilsfähigkeit in dem “Vermögen, Entscheidungen und Urteile zu treffen, die moralisch sind, das heißt, auf inneren Prinzipien beruhen und in Übereinstimmung mit diesen Urteilen zu handeln.” (S. 303; meine Übers.) Um diese zu fördern, sieht die Methode vor, dass die Lehrperson die Schüler mit mehreren Dilemma-Geschichten konfrontiert und sie dazu jeweils ihre Meinung abgeben und diese begründen müssen. Um die Lehrwirkung zu maximieren, soll die Lehrperson den Schülern Argumente anbieten, die genau eine Stufe über deren Entwicklungsstufe liegen (die so genannte “plus-1-Konvention”). Dazu muss sie (mit Hilfe von Kohlbergs Interviewmethode) vor dem Unterricht die “Stufe der moralischen Urteilsfähigkeit” ihrer Schüler ermitteln. Die Wirksamkeit der Blatt-Kohlberg-Methode wurde so intensiv empirisch überprüft, wie keine andere Methode der Moralerziehung davor, allein zwischen 1970 und 1984 in über 140 Interventionsstudien (Lind 2002). Die durchschnittliche Effektstärke der Methode war erstaunlich hoch (sie betrug r = 0.40 bzw. d = 0.88, ein Wert, der bis dahin von kaum einer pädagogischen Methode je erreicht wurde).
Die Ablehnung der Blatt-Kohlberg-Methode durch die Lehrer ist nachvollziehbar: Die Methode ist sehr aufwändig: sie setzt eine intensive Schulung der Lehrpersonen voraus (die offenbar unterblieb) und sie verlangt die Durchführung von langen Interviews mit den Schülern, die nur von Experten ausgewertet werden können. Zudem sind diese Interviews subjektiv und für die Lehrer nicht transparent (Lind 1989). Schwer wiegt auch, dass die Vorgabe von Argumenten (plus-1-Konvention) im Gegensatz zu Kohlbergs eigener Lerntheorie steht, die auf entdeckendes Lernen, statt auf Nachahmung setzt. Tatsächlich zeigt ein Experiment von Lawrence Walker (1983), dass die Argumente der Lehrer vermutlich nicht dadurch wirken, dass die Schüler sie nachahmen, sondern dadurch, dass Argumente generell zum Denken anregen. Dieselbe Wirkung zeigten nämlich auch Gegenargumente, die von Gleichaltrigen vorgebracht wurden. Die Methode könnte also noch wirksamer sein, wenn der Lehrer sich mehr zurücknehmen und den Schülern mehr Raum für die Diskussion untereinander geben würde (Lind 2015).
Die Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse habe ich die Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion (KMDD) entwickelt. Sie hat einige Elemente der Blatt-Kohlberg-Methode aufgenommen, unterscheidet sich aber stark von ihr (Lind 2015; 2017a; Reinicke 2017). Sie wird seit über zwanzig Jahren in unterschiedlichen Bildungsinstitutionen angewandt: In Schulen ab der dritten Klassenstufe, in Berufsschulen, in Hochschulen, in Gefängnissen und in Militärakademien. Sie wird neben Deutschland auch in mehreren anderen Ländern eingesetzt, unter anderem auch in China. Sie hat sich als sehr effektiv erwiesen. Bereits eine einzige KMDD-Sitzung bewirkt einen größeren Zuwachs an Moralkompetenz als ein ganzes Schuljahr. Voraussetzung für den effektiven und verantwortungsvollen Einsatz der KMDD ist jedoch eine gründliche Ausbildung der Lehrer, die sie anwenden. Ohne sie zeigt sich keine oder eine negative Wirkung (Lind 2015).
Wir setzen die KMDD jetzt auch im öffentlichen Raum als „Diskussions-Theater“ (DT) ein. Das Stück, das wir aufführen, heißt „Reden & Zuhören“. Erste Aufführungen in der Dresdner Frauenkirche und in Poznan, Polen, waren gut besucht und erfolgreich verlaufen. Sie zeigen, dass es ein Bedürfnis nach ernsthaften, freien Diskussionen mit Anderen über heikle Themen gibt, die frei von Anwürfen und Aggression sind (Reinhard 2018).
Zwar sind KMDD und DT ein Stück Theater: im Mittelpunkt immer die Geschichte über die Entscheidung einer fiktiven Person. Aber die Geschichte ist meist so passiert oder hätte genau so passieren können. Vor allem ist die Diskussion zwischen den Unterstützern und den Gegnern der Entscheidung des Protagonisten real: die Teilnehmer am Diskussions-Theater tun, genauso wie bei der KMDD, ihre eigene Meinung kund und versuchen, die Gegner zu überzeugen, dass sie Recht haben. Es handelt sich also bei DT und KMDD nicht um ein Rollenspiel, sondern um eine echte Auseinandersetzung, bei der spürbar Emotionen im Spiel sind. Dennoch ist es in den unzähligen Veranstaltungen, die ich in mehr als zwanzig Jahren geleitet habe, noch nie zu einem Verstoß gegen die einzige unveränderbare Regel gekommen, nämlich dass alles gesagt und auch alles beurteilt werden darf, aber nicht Menschen. Bei Regelverstoß gäbe es keine Strafen; es gäbe nur eine Regel-Erinnerung durch den Veranstaltungsleiter. Aber auch die war nie nötig. Es scheint, dass jeder Mensch den Wunsch nach harten, aber fairen Diskussionen hat, und dass es daher genügt, dass der Veranstaltungsleiter, als wahrgenommene Autorität, dies zu Beginn offen sagt und verspricht, über die Einhaltung dieser Regel zu wachen, sich aber ansonsten inhaltlich nicht in die Diskussion einmischt (Lind 2016).
Demokratie-Erziehung ist möglich
Das selbstbestimmte Zusammenleben in einer Demokratie ist nicht einfach. Es kann nur funktionieren, wenn alle Bürger schon ab dem Kindesalter genügend Gelegenheit bekommen, ihre Moralkompetenz zu entwickeln. Nur so können sie später Probleme und Konflikte auf der Grundlage moralischer Prinzipien lösen, also durch Denken und Diskussion statt durch Gewalt oder Betrug oder Unterwerfung unter Andere. Nur so können sie auch ihre eigenen Vorstellungen von einem besseren demokratischen Zusammenleben in die politische Meinungsbildung einbringen und durchsetzen. Fehlt ihnen diese Kompetenz, dann brauchen Bürger einen “starken Staat” (Hobbes ‘Leviathan’), der sie an Gewalt und Betrug hindert, und der an ihrer Stelle Entscheidungen trifft. Dann unterlassen sie auch alle Anstrengungen, um die Demokratie zu erhalten und zu verbessern.
Die meisten Menschen benötigen, um diese Fähigkeit zu entwickeln, die Unterstützung durch die Schule. Die „natürliche“ Entwicklungsumgebung der meisten Kinder bietet hierfür zu wenige Lerngelegenheiten. Ihnen muss die Schule geeignete Lerngelegenheiten bereitstellen, nicht nur im Ethik- und Politikunterricht, sondern in allen Fächern.
Die Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion und bietet solche Lerngelegenheiten. Sie setzt allerdings, wenn sie effektiv und verantwortungsvoll genutzt werden soll, eine gute Ausbildung der Lehrperson voraus. Ohne ausreichendes Training und Zertifizierung ist jede Methode wirkungslos und kann sogar eine negative Wirkungen haben (Lind 2015).
Die KMDD macht, anders als andere Methoden der Demokratie-Erziehung, keine Änderung des Lehrplans, der Stundentafel oder der Schulorganisation notwendig. Jeder Lehrer kann sie in eigener Verantwortung einsetzen. Sie nimmt wenig Zeit in Anspruch, so dass sie auch keine Abstriche am Fachcurriculum notwendig macht. Im Gegenteil, sie wirkt sich positiv auf die Lernmotivation der Schüler und das Lernklima in der Klasse aus. Eine Biologielehrerin berichtet, dass ihre Klasse nach einer KMDD-Sitzung mit dem Stoff viel schneller durch war als sonst. Anders als früher hätten die Schüler nun mehr Fragen gestellt und mehr miteinander über das Gelernte diskutiert: „Sie wissen jetzt besser, wofür sie lernen“. (Mehr Stimmen zur KMDD sowie zur Ausbildung als KMDD-Lehrer finden sich im Internet: http://www.uni-konstanz.de/ag-moral/moral/KMDD_rueckmeldung_teilnehmer.htm).
- Teil 1: Demokratie als moralisches Ideal
- Teil 2: Demokratie bedarf Allgemeinbildung
- Teil 3: Auf Moralkompetenz kommt es an
- Teil 4: Welche Methode? (+ Literaturangaben)
Dr. Georg Lind, emeritierter apl. Professor der Psychologie, forscht und lehrt seit vier Jahrzehnten zur Frage, was Menschen dazu befähigt, Probleme und Konflikte durch Denken und Diskussion zu lösen, und wie man diese Fähigkeit messen und effektiv fördern kann. Er hat den Moral Competence Test (MCT) zur Messung dieser Fähigkeit und auch die Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion (KMDD), sowie ein Konzept zur Vermittlung dieser Methoden an Lehrkräfte entwickelt. Seine Methoden werden bereits weltweit eingesetzt, aber noch zu wenig, um die Demokratie nachhaltig zu sichern. Infos zu Literatur, Symposien und Fortbildung finden sich auf seiner Webseite: www.uni-konstanz.de/ag-moral/
Kontakt: georg.lind@uni-konstanz.de
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“Für Kohlberg (1964) besteht moralische Urteilsfähigkeit in dem “Vermögen, Entscheidungen und Urteile zu treffen, die moralisch sind, das heißt, auf inneren Prinzipien beruhen und in Übereinstimmung mit diesen Urteilen zu handeln.””
Das klingt fast wie das Motto der philosophischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts und erinnert an Immanuel Kant. Aber das setzt eben die Überzeugung voraus, dass der Mensch solche Urteile überhaupt treffen darf. In konservativen Religionen (bzw. in konservativen Interpretationen derselben) gibt es dieses Recht nicht. Die Religion mit ihren Vorschriften darf nicht mit “inneren Prinzipien” hinterfragt werden, sie definiert “äußere Prinzipien”. Wir erleben das doch ständig bei zahlreichen Konflikten in sachen “Integration”. Konsequenterweise hat Peter Scholl-Latour immer gemeint, wenn man unsere Art von Wahlen im arabischen Raum einführt, dann gewinnen die Islamisten. Und zu allem Überfluss können die sich auch noch auf die Moral berufen, nämlich ihre absolut gültige “göttliche Moral”. Wer sich dagegen stellt, gilt als Ketzer, und ihm wird die Moral abgesprochen. Zu einer grundsätzlichen Religionskritik ist man aber nicht einmal bei uns bereit. Lieber stürzt man die Schüler in Konflikte, indem man beides fördert: unsere (demokratische) Moral und Ethik und gleichzeitig die (undemokratischen) konservativen Religionen. Herr Lind scheint das alles zu ignorieren. Er tut so, als gäbe es den mächtigen Einfluss der Religionsfunktionäre gar nicht.
„Demokratie-Erziehung:
Warum gängige Unterrichtsmethoden in der Praxis scheitern – eine Kritik:“
Demokratie-Erziehung ist eine äusserst anspruchsvolle Aufgabe, vor allem für die öffentliche Schule, welche nicht nach demokratischen Regeln funktioniert. Eine Institution, welche von Lernenden vor allem widerspruchsfreie Anpassung verlangt. Es geht bei Demokratie-Erziehung nicht primär um Unterrichtsmethoden, sondern vielmehr um gelebte und erlebte Grundhaltungen, – auf jeder Hierarchie-Stufe- um gegenseitiges Vertrauen, Transparenz, Kommunikation auf Augenhöhe, um eine gelebte, nachhaltige Rückmeldekultur, um nachvollziehbaren Umgang mit institutioneller Macht, um eine Institution, die sich kompromisslos für die Stärkung Heranwachsender einsetzt.
Bezug zur aktuellen Schule: Eine elfjährige Schülerin berichtet ihrer Mutter, sie wisse jetzt, warum es auf der Welt so viele Kriege gebe. Auf die Frage der Mutter antwortet die Tochter: das erlebe sie jeden Tag in der Schule. Lehrpersonen würden immer wieder betonen, wie wichtig es sei, sich gegenseitig zu helfen, zu unterstützen, niemanden auszugrenzen, in Wirklichkeit passiere das Gegenteil. In Prüfungen dürften sie nicht abschreiben, langsamere Lernende hätten nicht genügend Zeit, Aufgaben fertig zu lösen, schwächere Schüler würden von der Klasse ausgelacht und gemobbt.
Hier kann angesetzt werden: mit einem Unterrichtskonzept, das Lernende ernst nimmt, sie nicht fortwährend miteinander vergleicht, sie gegeneinander ausspielt, ihnen Unterstützung anbietet, sie ermutigt und ihnen hilft, sich als Individuen zu entwickeln.
Sie malen ein bekanntes Luftschloss, Herr Joss. Es erwärmt immer wieder das Herz, ist aber leistungs- und lebensfremd. Die Kluft zwischen schöner Theorie (die übrigens auf zensurenfreie Gemeinschaftsschulen mit ausnahmslos lernfreudigen, im Verhalten ungestörten Schülern zugeschnitten ist) beweist auch der von Ihnen erwähnte Bericht der elfjährigen Schülerin.
Schule soll außerdem Teil des gesellschaftlichen Lebens sein. Wie stellen Sie sich das spätere gesellschaftliche Leben, speziell das Berufsleben, der Schüler vor? Wie wird erreicht, dass auch da Friede, Freude, Eierkuchen herrschen und Begegnungen nur auf Augenhöhe (auch beim finanziellen Verdienst) stattfinden? Wie wird Hierarchie in Behörden, Betrieben und Firmen vermieden, ohne dass Unstrukturiertheit und Chaos herrschen? Wie schaffen wir es, dass alle das gleiche Sagen haben, “widerspruchsfreie Anpassung” auf der Verbotsliste steht, niemand sich unterordnen muss und alles dennoch gut funktioniert?
Hierarchische Stukturen gehören auch zu demokratischen Gesellschaften und damit auch zum Schulleben. Sie gehören sogar zur Geschichte der Menschheit, die ohne Autoritätsunterschiede kaum überlebensfähig gewesen wäre.
Oh, was ich da bei H. Joss lese, kenne ich alles aus den Seminaren der Pädagogik und Didaktik an der Uni. In der Praxis scheitert man daran kläglich und auch H. Joss würde damit scheitern. Zum Glück muss er sicherlich nie praktizieren, was er da anderen rät.
* scheitert man damit kläglich …
Demokratie-Erziehung: Welche Methode?
Meine Ausführungen beziehen sich ausnahmslos auf Beobachtungen, die ich im Rahmen meiner 10-jährigen Erfahrungen an verschiedenen öffentlichen Oberstufenklassen gewonnen habe (individuelle Lernhilfe). Gerne kann ich Ihnen Einblicke in entsprechende Klassen/Schulen ermöglichen.
Typisches Angebot, bei dem klar ist, dass es nicht in Anspruch genommen wird und vor allem dem Unterstreichen der Praxiserfahrung und realen Beobachtungen dient.
🙂
Demokratie-Erziehung ist auch eine Methodenfrage. Noch wichtiger scheint mir das strukturelle Umfeld einer Schule zu sein, das minimale demokratische Merkmale aufweisen muss: Gesprächskultur im Kollegium, Konsens über ein schulhausbezogenes Unterrichtskonzept das von Lernenden und Eltern wahrgenommen wird im Schulalltag.
Es klingt alles so theorielastig bei Ihnen.
Nächste Stufe: Ein Unterrichtskonzept, das Meinungen und Bedürfnisse von Lernenden und Eltern einbezieht, mitberücksichtigt.
“Meinungen und Bedürfnisse von Lernenden und Eltern”
Von allen oder nur von bestimmten Richtungen? “Die Eltern” haben keine einheitlichen Meinungen, die einen sehen das so und die anderen ganz anders.
“Ein Unterrichtskonzept, das Meinungen und Bedürfnisse von Lernenden und Eltern einbezieht”
Mir ist das zu unkonkret.
Was verstehen Sie darunter?
Und ich hätte gerne ein Unterrichtskonzept, das auch Meinungen und Bedürfnisse von Lehrenden einbezieht.
… wobei die alle auch unterschiedliche Meinungen und Bedürfnisse haben.